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Der Logik eines Zuges auf der Spur

Titelfoto: Dariusz Gorzinski

Es gibt Züge in Schachpartien, die zu entdecken und vor allem sie zu spielen macht Spaß. Ein solcher Moment war in der Partie von Alireza Firouzja und Nodirbek Abdusattorov möglich. In dem Fall zog der Franzose in hoher Zeitnot anders und Nodirbek gewann sogar noch, nachdem er lange Zeit vorher auf Verlust gestanden hatte.

Von Thorsten Cmiel

Der hier gesuchte Zug ist aus der Kategorie „Simply the Best“.


Nodirbek hatte zuletzt seine Dame von g6 nach g5 gezogen und damit zwar den Turm auf f7 ungedeckt stehen lassen. Gleichzeitig hatte der Usbeke eine eigene Drohung aufgestellt und zwar den Bauern d2 mit Schachgebot zu schlagen. Beide Spieler verfügten nicht mehr über sehr viel restliche Bedenkzeit. Wer etwas systematisches Schachtraining erlebt hat in seiner schachlichen Entwicklung, der wird von Trainern auf das Vorhandensein von Kandidatenzügen aufmerksam gemacht. Folgen wir diesem Gedanken und machen wir uns systematisch auf die Suche.

Typische Züge sind hier Deckungszüge des Bauern d2. Dazu ist beispielsweise der Königszug nach c1 geeignet, ein Zug des Turmes nach e2 oder nach d1. Diese Antworten auf die Drohung sind allerdings sehr passiv gedacht. Solche Züge sollte man in Situationen, in denen der Gegner die Initiative zu erobern droht, also das Heft des Handelns zu übernehmen droht, möglichst vermeiden und stattdessen eine aktivere Antwort suchen. Das passiert durch das Aufstellen einer eigenen Drohung. Eine Möglichkeit besteht im Schlagen des Turmes auf f7 und ignorieren der schwarzen Drohung. Weiß könnte auch mit seinem Turm nach e8 ziehen und ein Matt auf a8 drohen.


Beginnen wir mit dem Aufstellen einer direkten Gegendrohung. Auch das lernt man im systematischen Schachtraining. Das gewährleistet der siebenunddreißigste Zug des Weißen, der seinen Turm nach e8 stellt und ein Matt auf a8 droht. Dieser Zug wirkt bedrohlich, aber was passiert eigentlich nach dem Schlagen des Bauern auf d2 mit Schachgebot auf d2? Hier gilt es eine kurze Variante zu berechnen.

Nach den Zügen 37.Te8 Dxd2+ 38.Ka3 Dc1+ 39.Ka4 Da1+ 40.Kb5 Sxd5 verstellt der weiße König der weißen Dame den Weg und Schwarz wehrt die Mattdrohung ab. Wer noch etwas genauer hinschaut, der findet heraus, dass nach 41.cxd5 Tc7 – verhindert den weiteren Königsmarsch nach c6 – der schwarze König sicherer steht als der seines Gegners. Weiß stünde hier sogar auf Verlust, aber das war gar nicht gefragt.

Dieser erste Versuch auf Gegenangriff zu setzen scheint nutzlos, ist es aber nicht. Im Gegenteil. Der Zug hilft uns auf der Suche nach der richtigen Idee. Weiß könnte jetzt seine Bemühungen bei der Suche nach einer aktiven Antwort einstellen und einen der erwähnten passiven Züge spielen. Also beispielsweise mit seinem König nach c1 ziehen. Das Problem wäre dann jedoch, dass der Schwarzspieler mit seinem Turm nach f2 zieht und die Drohung auf d2 zu schlagen erneuert. Schwarz übernimmt einfach die Initiative. Das ist ärgerlich für den Weißen. Durch den Zwischenzug mit der Dame von g6 nach g5 hätte er dann erreicht, dass sein Gegner kein Turmschach auf e7 geben kann. Diese Antwort wäre nach sofortigem Turmzug nach f2 eine Option für Weiß gewesen.


Aus den bisherigen Betrachtungen haben wir die Nachteile von einem passiven Zug, dem Decken des Bauern d2 mit dem König erarbeitet. Wir wissen auch, warum der Usbeke nicht zunächst seinen Turm aktiviert hat (36…Tf2). Der Zug des Turmes nach d1 ist natürlich ebenfalls kein empfehlenswerter Kandidat. In der Partie spielte Alireza aktiver, indem er seinen Turm nach e2 zog, so den Bauern auf d2 deckte und das Eindringen des gegnerischen Turmes nach f2 verhinderte. Was ist davon zu halten?


Ist die Ursprungsstellung also ausgeglichen?

Bisher haben wir keine zufriedenstellende Lösung in dieser Stellung gefunden. Passive Verteidigungen funktionierten nicht wirklich, um Vorteil nachzuweisen. Der Gegenangriff mit dem Turmzug nach e8 scheiterte ebenfalls. Die ursprünglichen Kandidaten beinhalteten ebenfalls keine Offenbarung. Das direkte Schlagen auf f7 war abwegig und führt sicherlich nicht zu weißem Vorteil. Sollte Weiß also kleinere Brötchen backen und sich mit Ausgleich zufrieden geben? Haben wir wirklich schon alle Möglichkeiten geprüft?

Wenn jemand so plump fragt, dann ist die Antwort bekanntlich: Nein. Wer hat noch eine Idee und wie findet man überhaupt noch Ideen nachdem wir die Kandidaten durchgegangen sind? Die Antwort ist Denkdisziplin und Erfahrung. Wer noch keine neue Idee hat, der sollte mit dem Nachschauen der Lösung noch etwas warten und weiter nach der Lösung suchen. Das bringt mehr.

Der Lösungszug zieht dem Schachgebot der Dame auf d2 den sprichwörtlichen Zahn. Der Kampf dreht sich um die Frage, wer die Initiative behält.


Der Swing

Diese Grafik stammt von Mehmet Ismail, der die Partien in Spitzenturnieren regelmäßig einer genauen Analyse unterzieht. Der angegebene Zahlenwert für verpasste Punkte hat folgende Logik: Ein Zahlenwert von 0.5 Punkten symbolisiert eine Situation in der ein Spieler eine Gewinnstellung in eine ausgeglichene Stellung verdirbt. Mit seinem nächsten Zug verdarb Alireza Firouzja seine Stellung komplett. Ein Zahlenwert von 1.0 – mit 0.98 sind wir nah dran – bedeutet entsprechend, dass ein Spieler mit seinem Zug eine Gewinnstellung in eine Verluststellung verwandelt hat. Alireza war in hochgradiger Zeitnot und zog mit verbliebenen 31 Sekunden auf der Uhr nach 18 Sekunden. Wer kritisiert, dass Alireza den Zug nicht gefunden hat, sollte nachweisen, dass er diesen Zug überhaupt findet.


Übung

Schwarz muss hier seinen vierzigsten Zug ausführen. Wer die Aufgabe vorher durchgearbeitet hat, der findet eine schicke Idee für den nächsten Zug auch hier und zwar schneller. Diese Aufgabe ist insofern weniger lehrreich, da es noch andere Gewinnzüge für den Schwarzspieler gab. Allerdings waren die weniger elegant.

Ich erinnere mich noch sehr genau an den Moment als ich diesen Zug fand. Es war sehr zufriedenstellend in manche zunächst ungläubige Gesichter von Zuschauern zu sehen. Einige blieben etwas länger stehen und gingen mit einem Lächeln.


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