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HomeDiskussionen in der SchachweltDeutsche Frauen in der Krise

Deutsche Frauen in der Krise

Titelfoto: Dariusz Gorzinski. Dortmund 2024.

Wäre das Ergebnis ein Team-Resultat bei einer Schacholympiade, dann hätte das deutsche Team elf Punkte geholt und wäre im Mittelfeld gelandet. Die jüngsten Resultate sind allerdings von der Frauen-Europameisterschaft auf Rhodos, also einem Einzelturnier. Ein Kommentar.

Von Thorsten Cmiel

Es ist natürlich angenehmer über Erfolge der deutschen Spitzenspielerinnen und Spieler zu schreiben. Da gab es kürzlich Positives zu berichten: Das hervorragende Abschneiden von Matthias Bluebaum und Frederik Svane bei der Europameisterschaft 2025 beispielsweise. Oder Vincent Keymer, der ordentlich Geld bei Spaßturnieren einsammeln konnte.

Bei den Frauen hatte zuletzt die langjährige deutsche Spitzenspielerin Elisabeth Pähtz (40) eingeräumt, dass sie international mit den jüngeren Spielerinnen nicht mehr mithalten kann. Ihre Auftritte bei den letzten Grand-Prix-Turnieren missglückten sämtlich. Folgerichtig kündigte sie (erneut) ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft an, vermutlich wird der eine oder andere Funktionär im deutschen Schach das bedauern, denn hinter Elisabeth ist in den letzten Jahren nur wenig Hoffnung hinzugekommen. Das räumt sogar der aktuelle Leistungssportreferent des Deutschen Schachbundes irgendwie ein.

Deutsche Frauen bei der EM auf Rhodos

Quelle: Chess-Results.

Elisabeth Pähtz meldet sich

Als bei Facebook Kritik am Abschneiden der deutschen Frauen aufkam, verteidigte Pähtz ihre früheren Mitstreiterinnen. In Kurzform: Es war kein Betreuer auf Rhodos dabei und unter dem vorherigen Präsidenten war die Unterstützung besser.

Ein Funktionär aus den Ländern, der hier anonym bleiben soll, äußerte sich dazu so: „Ich sag mal so: damit Elisabeth, die ja an Ullrich Krause und Markus Fenner wenig Gutes auszusetzen hatte, sich so äußert, da muss schon echt eine Menge passieren.“ Dieser Funtionär sieht Veränderungsbedarf: „Zur Leistungssportförderung im DSB ließe sich viel sagen, aber belassen wir es erstmal bei ’so wie es ist, kann es nicht weitergehen‘.“

Elisabeth Pähtz zu der hier zitierten Einschätzung über Ullrich Krause.


Auszüge aus dem aktuellen Lagebericht

Gerald Hertneck – Referent für Leistungssport beim Deutschen Schachbund – bezeichnet das Turnier als „durchwachsen“ in seinem aktuellen Bericht über die Frauen. Zu beachten ist, dass der folgende Textauszug am 8. April 2025 verfasst wurde, es waren sieben Runden auf Rhodos gespielt. Danach verschärfte sich die Situation im Turnier, gemeint ist die Europameisterschaft auf Rhodos, leider noch weiter.

„Aktuell bewegen sich die Platzierungen aller Spielerinnen um den 40. Platz herum. Besonders unsere Spitzenspielerin IM Dinara Wagner spielt deutlich unter ihren Möglichkeiten, das muss man ganz klar sagen. Auch aus Elo-Sicht können die Frauen schwer mit der Spitze im internationalen Frauenschach mithalten, denn nur eine Spielerin hat über 2400 Elo, und übrigens kratzt GM Elisabeth Pähtz inzwischen auch an der 2400-er Marke, d.h. sie liegt nur noch knapp drüber. Alle anderen Spitzenspielerinnen liegen eher bei Elo 2300.


Leider, das muss man sagen, ist das deutsche Frauenschach derzeit nicht in der besten Verfassung, und ist auch nicht klar, wie man das ändern kann, nachdem das Programm Powergirls nicht die gewünschten Erfolge gezeigt hat, d.h. zu keiner nachhaltigen Verbesserung der Spielstärken der Nationalspielerinnen geführt hat…“

Immerhin ist Geld durchaus vorhanden wie Hertneck im weiteren Berichtstext anmerkt:

Stand der Kürzungen im Budget Leistungssport


„Das Budget für den Bereich Leistungssport (Nachtrag 2025) sowie Planung für die Jahre 2026 und 2027 wurden im März mit dem Vizepräsidenten Finanzen besprochen, und liegt wie immer im sechsstelligen Bereich. Das klingt nach viel, ist es aber in der Praxis nicht, weil auch viele Turniere zu bedienen sind, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern, bei den Nachwuchsspielern als auch bei den Nationalspielern, sowie bei den Einzel- als auch bei den Mannschaftsmeisterschaften! Das Ganze dann noch auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene! Jedoch konnte in Abstimmung mit dem Vizepräsidenten Finanzen eine teilweise Rücknahme der Kürzungen erreicht werden, allerdings noch nicht in dem Maße, dass der Leistungssport wieder auf dem Niveau von vor der Kürzung (Jahr 2022) liegt. Wir danken dafür, dass das Präsidium ein offenes Ohr für die Belange des Leistungssports gezeigt hat.“

Der vollständige Bericht von Gerald Hertneck zum Nachlesen.

Gerald Hertneck war ein glühender Verfechter und einer der Initiatoren der „Powergirls“. Das ist ein von der der Immobiliengruppe Krulich gefördertes Programm, um die deutschen Spitzenfrauen im Schach zu fördern. Das Programm startete im August 2021.

Mehr Informationen zu den Powergirls.


Eingeständnis der Ratlosigkeit

Beim Deutschen Schachbund gibt es neben Gerald Hertneck auf Funktionärsebene und im Hauptamt mehrere Verantwortliche. Zu nennen sind neben dem Referenten für Leistungssport noch der Vizepräsident Sport, der Bundestrainer der Frauen und ein hauptamtlicher Sportdirektor. Jetzt sollte man die Spielerinnen, die natürlich in erster Linie selbst verantwortlich sind für ihre Ergebnisse, nicht unerwähnt lassen, aber die Frage ist wer sich für die Misserfolge vor das Team stellt und wer das Ruder konzeptionell herumreißt? Denn es ist auch nach der eher durchwachsenen Schacholympiade erneut deutlich geworden, dass trotz Förderung irgendetwas nicht funktioniert bei den besten deutschen Frauen.

Unrealistische Ziele

Die Idee war eindeutig zu ambitioniert bei Spielerinnen über zwanzig Jahren eine signifikante Spielstärkeentwicklung zu erwarten. Das Powergirls-Programm musste insofern scheitern. Der Autor dieses Kommentars hatte hierzu früh einen Austausch mit Hertneck via Facebook und leider Recht behalten. Das Verfehlen dieses Zieles sollte man den aktuellen Spielerinnen nicht vorwerfen. Sie versuchen mit Sicherheit ihr Bestes. Die Frage ist wie es jetzt weitergeht mit den bisherigen Förderkonzepten. Man darf gespannt sein.

Was jetzt folgen sollte

In wenigen Wochen findet in Paderborn der Bundeskongress des Deutschen Schachbundes statt bei dem sich zumindest die zwei ehrenamtlichen Funktionäre (Vizepräsident Sport und Leistungssportreferent) erneut zur Wahl stellen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die Delegierten aus den Landesverbänden die Berichte – auch zu anderen Themen – nicht wie in der Vergangenheit zu oft – einfach nur zur Kenntnis nehmen, sondern diskutieren und, falls als sinnvoll erachtet, Veränderungen einfordern. Möglicherweise muss man die Spitzenförderung für Frauen im deutschen Schach neu denken. Es ist die Aufgabe von Funktionären und Delegierten die Weichen möglichst geschickt zu stellen und von einem Bundestrainer und dem Sportdirektor den Zug dann auf das richtige Gleis setzen zu lassen. Auch deren spezifischer Beitrag ist grundsätzlich zu hinterfragen.

Es wäre in jedem Fall erfreulich, wenn die Verantwortlichen im Schachbund künftig eine Idee entwickeln würden, wie man die Frauen zumindest mittelfristig wieder an die europäische Spitze heranführt. Mehr Geld war bisher immer die Antwort und vor allem bei Kürzungen die Entschuldigung der Verantwortlichen. Das verkommt aber zur Ausrede, wenn man kein mittelfristiges inhaltliches Konzept, das über gelegentliche Kadertrainings und Turnierzuschüsse hinausgeht, hinterlegt.

Alles muss auf den Tisch: Sollen vorhandene Mittel gezielter für wenige etablierte Spielerinnen eingesetzt werden? Vielleicht verzichtet man auf das Beschicken von Kinderturnieren bei den Mädchen? Andersrum wäre es genauso denkbar: Der DSB könnte einige Jahre Team-Turniere abschenken und verstärkt auf den Nachwuchs, also auf die jüngeren Generationen U20, setzen. Eine Diskussion zu führen und ein Meinungsbild einzuholen in Paderborn wäre immerhin ein Anfang.