
Leon Luke Mendonca in 2024 (Foto Dariusz Gorzinski)
Beim Schach geht es um ständiges Lernen. Wegen der größeren Spielstärkeunterschiede sind oft die Partien in der Gruppe der Challenger spannender. Aber bei den „Großen“ ging es 2025 in der ersten Runde ebenfalls heiß her.
Von Thorsten Cmiel
In der Erstrundenpartie zwischen Leon Luke Mendonca, dem indischen Vorjahresgewinner der Challenger, und Vincent Keymer, dem stärksten deutschen Spieler, kam eine zunächst sehr scharfe Variante auf den Tisch und beide Spieler zeigten sich gut vorbereitet. Die Stellung kann nach der Eröffnungsphase als gleichstehend bezeichnet werden, wobei Keymer mehr Zeit verbrauchte. Kritisch wurde es dann zunächst an dieser Stelle.
Hier war der Deutsche mit Schwarz am Zuge und trifft eine merkwürdige Entscheidung. Schwarz sucht nach Aktivität und entscheidet sich einen Turm nach e6 zu ziehen, mit den Zielfeldern g6 und h6. Nur welchen Turm soll er bringen? Die Sache scheint eigentlich recht einfach. Keymer entschied sich dennoch falsch. Wobei man durchaus genauer hinschauen sollte, bevor man ein zu vernichtendes Urteil fällt. Die richtige Antwort war: Der Turm auf der 5. Reihe steht aktiver als der auf der achten Reihe, daher war es die logische Wahl den Turm von der achten Reihe nach e6 zu ziehen. Ein anderes und wichtigeres Argument ist etwas um die Ecke gedacht. Was war der Nachteil, den der Rückzug des Turmes mit sich bringt? Weiß kann einfacher seinen c-Bauern nach vorne ziehen. Auch nach dem anderen Turmzug war weißes c4-c5 richtig, um den eigenen Läufer zu aktivieren, aber Schwarz konnte dann den Bauern einfach schlagen und die Stellung in seichtere Gewässer überführen.
Der Inder hatte zuletzt richtigerweise den c-Bauern vorgezogen und droht jetzt mit c5-c6 den gegnerischen Läufer auszuschließen. Erneut ist Vincent Keymer dran und muss sich für ein Feld für seinen Läufer entscheiden. Er entschied sich für das Feld e4 von dem er den Bauern f5 deckt. Die Alternative war das Feld d5, um ein Aktivieren der gegnerischen Dame zu unterbinden. Schwarz konnte jetzt mit der sozusagen umgekehrten Denkweise seinen besten Zug finden: Welchen Nachteil hatte der letzte Zug meines Gegners? Leon Luke entschied sich richtig und zog seine Dame nach c4 und fesselte den gegnerischen Turm auf e6.
Weiß kann hier einen Bauern auf f5 schlagen und die fehlende Deckung der Dame auf h4 nutzen, oder er kann seinen c-Bauern weiter auf Reisen schicken und so die Koordination im gegnerischen Lager stören. Schwarz muss mit seiner Dame den Turm auf e6 decken, um den Turm auf der Grundreihe gegen den gegnerischen c-Bauern einsetzen zu können. Mit ausreichender Denkdisziplin hätte der Inder den Bauern auf f5 nicht geschlagen. Erneut konnte Schwarz den Nachteil dieses Manövers ermitteln. Er tat es nicht und zeigte sich maximal gierig und nahm den Bauern auf f5.
Eine weitere Stellung mit der wir uns zunächst beschäftigen sollten: Leon Luke fühlt sich von der gegnerischen Dame auf g4 gestört und wollte diese daher zunächst vertreiben. Aber wie macht man das am einfachsten? Bei sofortigem Anrempeln mit dem h-Bauern konnte Schwarz mit seiner Dame nach g3 ziehen und steht da recht störend, da der weiße König danach den eigenen Turm auf f2 gedeckt halten musste. Weiß steht dann zumindest potentiell auf der Grundreihe gefährdet, auch wenn Weiß zunächst seinen König wegziehen musste und der Läufer auf e4 ebenfalls im Weg steht. Der indische Großmeister investierte zehn seiner verbliebenen 24 Minuten Restbedenkzeit und fand nichts besseres als seinen h-Bauern nach h3 vorzuschieben. Mit dem Gedanken der gegnerischen Antwort im Kopf wäre er vielleicht auf den sehr starken Läuferzug nach e5 gekommen. Das nutzt die Fesselwirkung der Dame auf c4 aus und manifestiert die weiße Überlegenheit.
Fazit
Das Prinzip Drawback ist eine systematische Denkhilfe. Dabei überlegt man sich welchen Nachteil haben meine oder die gegnerischen Züge. Dieses Denken hatte die Partiefortsetzung in der Partie weiter prägen sollen. 24.c4-c5 und einen Zug später der Zug der Dame nach c4 waren solche Züge. Im 28. Zug konnte Weiß bei disziplinierter Herangehensweise (Drawback) den richtigen Zug seines Läufers nach e5 finden. Am Ende entschied ein grober taktischer Fehler die Partie recht abrupt.
"Chess is a slippery slope" says Howell, as Keymer's second mistake in a row leaves him in a lost position vs. last year's Challengers winner Mendonca! https://t.co/DwBT7UN7m0#TataSteelChess pic.twitter.com/Xv2i57jGDW
— chess24 (@chess24com) January 18, 2025
Der Moment beim zweiten schlechten Zug von Keymer hintereinander.
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