Foto: Michal Walusza. FIDE World Cup in Goa
Auftaktrunden bei Turnieren sind für Schachspieler aller Spielstärken schwierig. Man weiß nicht wie man mit den Spielbedingungen zurecht kommt und wie das Denken in dem neuen Umfeld funktioniert an dem Tag. Vincent begann stark. Auch wenn er selbst nicht zufrieden ist wie es zum Schluss lief. Zuschauer sahen eine grandiose Partie.
Von Thorsten Cmiel
Der Gegner von Vincent in der zweiten Runde des diesjährigen World-Cup in Goa (Indien) – zur ersten Runde mussten Spieler in der Vincent-Klasse nicht ran – hieß Vladislav Kovalev. Dieser tritt unter FIDE-Flagge an und stammt ursprünglich aus Belarus. Seine beste Elozahl erreichte Vladislav im Jahr 2019 mit 2703, aber danach ging es stetig bergab. Über die Ursachen ist wenig bekannt, er soll in Batumi leben. Seine letzte Elo-gewertete hatte Kovalev jedenfalls lange Zeit vorher gespielt, bei der Europameisterschaft 2024 in Petrovac, fast ein Jahr zuvor.
Schnelldurchlauf
Bevor man eine komplexe Partie wie diese ausführlich analysiert sollte man die Partie mehrfach durchspielen. Das automatische Vorspielen mit einem Diagramm (GIF) ist ein nettes Tool. Wer etwas lernen will, der versucht bei diesen Durchgängen schon mögliche Kipppunkte in der Bewertung zu identifizieren. Das gelingt mit etwas Erfahrung ganz gut, aber natürlich nur rudimentär. Im nächsten Schritt geht man die Partie durch und zieht in manchen Momenten die Maschine zu Rate, um sich besser zurecht zu finden. Das sollte allerdings nicht dazu führen eine unsachliche Bewertung des Spiels der Matadoren – ich bin gerade in Spanien – vorzunehmen.
Partie unkommentiert zum Nachspielen im eigenen Tempo (ein Wunsch eines Nutzers aus Aachen).

„Die Reaktionen der Leute bei ihrem ersten Opernbesuch sind immer sehr extrem. Entweder man liebt es oder man hasst es. Wer es liebt, der wird es immer lieben. Wer es nicht mag, wird es vielleicht lernen zu schätzen, aber es wird nie ein Teil seiner Seele werden.“
Richard Gere als Edward Lewis in der berühmten Opern-Szene im Film „Pretty Women“ (1990) zu Julia Roberts als Vivian Ward.
In Abwandlung des obigen weltberühmten Zitates, das in der deutschen Filmversion nach meiner Erinnerung etwas anders lautete, sei mein folgender Hinweis verstanden: Wer diese Partie nur mit der Maschine anschaut und danach Kritik an Vincents Spiel äußert, der liebt das Spiel, seine Komplexität und seine Dynamik nicht wirklich. Der einzige, der das schwarze Spiel und das Auf und Ab am Schluss kritisieren sollte und es auch darf, das sind die Spieler selbst.
Analyse in Abschnitten
Ich halte es für Analysezwecke bei längeren und vor allem komplexen Turnierpartien für eine gute Idee, die Partie in mehreren Abschnitten zu analysieren. Das sind oft Phasen wie Eröffnung und frühes Mittelspiel, dann bis zur ersten Zeitkontrolle und je nach weiterem Verlauf folgen oft mehrere weitere Phasen. Drei oder vier Phasen insgesamt reichen oft aus, aber manchmal sind es auch mehr.
In dieser Stellung aus dem frühen Mittelspiel war Vincent mit Schwarz am Zuge. Was würden sie ihm empfehlen und wie schätzen sie die Lage danach konkret ein.
Der Weißspieler hat zuletzt auf a7 einen Bauern geschlagen. Berechnen sie hier bitte die Folgen des Damenopfers nach dem Schlagen mit dem d-Bauern auf e4. Vincent hat noch sechszehneinhalb Minuten für 20 weitere Züge. Vertrauen sie nach sagen wir sechs Minuten auf ihre Berechnungen?
Lösung (Hier Klicken)

Wir sind in einer frühen Endspielphase. Weiß steht vor der grundsätzlichen Frage, ob er die schwarzfeldrigen Läufer tauschen oder auf dem Brett behalten will. Wie ist ihre Einschätzung? Wie würden sie den Läufer tauschen, falls sie das für eine gute Idee halten?
Nach erheblichen Komplikationen zuvor wird es technisch im Endspiel. Welche Schwäche identifizieren sie im weißen Lager? Wie geht es hier am besten weiter für den Schwarzen, der hier am Zuge ist?
Partiefortsetzung (Hier Klicken)
Hier war Vincent mit Schwarz erneut am Zuge. Wie sollte er hier warum fortsetzen? Es geht m. E. um einen praktischen Ansatz wie man hier am einfachsten seine Stellung weiter ausbaut.
Partiefortsetzung (Hier Klicken)

Beginnen wir die Betrachtungen der Schlussphase mit einer Fifty-Fifty-Frage. Sollte Schwarz auf h5 schlagen oder nicht? Hier hatte Vincent noch etwa zehn Minuten und sein Gegner verblieb mit etwas mehr als 13 Minuten.
Wie sollte Schwarz hier fortsetzen? Vincent verblieben noch drei Minuten und 52 Sekunden. Es war insofern als knapp. Nach seinem 57. Zug hier lag Vincents Zeitreserve bei einer Minuten und 26 Sekunden. Die Sache spitzte sich also weiter zu.
Wie sollte Schwarz hier fortsetzen? In dieser Partie war das der entscheidende Moment. Kovalev bereute seine Entscheidung vermutlich sofort und investierte von seinen fast zehn Minuten Restbedenkzeit nur anderthalb und griff daneben.
Schlussphase (Hier Klicken)
Mein Fazit zur ersten Partie
Die Partie dauerte insgesamt etwa fünf Stunden. Nach anspruchsvoller Eröffnungsphase und kreativem Spiel vor allem von Vincent kam es im frühen Mittelspiel zu einer asymmetrischen Materialverteilung, die Vincent etwas materiell bevorteilte. In der folgenden Spielphase des späten Mittelspiels und frühen Endspiels tauschte Kovalev einen Läufer falsch und er befand sich zunehmend auf verlorenem Posten. Danach vergrößerte Vincent seinen Vorteil stetig und eroberte durch kreatives Spiel gegen den gegnerischen Springer auf a7 zwei Bauern am Damenflügel. Erst in der letzten Spielphase, die zunehmend durch Zeitnot geprägt war, entglitt Vincent die Partie, da er wenige Entscheidungen nicht pragmatisch genug anging. Insgesamt war die Partie eine grandiose kreative Leistung gegen einen starken Großmeister, die Hoffnung auf ein erfolgreiches Abschneiden im World Cup macht.
Wer die gesamte Partie mit den Reaktionen beider Spieler am Brett beobachten möchte für den hält die FIDE einen eigenen Stream bereit. Vor allem die entscheidende Phase nach fünf Stunden ist interessant zu beobachten.
Transkript des Kurzinterviews mit Charlize van Zyl (Hier Klicken)

Die zweite Partie
In der zweiten Begegnung dieses Matches versuchte Kovalev früh sein Glück in einem zeitweisen Bauernopfer. Vincent konterte ihn kühl aus und gewann recht überzeugend auch die zweite Partie.

Zufrieden sein dürfte Peter Leko, der nicht nur einen Schützling im Rennen hat, der gut in Form ist. Peter gewann sein eigenes Match gegen den australischen Großmeister Bobby Cheng. Nebenbei erfährt man von dem Foto, dass der Dresscode der FIDE offenbar inzwischen auch Jeanshosen erlaubt.

Ein Hinweis
Ich habe in den nächsten Tagen ein eigenes Turnier in Alicante zu spielen. Aber die grandiose erste Partie von Vincent hat mich motiviert sein Turnier hier ebenfalls ein wenig zu covern und Analysen folgen zu lassen. Im besten Fall qualifiziert sich Vincent ebenfalls für das Kandidatenturnier. Er ist inzwischen ausreichend stark und stabil dort ein wichtige Rolle zu spielen. Da ich vorhabe das Turnier vor Ort zu covern wäre ein zweiter deutscher Spieler im Kandidatenturnier ein tolle Sache.
Fotos: Michal Walusza und Eteri Kublashvili FIDE World Cup Goa 2025.

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