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HomeSchachweltmeisterschaft 2024Gukesh obenauf in der dritten Partie

Gukesh obenauf in der dritten Partie

Foto: Eng Chin An (FIDE Chess)

Von Thorsten Cmiel

Ding und seine Eltern lächelten als sie sich in Richtung Spielsaal begaben. Vier Stunden später saß der Chinese versteinert in der Pressekonferenz, den Kopf leicht gesenkt. Sein Gegner hatte ihn kalkulatorisch an die Wand gespielt nach nur einem eigenen Fehler. Das Match steht unentschieden, aber es fühlt sich wie eine Führung für den Inder an.

Zu Beginn jeder Runde marschieren die Spieler kurz an etwa 100 Zuschauern vorbei, die die Matadore geduldig erwarten und dann kurz die Aufmerksamkeit ihrer Stars haben wollen. Die haben allerdings anderes vor und lächeln brav. Gukesh kommt nach Ding Liren heute. Beide Spieler verschwinden in ihren Ruheräumen, bevor sie dann einzeln den Cube, das Glashaus in dem gespielt wird, betreten.

Gukesh startet die Partie diesmal erwartungsgemäß mit dem Damenbauern, den er zwei Felder nach vorne schiebt. Noch gilt es für beide Spieler die Vorbereitung des Gegners zu erkunden. Ding reagiert zunächst mit seinem Königsspringer, Gukesh antwortet genau so und Ding hält dann im Zentrum mit seinem Damenbauern dagegen. Für das Eröffnungsteam von Gukesh dürfte das wertvolle Hinweise liefern, welche Varianten der Chinese spielen und welche er vermeiden will. Etwa so könnten die Überlegungen sein: Damengambit gegen den Springer auf f3 ist Team Ding recht, aber eventuell will man damit abgelehnte Damengambit-Systeme in denen Weiß seinen Königsspringer nach e2 ziehen könnte, vermeiden.

Gukesh sucht zunächst eine bequeme Sitzposition und rückt den Kragen zurecht. Danach lehnt sich der Inder zurück mit verschränkten Armen, die er auf die Tischkante legt. Gukesh scheint zu meditieren. Ding Liren zu beobachten ist heute vermutlich interessanter, da er unruhiger wirkt. Der Chinese weiß nicht so genau wie er seinen Kopf stützen soll und wechselt immer wieder die Denkerpose. Mal stützt er den Kopf, mal bedeckt er den Mund mit der einen Hand. Recht früh zieht der Chinese sein Jackett aus, wie meistens noch bevor die Fotografen den Cube nach etwa zehn Minuten verlassen. Nur die zwei Hauptfotografen Maria Emelianova und Eng Chin An dürfen bleiben. Ding Liren ist bereits mit seiner ersten wichtigen Entscheidung beschäftigt und wirkt unentschlossen auf mich.

Wir sind im neunten Zug angelangt. Gukesh hatte zuletzt mit dem g-Bauern von g2 nach g4 gezogen und damit den schwarzen Läufer auf f5 befragt. Ding steht vor seiner ersten schwierigen Entscheidung heute. Der Chinese kann den Läufer wegziehen oder er tauscht vorher auf b3 und gewinnt die zusätzliche Option seinen Läufer nach c2 zu ziehen. Das kann allerdings riskant sein, weil der Läufer auf c2 immer mal anfällig postiert ist. Ding rutscht immer wieder auf dem Stuhl hin und her. Anders als Gukesh, der sich für einen Gamingchair entschieden hat, sitzt Ding auf einem modernen Sitzmöbel, das man in einem modernen Büro finden könnte. Dann kommt die Entscheidung Ding tauscht in der Tat die Damen und zieht seinen Läufer nach c2 und greift den Bauern b3 an. Der Inder schaut auf, denkt kurz nach und entwickelt seinen schwarzfeldrigen Läufer nach f4.

Die kritische Phase

Die Eröffnung scheint sich bislang für den Inder mehr auszuzahlen. Sein Zeitvorteil nach 14 Zügen beträgt etwa 50 Minuten. Nach etwa sechszehnminütigem Nachdenken zieht Gukesh seinen g-Bauern erneut nach vorne. Ein zweischneidiger Zug, der sich falsch anfühlt; objektiv war der Zug tatsächlich nicht gut, da der Gegner nach richtigem Spiel mehr als ausgleichen kann. In der abschließenden Pressekonferenz erwähnt Gukesh genau diesen Moment, er sei zuversichtlich gewesen.

Das ist die Stellung bevor Gukesh g4-g5 spielte. Bis hierhin hatte Ding sich sehr gut verteidigt und in den nächsten Zügen findet der Chinese weiterhin die besten Verteidigungszüge. Die Stellung ist objektiv sogar besser für den Chinesen, aber die Spieler wissen das nicht. Maurice Ashley, der den Moderator auf der Bühne gibt, konfrontiert die beidem Spieler mit einer vom Computer erdachten Variante, die besser für Schwarz ist. Beide Spieler hatten es anders bewertet. Mir fällt ein Spruch im Fußball ein: „Entscheidend ist auf dem Platz“.

Der entscheidende Fehler

Zuletzt hatte Ding Liren seinen Turm nach h5 gezogen und den Bauern auf g5 attackiert. Ein Fehler wie die Zuschauer an den Bewertungsbalken weltweit beobachten können. Jetzt kommt Bewegung in die Partie und den Inder: Gukesh sieht seine Chance sofort, er ist normalerweise ganz ruhig am Brett, aber in diesem Moment erkennt er seine Chance. Gukesh bewegt seinen ganzen Körper für einen kurzen Moment. Dann reguliert er seine Emotionen etwas runter und schaut stoisch wieder auf das Brett. Er spielt seinen Königsbauern zwei Schritte nach vorne und die Gukesh-Spiele beginnen.

Es ist die völlig falsche Einschätzung zu glauben Gukesh fehle es an Intuition. Der Inder bevorzugt aber eine wesentlich konkretere Herangehensweise als andere Spieler. er glaubt nicht was er nicht durch eine Variantenberechnung beweisen kann.

Gukesh rechnet – Ding verliert auf Zeit

Tatsächlich ist die Angelegenheit danach keineswegs einfach. Es wird kalkulatorisch anspruchsvoll bleiben. Aber jetzt ist der Inder in seinem Element. Gukesh und Ding in Bestform vor einigen Jahren sind die besten menschlichen Rechner auf der Welt.

Betrachten wir zuletzt diese Stellung: Gukesh hat keine Angst gezeigt bin hierhin. Sein Gegner droht erstmals seit langer Zeit etwas – gemeint ist das Springerschach auf f3. Der Inder wehrt die Drohung mit leichter Hand ab, indem er hier seinen König elegant aus der d-Linie entfernt. Der Seitenschritt mit dem König nach e2 und Ding muss erkennen, dass er keinen sinnvollen Springerzug zur Verfügung hat.

Es ist zu Ende. Im Pressezentrum beginnen die ersten Journalisten zu packen, denn die Pressekonferenzen finden in einem anderen Hotel statt und dahin muss man einen Bus bekommen, der vor dem Equarius Hotel, dem Spielort, wartet. Im Cube überschreitet Ding im 37. Zug die Zeit, man erinnert sich, dass die Spieler bis zum 40. Zug ohne Inkrement spielen. Die Stellung war jedoch ohnehin verloren.

Pressekonferenz

Gukesh dominierte die Pressekonferenz und wirkte sehr entspannt. In seiner gewohnt analytischen Art ließ er sich weder durch den Moderator noch ein Zitat von Magnus Carlsen zur ersten Partie aus der Ruhe bringen. Eine Spitze gab es dann doch. Magnus habe 2013 bei seiner ersten WM-Partie in Chennai auch nicht so gut gespielt. Souverän gekontert.

„Es fühlt sich großartig an. In den letzten zwei Tagen war ich sehr zufrieden mit meinem Spiel und heute konnte ich meinen Gegner überspielen, was sehr schön war. Ich war bis zum dreizehnten Zug vorbereitet, ich schätze, er hat versucht, sich an etwas zu erinnern, aber vielleicht hat er sich an irgendeinem Punkt vertan. Meine Stellung nach g5, mit diesem Plan f3-e4, scheint für ihn sehr wackelig zu sein“.

Gukesh kurz nach der dritten Partie.

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