Foto: Maria Emelianova Chess.com (FIDE Chess)
Von Thorsten Cmiel
Der Sekundant von Ding Liren rückt immer näher an das Geschehen heran. Diesmal mischte sich Richard Rapport unter die Wartenden vor der Partie und niemand kann behaupten, dass der Ungar seine Neugier auf das Geschehen verbarg. Erneut bekam sein Schützling Chancen, da Gukesh im Endspiel unvorsichtig agierte. Der Chinese nutzte jedoch seine Chance nicht, rückt aber näher ran und der Wettkampf scheint offener als zuvor.
Die Geschichte der Partie ist schnell erzählt: Gukesh griff erneut zum Königsbauern und der Chinese blieb bei der französischen Verteidigung. Diesmal wählte der Inder die Abtauschvariante, die als harmlos gilt, aber durchaus giftig sein kann, wie ausgerechnet Richard Rapport mit den weißen Steinen häufiger nachweisen konnte. Schon in der Eröffnungsphase tauschten die Spieler mehrere Figuren inklusive der Damen. Gukesh zeigte sich erneut etwas ambitionierter und warf bereits zum dritten Mal mit Weiß seinen g-Bauern mit einem Doppelschritt ins Rennen.
Das war der einzige Zug, der für Weiß noch etwas Hoffnung versprach, aber andererseits darf sich der Chinese über den Enthusiasmus bei seinem jungen Gegner freuen, denn das eröffnet ihm Chancen, ohne selbst ins Risiko zu müssen. Hier war der Vormarsch mit dem g-Bauern kein Fehler, aber auch kein grandioser Versuch. Es kam fast wie es kommen musste. Einige Züge später unterlief dem Inder ein Fehler.
Hier musste Gukesh auf e5 mit dem Turm schlagen und nach Turmtausch wäre die Partie schnell weiter in Richtung Remis geschippert. Aber der Inder schlug den gegnerischen Läufer mit dem d-Bauern und bereute seine Entscheidung sofort. Ding Liren pflanzte seinen Springer nach d3 und erhielt einen gedeckten Freibauern auf d3. Es gab hier eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit einer Partie der beiden Spieler wenige Monate zuvor beim Sinquefield Cup in Saint Louis. Dort hatten die Spieler mit vertauschten Farben die folgende Stellung auf dem Brett.
Hier konnte der Chinese mit Weiß(!) im 22. Zug seinen Turm nach e1 ziehen und seinen Angriff gegen die geschwächte schwarze Königsstellung weiter vorbereiten. Stattdessen wickelte der Weltmeister ins Remis ab, indem er mit dem Läufer den Bauern auf g6 schlug und kurze Zeit später Dauerschach gab. Bemerkenswert ist die seltene Bauernkonstellation im Zentrum. Denn genau diese kam in Singapur in der fünften Partie erneut auf das Brett.
In dieser Stellung befürchtete Gukesh den Läuferzug nach e6. Nach dem Turmzug nach d5 stabilisiert Schwarz zunächst die Stellung weiter mit seinem Turm, den er nach c8 stellt, dann den König bringt und falls sinnvoll seine Damenflügelbauern ebenfalls. Der Inder hätte danach eine schwierige Verteidigung vor sich gehabt.
Insgesamt war die Chance auf einen vollen Punkt durchaus vorhanden. Entsprechend sah man den Chinesen nach der Niederlage in der dritten Partie durchaus wieder positiver in die Zukunft schauen.
Der Weltmeister zeigte sich bei der anschließenden Pressekonferenz lächelnd, immer wenn er Fragen in seiner Muttersprache beantworten konnte. Trotz des positiven Verlaufs der Partie war der Chinese etwas enttäuscht über die ausgelassenen Möglichkeiten. Von Gukesh waren erstmals eher selbstkritische Worte zu hören, was für ihn spricht. Der Inder hat einen sehr ausgeprägten Hang dazu, sein Spiel objektiv zu bewerten. Sehr schön fasst die Spannungssituation im Match und seine Erwartungshaltung ein erfahrener Weltmeistercoach zusammen.
Gukesh macht zu viel Druck, Ding zu wenig. Eine sehr vernünftige Strategie von beiden, aber wenn einer von ihnen den Gang wechselt, sollte es auch der andere tun!
Peter Heine Nielsen, dänischer Großmeister auf X vormals Twitter.