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Die deutschen Frauen spielten bei der Europameisterschaft in Batumi sehr erfolgreich und es war spannend bis zum Schluss. Ein dritter Platz ist ein hervorragendes Ergebnis für das deutsche Team. Auch wenn im ersten Moment die bronzene Medaille sich wie ein verlorenes Silber anfühlen dürfte, sollte das Team sehr zufrieden sein.
Von Thorsten Cmiel
Von außen kann man nur spekulieren woran es gelegen hat, dass die deutschen Frauen diesmal über ihren gefühlten Möglichkeiten gespielt haben. Fakt ist: Erstmals seit langer Zeit war Elisabeth Pähtz nicht dabei und es lief besser. Ob das miteinander zu tun hat, dürfte in den nächsten Wochen für Spekulationen sorgen, aber man sollte sich meines Erachtens auf die positiven Aspekte konzentrieren und diese Diskussion nicht führen. Denn vielleicht lag das neue Selbstvertrauen am neuen Trainerteam der deutschen Frauen, die offenkundig den Spielerinnen Mut und Selbstvertrauen einhauchten, das man früher manchmal vermisst hat. Apropos Trainerteam: Das Frauenteam hatte Unterstützung durch den neuen Frauenbundestrainer Zahar Efimenko (40) und, das war bisher meines Wissens unbekannt, ebenfalls von Wolodymyr Baklan (47) einem weiteren ukrainischen Schachgroßmeister. Das deutsche Team war in der Setzliste auf Platz sechs geführt und spielte das ganze Turnier lang vorne mit. Vieles passte jedenfalls was sonst nicht klappte. Es gab nur drei Einzel-Niederlagen im gesamten Turnierverlauf und eine schlechte Schlussstellung von Lara Schulze in der letzten Runde. Diese Stabilität war der Hauptgrund für das gute Abschneiden und etwas Glück, da die Einzelerfolge gut über den Turnierverlauf verteilt waren und sich zu einigen Mannschaftspunkten addierten. Erst in der Schlussrunde enttäuschten die deutschen Frauen erstmals etwas mit einer Niederlage gegen Bulgarien (#5 der Setzliste). Mit frühen Siegen gegen Georgien (1) und Aserbaidschan (4) waren die Weichen für eine Topplatzierung gestellt. Nach der Niederlage gegen die Polinnen (2) und ein Unentschieden gegen die Ukrainerinnen(3) spielten die deutschen Frauen in der letzten Runde um Silber.

Georgien früh raus
Die favorisierten Georgierinnen kassierten nicht nur früh eine Niederlage gegen das deutsche Team, sondern agierten insgesamt ohne Fortune. Die Spitzenspielerin der Heimmannschaft, Großmeisterin Nana Dzagndize, spielte ein katastrophales Turnier, das in der letzten Runde durch eine echte Chaospartie gegen die Spanierin Sara Khadem „gekrönt“ wurde. Die Polinnen hatten schon bei der letzten Schacholympiade in Budapest stark aufgespielt, die Inderinnen geschlagen und waren dort erst hinten heraus etwas abgefallen. Die Ukrainerinnen waren ohne die Muzychuk-Schwestern keineswegs schwächer unterwegs und sind verdiente Vizemeisterinnen geworden. Bricht man die Team-Turniere auf einzelne Partien herunter, dann gab es in vielen Kämpfen fast aller Nationen das eine oder andere Drama und „falsche“ Ergebnis zu beklagen. Das dürfte sich fair über sämtliche Teams verteilt haben und gehört zum Schachsport dazu.

Dinara Wagner
Auffällig waren zwei Partien von Dinara Wagner, die mit Weiß diesmal taktisch verwickelte Eröffnungen spielte. In beiden Fällen war sie gut vorbereitet. Ob die Stellungen gut zu ihrem Spielstil passen wird die interne Analyse ergeben. Aber sich auf derart komplexe vorbereitete Stellungen einzulassen, bedarf eines großen Vertrauens in denjenigen oder diejenigen, die ihr zugearbeitet haben. Das ist in jedem Fall bemerkenswert.
Diese Stellung gehörte sicher zur Vorbereitung der deutschen Spielerin, die bis hierhin mehr Zeit (1.33) auf der Uhr hatte als zu Beginn der Partie. Ihre Gegnerin kam bis hierhin mit zehn Minuten aus. Mit ihrem nächsten Zug lag die Polin allerdings etwas daneben. Nach 25 Minuten folgte der große Schritt mit dem schwarzen h-Bauern. An dieser Stelle hatte übrigens der für Serbien spielende Alexei Sarana bei der Europaeinzelmeisterschaft 2025 fehlerhaft den Bauern auf a3 verspeist.

Die zweite Partie ging schief, aber Dinara war erneut gut vorbereitet zur Partie angetreten. Erneut ging es gegen eine starke Gegnerin und die Partie bot einige spannende Momente, die der Analyse entnommen werden können. Beginnen wir mit einem Diagramm, einer Position, in der ich keinen ausreichenden Grund für ein langes Nachdenken von Dinara finden konnte.
Erneut spricht der Verbrauch der Bedenkzeit bis hierhin Bände: Dinara hatte vor diesem Zug noch eine Stunde und 19 Minuten auf der Uhr und ihrer griechischen Gegnerin blieben noch 36 Minuten. Hier allerdings verbrauchte Dinara 42 Minuten und ihr schöner Zeitvorteil war egalisiert. Das spricht dafür, dass die Eröffnungswahl vielleicht eine taktische Stellung produzierte, die ihr nicht allzu sehr liegt. Entschieden wurde die Partie erst später. Es gab hier drei denkbare Kandidaten. Schlagen mit dem Läufer auf g5, mit dem Springer oder der Rückzug des Läufers nach g3. Der letztgenannte Zug scheidet wegen des Vorrückens des f-Bauern recht schnell aus und das Schlagen auf g5 mit dem Springer auf g5 ist ebenfalls gefühlt die falsche Option. Hier trügt das Stellungsgefühl nicht, aber die Varianten sind sehr komplex und das liegt nicht jedem.
Hier blieben Dinara noch 33 Minuten und sie entschied sich nach fünf Minuten für das Zurückschlagen mit dem Turm. Etwas überraschend hätte das andere Zurückschlagen mit dem g-Bauern und Attacke dort ihr laut Instanz deutlichen Vorteil versprochen. Dafür muss man allerdings zwischendrin den eigenen Läufer auf c2 opfern. Ob sie diese Entscheidung mit 30 Minuten mehr auf dem Wecker richtig getroffen hätte, scheint mir unsicher zu sein. Leider verlor Dinara etwas später den Überblick und die Partie.

Ich bewundere den Mut von Dinara und dem deutschen Team diese Art von Profi-Schach anzugehen. Dass selbst Top-Großmeister mit Vorbereitungen komplexer Varianten oft nicht zurechtkommen, konnte ich 2024 in Toronto mehrfach bei Praggnanandhaa (gegen Nepomniachtchi (Nepo) und gegen Gukesh), aber auch bei Hikaru Nakamura (gegen Nepo) beobachten. In den drei genannten Fällen stand Nepo jeweils mit seiner Petroff-Verteidigung glatt auf Verlust, remisierte letztlich und Pragg verlor seine Auftaktpartie gegen den späteren Sieger Gukesh aus gleicher und verrückter Stellung heraus nach zwischenzeitlichem Opfer von drei Bauern.
Hanna Marie Klek
Die deutsche Spielerin holte in Batumi ihre dritte IM-Norm und muss jetzt noch eine Elozahl von 2400 Punkten erreichen, um den Titel des Internationalen Meisters zu erringen. Ihre bisher höchste Elozahl hat Hanna Marie im April 2017 mit 2372 Punkten vorzuweisen. Sie muss noch etwas mehr als vierzig Punkte zulegen, um den Titel zu erringen.
Die Entscheidung in der Partie gegen die favorisierten Georgierinnen fiel hier. Schwarz sollte den eigenen Turm nach f4 ziehen und die Bauern e4 und h4 gleichzeitig bedrohen. Danach wäre die Stellung bei bestem Spiel im Gleichgewicht. Die Georgierin sah es nicht und die Deutsche brachte zielstrebig ihren Springer via d2 über f3 nach g5 ins Spiel und gewann eine überzeugende Partie gegen ihre erfahrene Gegnerin, die immerhin den Großmeistertitel vorweisen kann. Eine überzeugende Verwertungsphase zum einfachen Nachbetrachten.

In dieser Partie hatte die Deutsche mit Schwarz etwas unvorsichtig agiert. Mit dem einfachen und logischen Zug des Läufers nach d3 konnte ihre Gegnerin aus Aserbaidschan ihren Bauern auf f5 verteidigen und ihren gewinnbringenden Vorteil festigen. Diesen Zug spielt man im Blitzen vermutlich automatisch. In Turnierpartien will man es manchmal besonders schlau anfangen und so zog Weiß ihre Dame nach d3 mit der Folge, dass der f5-Bauer nach Wegzug der Dame bald verloren geht. Kurze Zeit später war die Stellung sogar ausgeglichen.

Ihre Gegnerin hatte im Kontrollzug erneut den Damentausch angeboten, was sich erneut als falsch herausstellte. Jetzt blieben der deutschen Spielerin etwas mehr als drei Minuten, um ihren 40. Zug ebenfalls auszuführen. Was soll sie ziehen?
Lösung (Hier Klicken)
In der siebten Runde gewann Hanna Marie Klek eine sehr überzeugende Partie gegen die Rumänin Mihaela Sandu, die ich hier unkommentiert und für sich sich sprechen lassen möchte.

In der achten Runde klappte was der deutschen Spielerin in der vierten Runde nicht gelang. Aus hoffnungsloser Lage schaffte sie den kompletten Turnaround und benötigte in der finalen Runde nur noch ein Remis, um die Norm zu schaffen.
Weiß ist bisher äußerst aggressiv aufgetreten. Wie sollte die Deutsche sich hier am besten weiter verteidigen?
An dieser Stelle sollte die deutsche Spielerin mit Schwarz am besten welchen Zug spielen?
Partieende kommentiert (Hier Klicken)
Partien bei denen es um viel geht sind für die meisten Spieler und Spielerinnen nicht ganz einfach. Manchmal flattern die Nerven in solchen Situation. Nicht so bei der deutschen Spielerin. Hanna Marie spielte mit Schwarz eine gute Partie und war an keiner Stelle im Risiko, im Gegenteil, im Endspiel hatte die Deutsche in der folgenden Situation eine Chance auf den vollen Punkt.
Hier entschied sich die Schwarzspielerin für die direkte Attacke auf den Bauern e3 und zog ihren Springer nach d1. Das war allerdings leider nur der zweitbeste Versuch.
Josefine Safarli
Josefine wird auf ihrem Youtube-Kanal ihre Partien in Kürze in alle Einzelteile zerlegen, daher will ich nur eine Stellung kurz besprechen und eine überzeugende Leistung unkommentiert zeigen. Schade, die deutsche Spielerin zerstörte in der letzten Partie den hervorragenden Eindruck, den ihr Spiel bis dahin hinterlassen hatte. Die Auslosung und die Aufstellungen ergaben bei ihr einen merkwürdigen Farbwechsel. Josefine begann mit zwei Weißpartien, spielte dann vier Partien hintereinander mit Schwarz – vier Remis – und beendete das Turnier zweimal mit den weißen Steinen.

Josefine gewann in der achten Runde ihre zweite Partie und hatte bis dahin ein sehr stabiles Turnier gespielt. Lediglich gegen die Türkinnen benötigte sie einige Hilfe ihrer Gegnerin. Gegen die Rumäninnen stand Josefine nach der Eröffnung etwas schlechter, aber ihre Gegnerin war mit dem Unentschieden offensichtlich zufrieden. Die hier zum schnellen Nachspielen ausgewählte Partie zeigt Josefine in Bestform. und dann kam die Finalrunde.

Diese Situation entschied diese Partie. Wie sollte Weiß hier weiterspielen. Der nächste Zug der deutschen Spielerin war leider ohne jegliche Idee gespielt. Schwarz „droht“ den eigenen Läufer nach g6 zu ziehen und seinen weißen Counterpart zu befragen. Darauf musste man eine Antwort finden. Josefine investierte sechs ihrer verbliebenen 41 Minuten und zog den a-Turm nach c1. Welcher Zug besser gewesen wäre erklärt Josefine in Kürze in einem Video bei Youtube.
Das Diagramm soll nur optisch zeigen, dass vorher etwas gründlich schief gelaufen sein muss bei Weiß. Josefine versuchte sich zu wehren, aber das ist kein ausreichender Grund die hier erkennbare Passivität der weißen Figuren aus der Stellung zuvor zu rechtfertigen. Man kann argumentieren, dass es in der Folge konkret wurde. Aber das ist kein gutes Argument in einer Stellung mit einer relativ statischen Bauernstruktur. Schade.
Hier der Bericht von Josefine über Batumi auf ihrem Blog.
Lara Schulze
Bei Lara lief es in Batumi nicht optimal. Gegen die Polin setzte es ein klare Niederlage mit Weiß nach einer Fehleinschätzung. Die Runde gegen die Griechin in der Vorschlussrunde mag getäuscht haben, denn diese gewann Lara deutlich. Ich hatte Kateryna in der Finalrunde erwartet. In der letzten Partie hatte die Deutsche über den gesamten Partieverlauf keine Chance auf Vorteil und kann sich letztlich glücklich schätzen, dass für ihre Gegnerin das Remis zum Mannschaftserfolg reichte.


Kateryna Dolzhykova
Kateryna holte am Ersatzbrett 3.5 Punkte aus fünf Partien und gewann mit der besten Performance von 2426 Individual-Gold.

Auf einige Probleme, die in Batumi unerfahrene Spielerinnen ereilt haben, weist die rumänische Internationale Meisterin Irina Bulmaga hin. Irina veröffentlicht auf ihrem Blog meist lesenswerte Texte zu ihren Turniererfahrungen und -beobachtungen.

Irinas Text begann diesmal in deutscher Übersetzung so:
Die große Batumi Erfahrung
Im Land der alten Weinbautradition, der einzigartigen Küche und atemberaubenden Landschaften möchte ich Sie auf eine etwas andere Reise mitnehmen, gespickt mit schmutzigen Tricks, Lebensmittelvergiftungen und unvergesslichen Besuchen auf Toiletten, bei Ärzten und in Krankenhäusern.
Mehr gibt es hier. Dazu sei angemerkt, dass die automatische Übersetzung des hier wieder gegebenen Textes vom Original wegen des Hin- und Herübersetzens etwas abweichen könnte. Ich empfehle daher den Text im Original zu lesen.
Fotos: Dariusz Gorzinski. Maria Emelianova (Chess.com). European Chess Union (ECU).

Servicehinweis
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