Titelfoto: Maria Emelianova Chess.com (FIDE Chess)
Von Thorsten Cmiel
In der siebten Runde gelingt es erstmals einem der beiden Spieler aus der Eröffnung heraus einen signifikanten Vorteil zu erzielen. Es folgt das bislang spannendste Duell dieses Matches in Singapur. Die gesamte siebte Partie wird dominiert von Gukesh. Aber Ding Liren gelingt es immer wieder Ressourcen für die Verteidigung zu finden. Wie immer im Schach entscheidet der letzte Fehler und der Chinese holt ein glückliches gleichwohl verdientes Remis.
Der zeremonielle erste Zug ist bei Schachveranstaltungen ein beliebtes Presseevent für Filmstars, prominente Sportler, Sponsoren und Politiker, die in Szene gesetzt werden. In Singapur kündigt der Boxpromoter und Schachgroßmeister Maurice Ashley nicht nur die Spieler in jeder Runde an, sondern sagt auch etwas zu den Gästen. Diesmal muss der Gast besonders wichtig sein, denn Ashley hörte gar nicht mehr auf den Gast und seine Verdienste zu preisen. Der US-Amerikaner führt mehr über den Mann auf dem Foto aus als über den Nobelpreisträger Demis Hassabis, der zu Beginn des Matches hier war. Der Gast zur siebten Runde ist Edwin Tong Chun Fai, ein singapurischer Politiker, der seit 2011 Mitglied des Parlaments und seit 2020 Minister für Kultur, Gemeinschaft und Jugend sowie 2. Minister für Justiz und Recht ist. Vermutlich hat er die Staatsgarantie für das Match wesentlich beeinflusst. Gut so.
Die Siebte
Gukesh hatte in den ersten zwei Partien seine Mittelbauern vorgeschoben. Diesmal startet der Inder wie in seinen Anfangszeiten fast ausschließlich mit dem Königsspringer und einen Zug später mit seinem g-Bauern, den erst erstmals in diesem Match nicht gleich zwei Felder vorschiebt. Gukesh geht es ruhig an. Ding Liren reagiert interessant und zieht früh ebenfalls seinen g-Bauern einen Schritt nach vorne. Damit geht er der Vorbereitung seines Gegners in der Katalanischen Eröffnung aus dem Weg. Eine der besten Leistungen des Inders in Toronto war seine Weißpartie gegen den Russen Ian Nepomniachtchi, die allerdings am Ende unvollendet blieb und Unentschieden ausging. Wie wir etwas mehr als fünf Stunden später wissen werden, Geschichte wiederholt sich doch.
Mit dem siebten Zug landet Gukesh heute seinen ersten Treffer in der Eröffnung. Den Turm nach e1 zu ziehen ist eher selten in dieser Stellung zu sehen und eine Spezialität des deutschen Großmeisters Rasmus Svane. Interessanterweise gibt es die Position häufiger, aber mit einem Tempo mehr für Weiß, nämlich wenn Schwarz zunächst einen königsindischen Aufbau gewählt hat und auf den Turmzug nach e1 mit dem Tempoverlust d6-d5 reagiert. Die entstandene Struktur erinnert eher an die grünfeldindische Verteidigung.
Nach 28 Minuten reagiert Ding auf den Turmzug mit dem sehr prinzipiellen Schlagen auf c4. Die Antwort von Gukesh folgt unverzüglich. Der Inder schiebt erwartungsgemäß seinen Königsbauern zwei Felder nach vorne und greift sich mehr Raum. Dieser Zug ist in der größten gepflegten Datenbank vom deutschen Anbieter Chessbase nicht zu finden. In der größeren und Blitzpartien beinhalteten Datenbank von LiChess erfreut sich der Zug großer Beliebtheit. Im neunten Zug zog der Chinese seinen c-Bauern ein zweites Mal. Besser wäre es gewesen, dem Schwarm an Online-Schachspielern zu folgen und stattdessen seinen b-Bauern zwei Felder vorzurücken. Ding bereut seine Entscheidung sofort, wie er später in der Pressekonferenz offen zugibt.
Gukesh greift sich als Antwort auf den letzten Zug seines Gegner immer mehr Raum. Der Chinese attackiert den vorgerückten d-Bauern, aber sein Damenflügel ist noch unterentwickelt. Vor allem der Zeitfaktor könnte eine Rolle spielen. Nach zehn Zügen bleiben dem Chinesen noch eine Stunde und vierzehn Minuten in einer höchst komplexen Stellung, in der die Spieler noch nicht einmal im Clinch sind.
In dieser Stellung hat Weiß zwei etwa gleichwertige Alternativen. Gukesh konnte mit dem Springer auf c4 schlagen und sich auf ein taktisches Gemetzel einlassen, oder aber er spielt hier den pragmatischen elften Zug mit dem Randbauern und sichert sich das Läuferpaar, eine oft praktizierte grundsätzliche Idee im Turnierschach. Der Junge aus Chennai entscheidet sich nach sieben Minuten für die pragmatische Herangehensweise und sichert sich anhaltenden positionellen Vorteil.
Der Höhepunkt der Partie
Es ist fast tragisch was im Kontrollzug diesmal auf dem Schachbrett passiert. Ding hatte sich mit findiger Verteidigung aus einer prekären Lage befreit und hier hatte er eine perfekte Festung errichtet. Solche passiven Verteidigungen sind jedoch oft die falsche Idee, daher ist der aktive Zug mit dem König nach e5 spieltaktisch verständlich. Aber der Königszug ins Zentrum kommt leider zum komplett falsches Zeitpunkt.
Gukesh erschwert sich in dieser Stellung seine Aufgabe erheblich, da er mit seinem König nach e1 zieht und dieser dort eher anfälliger für Schachgebote des gegnerischen Turms steht, jedenfalls nicht besser als auf f1. Dennoch steht Ding in der Folge erneut vor einer schwierigen Aufgaben.
Es war mir unerklärlich, warum er nicht das einfache 44. h4 anstelle von Ke1 gespielt hat. Faustregel: „Wenn du einen Freibauern hast, lass ihn SCHNELL laufen!“ Sein König war auf f1 besser aufgehoben, damit er seinen Läufer auf f3 verteidigen kann, falls nötig. Der König auf e1 hatte nicht wirklich einen Zweck.
Susan Polgar Großmeister Frauen Ex-Weltmeisterin
Chessbase India meldet 205.000 Livezuschauer ihrer Show aus Mumbai. Einige Stunden später haben zwei Millionen Zuschauer in das Youtube-Video der indischen Edelfans zumindest hineingeclickt. Die Aufmerksamkeit für Schach erreicht in Indien immer neue Dimensionen.