
Foto: Lennart Ootes. St. Louis Chess Club
Der US-Großmeister Fabiano Caruana (33) ist ein guter Rechner am Brett. Gegen den 13 Jahre jüngeren Großmeisterkollegen Nodirbek Abdusattorov aus Usbekistan gewann Caruana eine komplizierte Partie mit den schwarzen Steinen und übernahm die Führung im prestigeträchtigen Sinquefield-Cup in St. Louis.
Von Thorsten Cmiel
Im Schachsport gibt es gelegentlich scheinbar absurde Diskussionen über die Ursachen von Fähigkeiten auf dem Brett. Hat ein Spieler eine spezielle Gabe im Schach, gemeint ist meist was viele als Talent bezeichnen würden. Irgendwer hat mal den Schachweltmeister von 2013 bis 2021, Magnus Carlsen, als den „Mozart des Schach“ bezeichnet und das hat sich zumindest bei der Nichtfachpresse als Etikett für Carlsen durchgesetzt. Der Vergleich mit dem Musikgenie beschreibt ganz gut was Carlsen auszeichnet. Der Norweger fühlt Schach; er weiß instinktiv besser als viele seiner Kollegen wohin die Figuren gehören, um ihnen maximale Wirkkraft einzuhauchen.

Bei der Auftaktpressekonferenz in London 2018 fragte eine Journalistin Caruana, wie es sich anfühle gegen den Mozart des Schach zu spielen. Der US-Amerikaner war sichtbar überrascht und fand keine Antwort. Ihm half der Pressesprecher aus der Patsche und ging zur nächsten Frage über. Tatsächlich gibt es neben dem begnadeten Positionsspieler noch eine Vielzahl anderer Spielertypen, die auch ihre Qualitäten haben und je nach Stellungstyp spezielle Vorteile in die Waagschale werfen können. Caruana ist genau wie der amtierende Schachweltmeister Gukesh ein herausragender Kalkulator, der sein Schach mit tiefen Variantenberechnungen fundiert. Der Weltmeisterschaftskampf in London ging übrigens nach zwölf unentschiedenen Partien mit klassischer Bedenkzeit in die Verlängerung und endete erst nach den Schnellschachpartien mit einem Sieg von Carlsen. In der Tat kann Carlsen offenbar mit schnelleren Bedenkzeiten sein Talent besser zur Geltung bringen. In das Bild passt auch, dass der Inder Gukesh mit schnelleren Kadenzen nicht so gut zurecht kommt, wie einige seiner Großmeisterkollegen in der Weltspitze.
Der usbekische Großmeister Nodirbek Abdusattorov gehört ebenfalls in die Kategorie der Kalkulatoren. In seiner Partie mit dem US-Großmeister traten also zwei Spieler an, die über ähnliche Stärken am Brett verfügen. Beide Spieler scheuen keine Verwicklungen und sind an einem guten Tag bereit, die Brücken hinter sich abzubrechen und mit offenem Visier auf den vollen Punkt zu gehen. Das macht solche Duelle oft spannender als die feine Klinge eines Magnus Carlsen oder eines Vincent Keymer.

Nachspielen – dann analysieren
Bevor man in die Details von Schachpartien einsteigt sollte man die Partie mehrfach nachspielen, um den Flow der Partie zu erfassen. in einem nächsten Schritt sollte man versuchen herauszufinden wann eine Partie in die entscheidende Phase kam und an welchen Stellung etwas schief lief. Die Kipppunkte.
Wir nutzen hier ein animiertes GIF, das bei seiner Durchspielgeschwindigkeit den tatsächlichen Bedenkzeiten der Spieler in der Partie folgt. Durch Klicken auf das Diagramm kann die Animation angehalten werden.

Erstellt mit Chessbase 17.
Der Usbeke war hier mit Weiß am Zuge. Beide Spieler versuchen bei entgegengesetzten Rochaden dem Gegner möglichst zuzusetzen und den eigenen Angriff zu fördern. Der offensichtlichste versuch besteht hier im Schlagen des Bauern auf g6. Caruana hatte diesen gerade nach vorne gezogen, aber ist das überhaupt gut? Gibt es einen besseren Weg, um den Angriff fortzusetzen?
Beide Spieler hatten ihre Angriffsziele verfolgt. Die entstandene Stellung bedarf eines scharfen Blicks. Wie sollte Weiß fortsetzen. der Usbeke fand hier im 25. Zug nicht die richtige Fortsetzung.

Anders als die zuletzt vorgestellte „perfekte Partie“ von Praggnanandhaa gegen Gukesh aus der ersten Runde des selben Turniers hatte der Usbeke in dieser Partie wie gesehen eine Chance einen ordentlichen Vorteil zu erzielen. Diese Gelegenheit konnte er nicht nutzen und verpasste später den Pfad zum Ausgleich. Ist diese Partie daher qualitativ schlechter, weil aus dem Maschinenraum etwas mehr Geräusche zu vernehmen sind? Meines Erachtens ist das der falsche Ansatz zur Bewertung von Schachpartien. Die betrachtete Partie ist hochklassig und beide Seiten versuchten ihrem Gegner schwierige Aufgaben zu stellen und diesmal behielt der US-Amerikaner die Oberhand.

Foto: John Brezina. Lennart Ootes und Crystal Fuller für St. Louis Chess Club.