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HomeSchachweltmeisterschaft 2024Mit Remis in den Ruhetag

Mit Remis in den Ruhetag

Das Objekt der Begierde. Die WM-Trophäe. Foto: Eng Chin An

Von Thorsten Cmiel

Es bleibt dabei: der Weltmeister ist mit jedem Unentschieden zufrieden und Gukesh demonstriert sein Interesse an langen Partien. Er mag es Schach zu spielen, sagt er. Dafür ist er sogar bereit leicht schlechtere Stellungen weiter zu spielen. Die Matchstrategien der Kontrahenten werden deutlich.

Die Spieler zeigen sich gut vorbereitet heute. Ding Liren spielt das Londoner System eine solide Spielweise, die sich angesichts ihrer Einfachheit beim Erlernen besonders bei Amateuren großer Beliebtheit erfreut. Dann passiert etwas. Der Inder weicht offenbar ab von der vom Chinesen vorbereiteten Variante und was vom Maschinenraum vorgeschlagen wird. Das ist normalerweise ein Zeichen einer etwas ungenauen Spielweise. Nicht dramatisch, aber ein Zeichen. Es folgt die längste Denkphase eines Spielers im bisherigen Match.

Nach 20…Df5 nimmt sich Ding eine längere Auszeit. Zu Beginn hat der Chinese noch einen komfortablen Zeitvorteil von etwa sechsundvierzig Minuten. Am Ende werden es noch drei Minuten sein. Liren ändert immer wieder die Denkpose. Rutscht hin und her bis er dann die richtige Position gefunden hat für einige Minuten. Der Chinese sitzt manchmal leicht vorgebeugt, sein rechter Unterarm liegt auf dem Tisch, der andere stützt seinen Kopf oder er vergräbt seinen Kopf zwischen den Armen und schaut auf den Tisch. Dann nach 43 Minuten, plötzlich, schlägt Ding den c6-Bauern. Der beste Zug. Gukesh nimmt im Gegenzug sofort den Bauern auf e5, steht auf, reckt sich ein wenig. Ding bietet den Damentausch an und läuft aus dem Raum, der Inder reagiert sofort und verzichtet auf die weitere Vereinfachung. Erneut bietet der Chinese den Tausch der Damen an, aber der Inder sträubt sich. Das Szenario wiederholt sich. Dann im 26. Zug kann Gukesh den Zug seiner Dame von g5 nach e7 ankündigen und so dreimalige Stellungswiederholung reklamieren. Nach zwei Stunden könnte es heute vorbei sein. Im Pressezentrum packen sämtliche Journalisten ihre Sachen zusammen, denn zur abschließenden Pressekonferenz muss man in ein anderes Gebäude, ins Sentosa Convention Center, das Teil eines anderen Hotels ist.

Aber der Inder hat noch nicht genug gesehen und will seinen Gegner nicht so einfach davon kommen lassen. Das ist riskant von Gukesh, aber wenn irgendwer hier und heute etwas riskiert, dann wird es der Junge aus Chennai sein. Der Inder ist sich seines Risikos durchaus bewusst. Er nimmt es trotzdem in Kauf. Es scheint für das Team des Inders wichtiger zu sein, ein Zeichen zu setzen: Ich spiele gegen dich jede Stellung weiter, anders als du.

„Ich dachte, ich könnte aus der Eröffnung heraus etwas schlechter stehen, ich war mir nicht einmal sicher. Aber mit den offenen Linien vor seinem König dachte ich, dass ich immer Gegenspiel haben würde, und ich sah keinen Grund, die Stellungswiederholung zu nehmen. Natürlich habe ich nicht auf Sieg gespielt, ich wollte nur noch ein paar Züge spielen und sehen, was passiert.“

Gukesh zu seiner Entscheidung im 26. Zug das stille Remisangebot auszuschlagen.

Einen Zug nachdem Gukesh seine Dame nach h4 gezogen hatte und damit eine offensichtliche Drohung gegen den Turm auf e1 verbunden gewesen war, konnte hier der Chinese seinen c-Bauern ins Rennen schicken und Gukesh wäre in den Rücksitz gedrückt worden vom Weltmeister. Danach ist der Turmzug nach d8 keine Option, da Weiß gerne die Dame gegen zwei Türme gibt und sein c-Bauer entscheiden sollte. Aber Ding machte gar nicht erst den Versuch auf Gewinn zu spielen. Der Chinese zog seine Dame nach e5, um, na klar, die Dame erneut auf f4 oder g3 zum Tausch anzubieten.

In der anschließenden Pressekonferenz erwähnte Ding hier selber, dass er überlegt habe mit Dg5 weiter auf Gewinn zu spielen. Er hätte es tun sollen. Als Beobachter fragt man sich zwangsläufig warum der Weltmeister angesichts des bisher durchaus guten Verlaufs und der vielen Chancen nicht optimistischer drein schaut. Ich ertappe mich dabei, zu erraten wie Ding wohl das Remis forcieren wird. Dann im 43. Zug war es so weit. Ding hat eine Art forcierten Weg gefunden, indem er mit seinem Turm Schach auf g2 gibt und nach Rückzug des gegnerischen Königs diesen wieder vor den gegnerischen Freibauern stellt. Diesmal hat Gukesh genug gesehen. Er steht auf und erwartet die dreimalige Stellungswiederholung.

„Ich habe das Gefühl, dass ich meinen Vorteil in einem kritischen Moment verliere. Das muss ich in den nächsten Spielen verbessern“, sagte Ding direkt nach der Partie.

Es geht in den zweiten Ruhetag. Für Gukesh ist sein Vater immer dabei. Für Ding Liren sitzen Vater, Mutter und neuerdings auch Richard Rapport verteilt im Presseraum. Die Stimmung ist ausgelassen auf der Pressekonferenz nach der sechsten Partie. Von Eiscreme und Memes ist die Rede. Vor allem der Ruhetag gefällt vielen. Mein Eindruck: Gukesh ist psychologisch inzwischen im Vorteil, wenn auch das Match mit Drei beide immer noch ausgeglichen steht.

Foto Credits: Maria Emelianova Chess.com und Eng Chin An, beide (FIDE Chess).

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