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Von der Pflicht Schachpartien mitzuschreiben

Dieses Titelbild von Dariusz Gorzinski zeigt eine antike Schachuhr.

Eigentlich müssen Turnierpartien von den Spielern dokumentiert, mitgeschrieben werden. Das gilt Zug für Zug. Aber das ist keineswegs immer so und hängt an der Bedenkzeitregelung. Ein Beitrag vom Internationalen Schiedsrichter Gerhard Bertagnolli über eine wenig bekannte Regel beim Turnierschach, Besonderheiten in Zeitnot und was das mit der dritten Partie bei der Schachweltmeisterschaft zwischen Ding Liren und Gukesh in Singapur zu tun hat.

Jüngere Spieler könnten überrascht sein, denn in Partien mit klassischer Bedenkzeit gibt es die Mitschreibpflicht immer. Ältere Spieler erinnern sich aber an andere Zeiten, nämlich wenn man sich in Zeitnot befand und dann in ganz speziellen Situationen nicht mitschreiben musste. Beginnen wir mit den offiziellen Regeln:

Im Laufe der Partie ist jede Spielerin / jeder Spieler verpflichtet, ihre / seine eigenen Züge und die ihres / seines Gegenübers auf korrekte Weise, Zug für Zug, so klar und lesbar wie möglich aufzuzeichnen.

(8.1.1 Laws of Chess in die deutsche Sprache übersetzt.)

Die Mitschrift hat auf dem dafür vorgesehen Formular in algebraischer Notation zu erfolgen. Eine Eingabe in ein elektronisches und dafür von der FIDE zertifiziertes Gerät ist ebenfalls möglich, aber hier nicht unser Thema. Es besteht die Pflicht zum kontinuierlichen Mitschreiben – und zwar Zug für Zug, nicht erst im Nachhinein.

Doch wie bei vielen Regeln gibt es auch hier Ausnahmen: Die Pflicht Mitzuschreiben entfällt in einer Spielphase in der sich ein Spieler in Zeitnot befindet. Zeitnot ist dabei definiert als eine Restbedenkzeit von weniger als fünf Minuten bis zur nächsten Zeitkontrolle. Aber das gilt nur für Spielphasen in denen ein Spieler keinen Zeitzuschlag von 30 Sekunden oder mehr pro Zug (Inkrement) erhält. Zudem gilt: Sobald die Spielphase der knappen Bedenkzeit (Zeitnot) vorbei ist, muss der Spieler die Züge auf seinem Partieformular nachtragen.


Im Turnierschach dienen Partieformulare dazu, um die wichtigsten Informationen zu einer Turnierpartie zu dokumentieren. Das sind Datum, Turnier, Runde, Namen der Spieler, die Züge und am Ende das Resultat und die Unterschriften der Spieler.

Bei internationalen Turnieren und in Team-Wettbewerben ist es üblich, dass Partien auf Durchschlagspapier mindestens ein weiteres Mal aufgezeichnet werden. Die Föderation, also der Weltschachbund oder der deutsche Schachbund beispielsweise, bestehen darauf, dass man das Original abgibt. Dem Spieler bleibt der Durchschlag. Partieformulare von wichtigen Ereignissen haben für manche Sammler einen hohen Wert. Beim Kandidatenturnier in Toronto beispielsweise konnten Fans im Shop originale Durchschläge von Partieformularen der Spieler kaufen und mussten dafür 200 kanadische Dollar hinblättern. (TC)


Es gibt also zwei Fälle zu unterscheiden:

Fall 1

Der Spieler erhält für jeden Zug mindestens 30 Sekunden Zeitbonus. Eine typische Bedenkzeit im klassischen Schach beträgt: 90 Minuten für 40 Züge, gefolgt von 30 Minuten für den Rest der Partie, mit einem Bonus von 30 Sekunden pro Zug.

Mitschreibpflicht

Hier bleibt die Mitschreibpflicht bestehen. Der Spieler muss sowohl seine eigenen Züge als auch die des Gegners Zug für Zug notieren und darf keine Züge überspringen.

Fall 2

Der Spieler erhält zu einem gewissen Zeitpunkt nicht diese zusätzlichen 30 Sekunden (also zusätzlich „nur“ 0 bis 29 Sekunden). Als Beispiel dient uns eine Bedenkzeit von zwei Stunden für 40 Züge und danach nochmals eine Stunde zum Ende der Partie geben (jeweils ohne Zeitgutschrift pro Zug). Es gibt also zwei Perioden pro Spieler: Die erste Periode läuft bis zum Ende der Grundbedenkzeit von zwei Stunden des jeweiligen Spielers. Die zweite Periode zwei findet zum Ende der Gesamtbedenkzeit von drei Stunden eines Spielers statt.

Keine Mitschreibpflicht

Nach 1.55 und 2.55 verbrauchter Zeit in unserem Beispiel entfällt in den jeweiligen Perioden die Mitschreibpflicht. Der Spieler ist die letzten fünf Minuten der Restbedenkzeit (jeder Periode!) nicht verpflichtet, bis zum Ende der jeweiligen Periode mitzuschreiben.

Nachtragen von Zügen

Auch die Pflicht zum Nachtragen der Züge ist geregelt. Ist ein Spieler zum Nachtragen nach der ersten Periode verpflichtet, kann er das Partieformular seines Gegners nutzen und darf erst danach weiterspielen.

Schreiben beide Spieler nicht mehr mit, dann springt der Schiedsrichter oder ein Assistent ein. Nachdem eines der Fallblättchen gefallen ist, hält der Schiedsrichter die Schachuhr an. Die Spieler müssen dann ihre Aufzeichnungen vervollständigen mit jeder verfügbaren Hilfe wie der Notation des Schiedsrichters oder des Gegenübers. Dadurch sollte gesichert sein, dass immer die vollständige Notation vorhanden ist. Im Spitzenschach werden viele Partien live übertragen, wodurch eine zusätzliche Notation zur Verfügung steht.

Praktische Bedeutung

Ob man Schachspielern empfehlen soll in Zeitnot zu geraten, ist natürlich keine Regelfrage. Aber: Nicht mitzuschreiben während einer Zeitnotphase kann Nachteile mit sich bringen. Es könnte bei hochgradiger Zeitnot sein, dass man sich verzählt. Eventuell führt man dann beispielsweise einen „Alibizug“ im 41. Zug aus und verspielt ausgerechnet dann einen Vorteil oder verliert genau wegen dieses einen unüberlegten Zuges Material und möglicherweise die Partie. Ein anderer Nachteil könnte es sein, dass man ohne Notation Schwierigkeiten bekommt, eine dreimalige Stellungswiederholung zu rekonstruieren. Das gilt freilich nicht für Supergroßmeister wie die beiden Spieler in Singapur. Die können das.


Dritte WM-Partie in Singapur

Die Bedenkzeitregelung des WM-Kampfes sah wie folgt aus: Zu Beginn 120 Minuten für 40 Züge (ohne Bonus). Ab dem 41. Zug zusätzlich 30 Minuten plus 30 Sekunden Bonus pro Zug. Das hat Auswirkungen auf die Mitschreibpflicht.


Nach Gukeshs 31. Zug (Tcd1, Restzeit: 18:34) grübelte Ding für den Antwort-Zug etwas länger und verblieb nach seinem 31. Zug …Ke8 mit einer Restbedenkzeit von 1:50 für neun Züge zum Erreichen der 40-Züge-Marke. Als erfahrener Spieler kannte er die Regeln und nutzte die Möglichkeit des Nicht-Mitschreibens. Bis zum vierzigsten Zug gab es keine(!) Mitschreibpflicht in Zeitnot. Danach schon. Die Partie endete allerdings vorher, aber das ist eine andere Geschichte.


Gerhard Bertagnolli (48 Jahre) ist seit 2006 Schiedsrichter, seit 2014 Internationaler Schiedsrichter und seit 2019 der Kategorie A. Als Kommissionsmitglied engagiert er sich zusätzlich seit 2022 in der „FIDE Arbiters Commission“.
Als internationaler Schiedsrichter kommt er in der Schachwelt rum. Am häufigsten Station macht der Südtiroler in Italien, Deutschland und Österreich. Zuletzt war Bertagnolli als Hauptschiedsrichter bei der FIDE Schach-WM der Kadetten in Montesilvano 2024 im Einsatz. Davor als Match-Schiedsrichter bei der Schach-Olympiade Budapest 2024. Zu seinen wichtigsten Erfahrungen gehören das WM-Match in Astana 2003 zwischen Ding Liren und Ian Nepomniachtchi sowie der FIDE Grand Prix in Hamburg 2019 (Sieger: Alexander Grischuk). Hinzu kamen noch zahlreiche weitere Events wie Amateur- und Seniorenweltmeisterschaften und Team-EMs. Die Liste seiner internationalen Einsätze ist länger.

Foto: Niklesh Jain für FIDE Chess.


Anmerkung

Wurde hier die männliche Form gewählt, dann geht das nicht auf den Autor zurück, sondern es handelt sich um eine redaktionelle Entscheidung. Natürlich gibt es im Schach erfreulicherweise viele Frauen, die hervorragende Schiedsrichterinnen sind und die sollen damit keinesfalls ausgeschlossen oder unerwähnt bleiben. Allerdings sind Texte mit politisch korrekten Formen inzwischen fast unlesbar und Lesbarkeit ist uns hier und an anderer Stelle wichtiger. (TC)

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