Ein Gespräch mit Thorsten Cmiel
Das Gespräch mit André Schulz über seine 30 Jahre Schachjournalismus beim führenden deutschen Schach-Informationsportal fand Mitte Oktober 2025 im „Eclair au Café“ im Hamburger Stadtteil Winterhude statt. André Schulz hatte Anfang Oktober das gesetzliche Rentenalter von 66 Jahren und ein paar Monaten erreicht und ich will wissen, wie er Redakteur im Schachumfeld wurde und was er so erlebt hat. Es wurde ein längere Tour mit nachdenklichen Momenten, die im aktuellen Geschehen endete, denn beim Grand Swiss in Samarkand hatte sich an dem Tag unseres Treffens Matthias Blübaum für das nächste Kandidatenturnier qualifiziert und Vincent Keymer war nur knapp gescheitert.
Andrés Weg zum Schachredakteur begann als ehrgeiziger Teenager im Godesberger Schachklub. Nach einem Germanistik/ Philosophie-Studium stieg er 1991 bei ChessBase ein. Er zog zunächst alleine nach Hamburg und seine damalige Freundin und jetzige Frau kam nach, als sie ebenfalls einen Job in Hamburg fand. Anfangs war André bei ChessBase „Mädchen für alles“ und wurde etwa ab 1998 Redakteur der ChessBase-Webseite. Damals war die Webseite noch eine reine HTML-Seite, bevor sie später zu einer datenbankbasierten Plattform ausgebaut wurde. Die Aufgabe seiner Berichterstattung über die Dinge, die im Schach passieren, versteht er als positiv, unaufgeregt begleitend und nicht investigativ, da ChessBase Programme verkauft, nicht Nachrichten, und zudem enge, meist sehr freundschaftliche Kontakte zu Spielern und in die Schachszene pflegt.
André erinnert sich im Gespräch an Begegnungen mit Weltmeistern wie Kasparow, Anand und Carlsen; mit Magnus spielte er sogar mal Fußball. Die interne Struktur im Unternehmen war flach und die frühen Jahre als Pioniere auf dem Gebiet der Schachnachrichten im Internet erlaubten viele Experimente. Später dominierten mehr und mehr Turnierberichte und Fotogalerien. Mit Oliver Reeh streamte er ab 2003 regelmäßig Live-Sendungen. Er selbst war der spontan agierende „Sidekick“, Reeh der vorbereitete Taktik-Experte. Persönliche Beziehungen prägten später seine Arbeit, etwa zu Robert Hübner und Vlastimil Hort, über die er 2025 einfühlsame Nachrufe schrieb. André beobachtete in seiner Wirkenszeit den globalen Schachboom, besonders in Indien durch Anand und Carlsen, den er als zeitgemäßen Popstar sieht. In Deutschland fehle es für eine ähnliche Entwicklung wohl an der medialen Breite. Zur weiteren sportlichen Entwicklung von Matthias Blübaum und Vincent Keymer, die beim Grand Swiss weit vorne dabei waren, ist er verhalten optimistisch. Die jüngsten Erfolge unterstreichen Deutschlands sportliches Potenzial im Schach.
So richtig in Rente geht André Schulz aber doch noch nicht. Bei ChessBase ist er weiterhin – in reduziertem Umfang – als Redakteur beschäftigt. In der übrigen Zeit möchte er sich Projekten mit geschichtlichem Hintergrund widmen, nicht nur zum Schach. Nach einigen Jahren Turnierpause will André Schulz wieder Mannschaftskämpfe spielen und arbeitet an seiner „Wiedereingliederung“ beim Hamburger Schachclub von 1830.
Wie kamst du zum Schach?
Ich hatte in der Schulzeit mit ein paar Freunden in der Freizeit ein wenig Schach gespielt, ohne besondere Kenntnisse. Dann kam ein neuer Schüler in unsere Klasse und der war sehr viel besser und besiegte uns mit Leichtigkeit. Da hat uns der Ehrgeiz gepackt. Wir haben einen Schachkurs mitgemacht und kamen darüber in den Godesberger Schachklub. Mein Freund ist bald wieder ausgetreten, weil ihm das irgendwie alles zu spooky war. Der GSK residierte damals in einer dunklen Kneipe, Jugendliche gab es kaum.
Wie alt warst du damals?
Etwa 15 Jahre. Ich erinnere mich aber dunkel, dass ich schon 1972 die Weltmeisterschaft Fischer-Spasski verfolgt habe.
Das war noch vorher…
Genau. Ich hatte versucht, die Partien, die im (RR: Bonner) General-Anzeiger abgedruckt waren, nachzuspielen. Aber es gab da immer einige Druckfehler, und da ich keine Ahnung vom Spiel hatte, kam ich oft nicht weiter. Kurz nachdem ich in den Godesberger Schachklub eingetreten war, zog der Klub von der Kneipe in das Pfarrheim Sankt Marien und entwickelte sich dann grandios, muss man sagen. Es gab kaum einen Freitag, an dem ich nicht in den Schachklub gegangen bin. Ich habe viel geblitzt, auch beim Klubturnier mitgespielt. Am Sonntag wurden Mannschaftskämpfe gespielt. So bin ich zum Schach gekommen. Es gab noch ein paar andere Jugendliche, auch bessere als ich es war. 1979 haben wir uns mit der Jugendmannschaft für die Deutsche Jugendvereinsmeisterschaft qualifiziert und wurden Dritter. Bei dem Turnier war Gisbert Jacoby der Trainer von einer der Hamburger Mannschaften. Viele Jahre später bin ich ihm wieder begegnet. Dann habe ich studiert und gearbeitet und das Schach trat etwas in den Hintergrund.
Was hast Du studiert?
Germanistik und Philosophie.
Du musst dich nicht entschuldigen.
Im Nachhinein ist es aber schon eher komisch. Ich habe gerne gelesen und dachte das Germanistik-Studium macht mir Spaß, ohne daran zu denken, was man dann beruflich damit macht. Nebenfach Philosophie ist auch okay. Wenn man Philosophie studiert und sich damit beschäftigt, bleibt auch etwas hängen, was nützlich ist. Man lernt strukturiertes, logisches Denken zum Beispiel. Nach dem Studium habe ich in einem Familienbetrieb gearbeitet, war aber nicht richtig zufrieden. Irgendwann bin ich mit Matthias Wüllenweber ins Gespräch gekommen. Matthias hatte Ende der 1980er Jahre die Firma ChessBase hier in Hamburg gegründet. Meinen ersten Besuch bei ChessBase hatte ich Anfang 1991 und damals hatten wir schon darüber geredet, ob ich vielleicht anfangen soll. Dann haben sie aber jemand anderen eingestellt, aber im Sommer 1991 meldete sich Matthias noch mal bei mir und fragte mich: Jetzt könntest du, willst du? Und so begann es.
Bevor wir weiter zu deiner Arbeit als Redakteur kommen. Du lebst jetzt in Hamburg. Wie kam es zum Umzug?
Als ich angefangen habe bin ich alleine nach Hamburg gezogen. Ich war noch nicht verheiratet, lebte aber schon zusammen mit meiner Freundin. Sie hatte einen guten Job im Arbeitsministerium als Ministerialbeamtin. Dann haben wir aber entschieden, dass ich den Job in Hamburg annehme. Zunächst bin ich alleine hierher gezogen und wir führten eine Wochenendbeziehung. Meine Frau kam nach, als sie einen Job in einer Hamburger Bundesbehörde gefunden hat, im Bundesamt für Helgoland, wo sie dann in leitender Position tätig war.
Du kommst aus dem Rheinland und bis dann nach Norddeutschland gegangen. Das ist eine größere Umstellung gewesen, oder?
Dazu muss man sagen, dass ich genetisch gesehen eigentlich wahrscheinlich eher Pole bin. Meine Familie kommt nämlich aus Oberschlesien. Durch einen Zufall bin ich dann in Bonn-Bad Godesberg geboren. Aber Rheinländer wurden meine Familie und ich nicht. Als ich eingeschult wurde, habe ich mal für einen Tag oder so die Sprache, die im Rheinland üblich ist, angenommen und wurde sofort zur Ordnung gerufen. Es hieß: Wir sprechen Hochdeutsch.
Du hast bei ChessBase nicht gleich als Redakteur angefangen…
Nein. Anfangs war ich praktisch ‚Mädchen für alles‘. Damals gab es nur wenige Mitarbeiter. Ich glaube, es gab mehr Chefs oder Inhaber als Mitarbeiter in der Anfangszeit. Dann entwickelte sich die Firma rasant. Das war kurz nach der Wendezeit. Es gab viele neue Kunden aus den neuen Bundesländern, die sich für Schach interessierten und das ChessBase-Programm war ein innovatives Werkzeug für die neuen Personal Computer, die nun überall verkauft wurden. Als ich anfing, gab es bald ChessBase 4, noch für das DOS-Betriebssystem. Das hatte dann ein eingebautes Analysemodul, die Fritz-Engine, und das kam sehr gut an. Ich habe auch schon bald beim ChessBase-Magazin ein bisschen mitgearbeitet und einige Artikel geschrieben. Damals haben wir bereits Multimedia-Elemente eingebaut, kleine Filmchen und Video-Interviews. Ich habe aber auch viel im Support gearbeitet. Und dann kam das Internet. Das war so 1996/97. Wir haben eine Webseite erstellt. Anfangs hatte ich das Projekt noch zusätzlich zu meiner anderen Arbeit betreut. Ab 1998 ungefähr wurde die Betreuung unserer Webseite meine Hauptaufgabe. Die Seite wurde anfangs auf HTML-Basis erstellt. Ich habe mit dem Programm Frontpage gearbeitet und die Frontseite ausgetauscht, wenn es neue Nachrichten gab. Ab 1991 hatten wir dann ein Datenbank-basiertes Content Management System. So wurde ich verantwortlicher Redakteur.
Du warst dann dein eigener Chef? Gab es eine Struktur bei euch?
Eine flache Struktur. In der Anfangszeit war noch Gisbert Jacoby als Geschäftsführer dabei. Ich erwähnte ihn, als er 1979 noch Trainer in Hamburg war. Die Geschäftsführer haben sich die Zeit oder Aufgabe geteilt. Drei Tage war Jacoby im Büro anwesend und in der Zeit habe ich mit ihm eng zusammengearbeitet. Das war ganz nett, er war ein spezieller Typ. An den übrigen Tagen kamen entweder Frederic Friedel oder Matthias Wüllenweber. Jacoby schied Ende der 1990er Jahre aus dem operativen Geschäft aus und Rainer Woisin wurde Büroleiter und Geschäftsführer. Wir hatten fast eine eigene ChessBase-Schachmannschaft zusammenbekommen. Gisbert Jacoby, sein Sohn Florian, Matthias Wüllenweber und ich spielten zusammen bei der SG Mittelweg, die vom firmennahen Notar Matthias Biermann-Ratjen gegründet worden war. Als Redakteur war ich in dem Sinne mein eigener Chef, dass ich mir die Themen selber aussuchen konnte. In der Anfangszeit des Internets waren wir Pioniere. ChessBase hatte die erste professionelle Schachnachrichten-Webseite, auch im internationalen Bereich. Teilweise konnte ich Sachen ausprobieren. Einen Film reinpacken oder Audios. Ich habe viele alberne Aprilscherze gemacht. Die Struktur der Webseite hatte ich mir übrigens zum Teil bei Schalke 04 abgeguckt.
Bist du Schalke-Fan?
Ich bin Schalke-Fan. Das ist durch irgendeinen Zufall in der Jugend passiert.
Einmal Schalke-Fan, immer Schalke-Fan…
Natürlich. Und wir hatten mit Schalke große Zeiten in der Champions League. Dann lief es nicht so gut. Gerade jetzt geht es wieder, auf kleinem Niveau in der zweiten Liga. Jedenfalls haben wir deren Aufbau adaptiert für unsere Website. Mit einem rollierenden System, bei dem die neuen Nachrichten immer oben neu reingeschoben werden. Heutzutage hat sich das eigentlich überlebt, das müsste mal geändert werden. Damals konnte man sich noch die Themen aussuchen. Es gab noch nicht so viel Schachinformation im Internet. Das wurde erst später Standard. Man konnte sogar ein bisschen Kreativität entwickeln. Später dann sind die Turnierberichte immer mehr geworden und der Anteil der kreativen Sachen ist immer weiter zurückgedrängt worden. Ich hatte mir in der Anfangszeit inhaltlich „The Week in Chess“ von Mark Crowther als Vorbild ausgesucht. Mark war noch vor uns als Pionier unterwegs. Und ich habe gedacht, ich mache das so wie Mark, mit Partien und kurzem Bericht. Als Novität haben wir eine Art Schach-Illustrierter erfunden, indem wir viele Fotos zu den Berichten dazu gepackt haben. Wir haben neben den Turnierberichten aber auch noch andere Themen behandelt. Ich bin vielseitig interessiert, an Geschichte, nicht nur Schachgeschichte, auch an Kultur und Kulturgeschichte. Ich habe immer versucht, das Schachspiel oder Schachgeschehen mit anderen Themen zu verbinden, wenn es möglich war. Stell dir vor: Du berichtest über ein Schachturnier und es gibt keine weiteren Informationen. Nur die Partien und Ergebnisse. Was machst du jetzt? Du musst irgendetwas suchen, worüber du schreiben kannst. Und dann habe ich über die Orte geschrieben, an denen das Turnier stattfindet oder etwas über die Spieler. Das Fehlen solcher Informationen hatte ich vorher bei Schachzeitungen immer als Mangel empfunden. Es fehlten dort die Infos zu den Spielern und den Turnierorten und das Drumherum. Also habe ich versucht, es selber ein bisschen anders zu machen.
Jetzt kannst du kurz angeben. Du hast wahrscheinlich mit allen Weltmeistern in deiner Zeit mal ein Interview geführt.
Interviews vielleicht nicht unbedingt, aber zumindest habe mit ihnen gesprochen. Wir hatten natürlich viel Besuch. Das lag daran, dass Frederic Friedel, einer unserer Gesellschafter und Mitbegründer, ein großes Talent hat, Menschen zu begeistern, von seiner Arbeit und von ChessBase. Deswegen hatten wir sehr viel prominenten Besuch. Ich habe tatsächlich viele bekannte Spieler kennengelernt. Frederic war sehr eng mit Kasparow befreundet. Er war einige Male in Hamburg zu Besuch. Wir haben uns natürlich auch gelegentlich unterhalten. Anand war sehr oft bei uns. Er ist auch mit Frederic sehr gut befreundet. Wir haben uns auch angefreundet. Kramnik war ebenfalls mal bei uns. Alle drei haben bei uns Videokurse aufgenommen. In jüngerer Zeit waren auch Ding Liren und Gukesh bei uns. Natürlich haben uns auch viele große Spieler, die nicht Weltmeister wurden, besucht.




Magnus Carlsen?
Mit Magnus Carlsen habe ich mal Fußball gespielt.
Wie kam es dazu?
Zu der Zeit gab es ein Schach-Fußballgruppe, die relativ groß war. Die hat im Hamburger Stadtpark angefangen. Als es Winter wurde, sind wir in die Sporthalle der Schule umgezogen, in der Björn Lengwenus, Miterfinder von Fritz&Fertig, Schulleiter war. Zum 70sten Geburtstag der Wochenzeitung ZEIT wurde Carlsen für ein Simultan eingeladen. Das hatte der Zeit-Redakteur Ulrich Stock eingefädelt. Wir kennen uns ganz gut und Ulrich überlegte, was man Carlsen als Zusatzprogramm anbieten könnte. So kamen wir auf das Fußballspiel. Am Abend vor dem Simultan rief Carlsens Begleiter Arne Horwei an und sagte, dass Carlsen gerne am nächsten Vormittag mitspielen möchte. Das Problem sei aber, dass Carlsen keine Sportsachen mithatte. Es stellte sich heraus, dass Carlsen genau meine Größen hat und so konnte ich ihm Schuhe und Klamotten leihen. Dann kam noch Peter-Heine-Nielsen mit. In unserer Fußballgruppe gab es dann einen großen Andrang von Leuten, die alle dabei sein wollten.

Ist Magnus wirklich so ehrgeizig während des Spiels?
Unbedingt. Er spielte in Norwegen damals auch in einer Fußballmannschaft. In unserer Schachgruppe waren aber auch einige, die sehr gut Fußball spielen konnten. Magnus hat sich voll reingekniet. Hinterher hat er sich noch beklagt, der Ball sei zu groß, man müsse mit einem kleineren Ball spielen.
Dieser Ehrgeiz…
Er will immer gewinnen, egal, was er macht. Es war nett mit ihm, muss man sagen. Nachmittags war dann das simultan in der Speicherstadt. Das war nach meiner Erinnerung eine tolle Veranstaltung.
Ihr habt als ChessBase Interessen, eure Website ist eine Art Marketingtool. Was hat das für Konsequenzen für die Art der Berichterstattung?
Die Firma lebt vom Verkauf von Programmen und Kursen. Wir verkaufen keine Nachrichten. Das bedeutet, dass wir nicht besonders investigativ unterwegs sind. Die Idee bei der Veröffentlichung von Schachnachrichten war und ist in jedem Fall, Schach als etwas Positives, Fröhliches, Lustiges und Interessantes zu vermittelt. So soll der Gesamteindruck sein. Das heißt also, bei uns gab es nie den Schwerpunkt, über Krawall zu berichten oder Boulevard zu machen. Wir kennen viele Spieler persönlich. Dann kann und möchte man nach Möglichkeit nicht über diese negativ berichten.
Manche Spieler sind auch Autoren…
Richtig. Das sind zum Teil unsere Autoren. Natürlich berichten wir auch über Kontroversen. Nachrichten über Konflikte in der Schachszene standen und stehen aber nicht im Vordergrund. Wenn es große Fehlentwicklungen gab, haben wir darüber berichtet. Für mich persönlich gilt das ganz besonders. Ich habe immer versucht, einen klassischen, berichtenden Journalismus zu verwirklichen. Das heißt: Ich kommentiere eher selten. Am liebsten gar nicht. Ich gebe den Leuten Gelegenheit, in Interviews zum Beispiel, ihre Meinung zu sagen und widerspreche nicht groß, wenn jemand seine Sicht der Dinge sagt. Dann kann später aber auch jemand, der eine andere Meinung hat, sich äußern. Auf diese Weise entsteht auch ein vielfältiges Meinungsbild. So haben wir es immer gehalten. Wir machen keine aufgeregte Berichterstattung, weil wir Nachrichten nicht durch künstliche Aufgeregtheit verkaufen wollen oder müssen.

Aber ihr seid trotzdem Marktführer gewesen, was die Zugriffszahlen angeht.
Ich würde mal denken, dass wir das immer noch sind. Wir waren ja sehr früh am Start. Wir sind bestimmt im deutschen Bereich führend. Klar, dann kamen Twitter und Facebook, die natürlich auch viele Zugriffe haben. Aber ich weiß nicht, ob pure Aufmerksamkeit eine so eine große Rolle spielt.
In Deutschland… und international?
Es ist so, dass Chess.com als Gesamtportal sicher mehr Zugriffe hat als wir. Aber der Nachrichtenteil ist nach meiner Einschätzung eher nicht so bedeutsam. Es gibt natürlich auch noch ChessBase India, unsere Partnerfirma und die haben uns im internationalen Bereich als Nachrichtenseite wahrscheinlich abgehängt.
Wie ist überhaupt dieses enge Verhältnis zu Indien entstanden? Die nutzen die Marke ChessBase.
Sie agieren unabhängig von uns und nutzen die Marke. Bei der Geburt der Seite haben wir etwas mitgeholfen. Die Inder können unsere Produkte verkaufen, zu anderen Preisen.
Der indische Markt kann nicht die gleichen Preise bezahlen, richtig.
Da ist ein ganz anderes Preisniveau. Das organisieren sie alles selbst und ansonsten agieren sie völlig unabhängig von uns und setzen andere Schwerpunkte. Sie produzieren Videos und berichten vor Ort. Zu Sagar Shah haben wir ein sehr freundschaftliches Verhältnis.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Sagar?
Ich weiß es nicht in allen Einzelheiten, aber wenn ich mich richtig erinnere, dann war es so, dass wir mal einen sehr bunten Artikel auf der englischen Webseite über seine Hochzeit veröffentlicht haben.
Habt ihr jetzt über die Geburt des Kindes von Magnus geschrieben?
Nein, ich glaube nicht. Solche Themen sind Ausnahmen, bei engen Freunden von Frederic beispielsweise. Er war damals bei der Hochzeit von Anand mit dabei und hat darüber natürlich ausführlich berichtet. Als Tanja Sachdev geheiratet hat, hatte sie vorher Aufnahmen bei uns gemacht und auch ein persönliches Verhältnis zu einigen Mitarbeitern entwickelt. Sie hat einige der Kollegen und auch mich zu ihrer Hochzeit eingeladen.

Warst du in Indien dabei?
Nein, ich war nicht dabei. Sagen wir so: Ich vertraue den physikalischen Gegebenheiten bei Langstreckenflügen nicht.
Du hast Flugangst?
Ich habe Höhenangst. Wenn Flugzeuge sich in geringerer Höhe bewegen würden, hätte ich keine Probleme mit dem Fliegen. Als ich bei der Schacholympiade in Tromsoe war, ließ sich der Flug allerdings nicht vermeiden.
Kommen wir zu den Formaten, die du gemacht hast. Du hast sehr lange Zeit freitagnachmittags Videoaufzeichnungen gemacht mit Oliver Reeh. Was war deine Rolle?
Ich war der Sidekick. Oliver war stets sehr gut vorbereitet. Wir haben 2003 mit Audio angefangen, glaube ich, und sind dann einigermaßen schnell auf Video umgestiegen. ChessBase war damals auch auf dem Feld Pionier. Wir waren sozusagen die ersten Streamer, wussten es aber natürlich noch nicht.

Es hieß noch nicht Streamer…
Ja genau und es gab noch kein YouTube. Wir haben die Videos in unser eigenes Portal gepackt, das dann entwickelt wurde und recht kostspielig war. Wir haben bei den Sendungen von Anfang an immer Interaktion mit den Zuschauern gehabt. Wir hatten ein paar Stammzuschauer, aber keine riesigen Zuschauerzahlen und letztlich haben wir auch kein gutes Bezahlsystem entwickelt. Die Idee, dass man über große Reichweite auch genügend Kompensation für den Aufwand erhält, war noch nicht so präsent. Aber wir haben es lange gemacht. Ich habe vergessen, wann wir aufgehört haben. Oliver hatte keine richtige Lust mehr und wir haben zu einem bestimmten Zeitpunkt gesagt, jetzt ist es irgendwie auch gut.
Gab es Vorbereitungen zu den Sendungen oder wie funktionierte das?
Es ist Freitag. Die Woche ist praktisch um und neigt sich dem Ende zu. Man denkt ans Wochenende. Ich habe einen langen Büroalltag, eine ganze Bürowoche, hinter mir, mit viel Arbeit. Und dann kommt Oliver rein und sagt: Los, wir müssen jetzt die Sendung machen. Dann habe ich vielleicht noch schnell ein Ergebnis von einer Weltmeisterschaft gemeldet und bin dann ins Studio gespurtet. Am Anfang, 2003, da waren wir alle noch total gespannt. Da hatten wird noch einen Kameramann. Das Interesse ließ aber auch in der Firma nach. Wir waren nachmittags um 17 Uhr auf Sendung. Das ist eine doofe Zeit. Wenn man mehr Zuschauer will, macht man es vielleicht um acht.
Das war live?
Es war live und wir waren dann zum Schluss alleine im Büro und haben unsere Sendung gemacht. Teilweise hatten wir technische Schwierigkeiten, weil dann irgendwas Neues ausprobiert wurde, was nicht funktionierte und dann war keiner dabei, der es regeln konnte. Es war nicht immer einfach. Oliver hat die Partien aber immer didaktisch sehr aufwendig vorbereitet. Wir haben vorher nie darüber gesprochen, weil ich dachte, es soll ja spontan sein. Und dann haben wir uns hingesetzt und ich war überrascht darüber, was Oliver so präsentierte.
Ich habe ein paar eurer Sendungen gesehen. Du hast immer versucht, die Drachenvariante einzubauen. Wie kam es dazu?
Ja, das stimmt. Drachenvariante ist neben Aljechin und Französisch eine der drei großen Religionen unter den Schacheröffnungen. Von meinem Stil her passt die Drachenvariante überhaupt nicht zu mir. Weil ich ein total langweiliger Sicherheitsschachspieler bin. Aber durch einen blöden Zufall spielte ich den Drachen. Das lag daran, dass ich in meiner Anfangszeit ein Buch von Rolf Schwarz über die Sizilianische Verteidigung hatte. Das war eines meiner ersten Eröffnungsbücher. Dann spielte ich meinen ersten Mannschaftskampf als Jugendlicher und habe die erste Variante gespielt, die in diesem Buch vorkam. Und das war das sizilianische Vierspringerspiel. Das lief nicht gut. Deswegen habe ich gegen einen ganz guten Gegner gleich die erste Partie verloren. Da habe ich gesagt okay, das taugt gar nichts. Dann bin ich zum nächsten Kapitel übergegangen. Das war die Drachenvariante. Die Drachenvariante hat den Vorteil, dass man im Grunde gar kein Schach spielen muss. Man kann das auswendig lernen und damit relativ weit kommen. Dann lernt man so die Motive und ich bin lange dabei geblieben. Mittlerweile spiele ich aber was Anderes.
Aber so schlecht ist der Vier-Springer-Sizilianer nicht.
Stimmt, das sieht man heute ein bisschen anders. Aber das frühe Entwickeln des Läufers nach b4 taugt wirklich nichts. Dann habe ich auch einige Zeit fürs ChessBase-Magazin die Drachenpartien kommentiert. Das konnte man ohne großes Schachverständnis machen, wenn man die Motive kannte und konnte damals sogar manchmal ein bisschen besser sein als die Engine.
Hat dein Schachverständnis wenigstens ein bisschen profitiert von deiner langen Zeit bei ChessBase und den Gesprächen mit guten Spielern?
Das weiß ich nicht. Vielleicht. Wenn ich jetzt meine eigene Persönlichkeit als Schachspieler beschreiben sollte, würde ich sagen, ich spiele immer zu zweit. Es gibt einen, der hat eigentlich ein nicht so schlechtes positionelles Schachverständnis. Der sagt, hey eigentlich spielt man doch jetzt diesen Zug. Und dann gibt es den anderen, der möchte immer rechnen. Der ist schlecht, rechnet schlecht, der weiß es nicht. Und dann sagt dieser, lass mal lieber einen Sicherheitszug machen. Und so kommt halt eine langweilige Partie zustande. Ich habe irgendwann einmal den Fehler gemacht, mir alte Partien von mir selber anzugucken. Da dachte ich: Was ist das denn? Kein Zug passt zum anderen. Da ist keine Linie drin und nichts. Und das ist dann eben das Ergebnis, wenn man beim Schach so denkt wie ich.
Du könntest jetzt mit 66 Jahren Seniorenturniere spielen. Wie sieht es mit deiner Bereitschaft aus etwas mehr Schach spielen?
Ich habe lange gespielt, aber eigentlich nur Mannschaftskämpfe. Zuletzt habe ich für den Hamburger Klub „Die Schachelschweine“ gespielt. So nannte sich die Mannschaft. In der Pandemie hat sich meine Mannschaft aufgelöst und ich habe die letzten Jahre pausiert. Und jetzt hat mich Evi Zickelbein, die ich schon ewig kenne und die übrigens auch eine gute Fußballerin ist, angesprochen. Und Ihr Vater natürlich auch, der unverwüstliche Christian Zickelbein. Die beiden haben mich lange bearbeitet und jetzt plane ich eine Art Wiedereingliederung ins Turnierschach.

Über deine weitere schachliche Karriere ist noch nichts entschieden?
Nein, ich werde mich jetzt anmelden und die haben mich schon in eine Mannschaft reingepackt. Dann spiele ich beim HSK Mannschaftskämpfe. Seniorenschach könnte ich ebenfalls mal ausprobieren. Früher war mir mein Urlaub viel zu schade, um diesen für Schachturniere zu verwenden.
Du bist nach meiner Erinnerung ein ganz passabler Schachspieler…
Ich habe zuletzt stark abgebaut als ich in der Stadtliga gespielt habe. Du spielst nach einer anstrengenden Bürowoche abends noch eine Partie. Aber man ist irgendwie müde und hat immer eine gute Entschuldigung, um eine ordentliche Stellungen Remis zu geben, und die schlechten habe ich verloren. So etwa lief es.
Wie schaust du auf Schachbooms in der Vergangenheit und ist so eine Entwicklung heutzutage in Deutschland denkbar?
Schach ist heute sehr viel populärer. Es gibt diesen gewaltigen Schachboom in Indien durch Anand und alle seine Nachfolger. Anand ist der Auslöser gewesen. Seine Frau Aruna erzählte einmal, dass die Kinder in Indien hinter dem Bus herlaufen und Anands Namen rufen, wenn er drin sitzt. Jetzt ist die nächste Generation dran. Auch in Deutschland ist das Spiel deutlich populärer geworden, durch das Internet und auch durch die vielen Videoplattformen. Die haben das Schach deutlich belebt. Der Faktor Entertainment hat stark zugenommen. Carlsen ist ein echter Popstar. Ich würde sagen, nach Fischer der zweite große Popstar im Schach. Das soll nicht gegen Kasparow formuliert sein, aber Carlsen passt mit seinen Ecken und Kanten und seiner Persönlichkeit gut in die Zeit.
Wir hatten schon mal in Deutschland einen Boom zu Zeiten von Robert Hübner, aber dessen Hoch ist ein bisschen vor deiner Zeit als Redakteur gewesen.
Ja, aber ich habe guten Kontakt mit ihm gehabt.
Guten Kontakt? Aber Robert hat sich immer damit gebrüstet, dass er mit Journalisten eigentlich gar nicht spricht.
Das stimmt. Aber Robert hat einige Zeit für das ChessBase-Magazin geschrieben. Gisbert Jacoby und Robert Hübner kannten sich aus der Zeit, als Gisbert Stützpunkttrainer in Hamburg war und Robert spielte für den HSK im HSV, ein oder zwei Jahre. Dann hat Gisbert Robert bei den Kandidatenwettkämpfen unterstützt. Sie hatten dann ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Robert Hübners Kolumne im ChessBase Magazin hieß „Abfall“, was nicht Müll bedeutete, sondern das, was abgefallen war. Darüber hatten wir einen Kontakt. Gelegentlich rief er an, es gab etwas zu besprechen, und so lernte man sich kennen. Manchmal hatte er Probleme mit dem Rechner oder Fragen zum Programm. Wir hatten jedenfalls regelmäßigen Kontakt. Dann haben wir das ChessBase-Magazin umgebaut, stringenter in Richtung Training. Mir wurde die Aufgabe übertragen, seine Kolumne, ich sage mal, rauszuschmeißen, in Anführungszeichen, also ihm nahezubringen, dass seine Kolumne auf der Strecke bleibt.
Das ist ein harter Schritt.
Das ist ein ganz harter Schritt und eine sehr delikate Aufgabe gewesen. Aber ich behielt weiter noch guten Kontakt mit Robert.
Wie ist das gelungen?
Man muss einfach offen reden. Wir haben damals mehr auf Videos gesetzt und ich habe ihm vorgeschlagen, dass er gerne mitmachen kann.
Und ihr habt Videos mit Robert Hübner gehabt?
Nein, hatten wir nicht. Das hat er natürlich abgelehnt. Das war nicht sein Medium. Aber später habe ich ihn als Redakteur der Webseite gefragt, ob er dafür Beiträge liefern möchte, und das hat er gelegentlich gemacht. Er hatte ganz schlechte Erfahrungen mit Journalisten, aber mich hat er offensichtlich nicht in diese Gruppe einbezogen. Ich habe einmal tatsächlich einmal einem Spiegel-Journalisten die Telefonnummer von Robert Hübner gegeben. Robert hat mich dann höflich ermahnt. Aber er war nicht böse. Es gab später auch mal einen Konflikt mit ihm und der OSG Baden-Baden, für die er eine zeitlang gespielt hat. Auslöser war ein Beitrag auf unserer Webseite. Das war am Ende eigentlich ganz lustig. Baden-Baden hatte behauptet, Hübner sei noch Mitglied in Baden-Baden und dem hat er widersprochen. Es gab eine kleine Fehde mit Stellungnahmen, die auf unserer Webseite ausgetragen wurde. Es fing an, als Robert das Interview gelesen hatte, in dem seine Mitgliedschaft behauptet wurde. Man merkte, dass er recht aufgeregt war. Er fragte: „Was machen wir denn jetzt?“ Und dann sagte ich „Wir machen das, was du willst.“ Und dann entspannte sich Robert sofort. Dann hat er irgendwas Witziges daraus gemacht. Es gab viele witzige Sachen mit ihm. Ich habe einmal ein Portrait zu seinem 65sten Geburtstag von ihm geschrieben. Und zum 70. wollte ich nicht noch einmal das gleiche schreiben und schlug ihm ein Interview vor. Interviews fand er eigentlich doof und hatte dann die Idee, ein Interview mit sich selber zu machen.
Lustige Idee.
Ja, und daran hatte er auch Spaß. Wir hatten einen regelmäßigen Austausch. Ich bin ihm offensichtlich nicht zu sehr auf den Keks gegangen. Ab und zu mal anrufen war okay und wir haben dann lange geredet über dies und das.
Wer war der erste Großmeister, der dir in den Firmenräumen In Hamburg begegnete?
Das war auch eine aufregende Situation zu Beginn. Ich war erst kurz bei ChessBase und dann öffnete sich die Tür und es kam John Nunn rein. Das war mein erster Großmeister, den ich bei ChessBase zu Gesicht bekam. Im Laufe der Zeit nutzte sich das Gefühl der Ehrfurcht aber stark ab. Vor allen Dingen, wenn du merkst, dass manche der Topspieler im Umgang mit dem Computer noch untalentierter sind als andere Menschen. Anand als Gegenbeispiel war allerdings immer brillant. Dem musstest du gar nichts erklären. Aber viele andere hatten große Schwierigkeiten mit der neuen Welt, Viktor Kortschnoi zum Beispiel, war völlig talentfrei in dieser Hinsicht.
Es gab noch jemanden, mit dem du dich sehr intensiv ausgetauscht hast. Mit Vlastimil Hort.
Ja, mit Vlastimil hatte ich ein wirklich sehr freundschaftliches Verhältnis. Ich weiß gar nicht genau, wie das kam. Ich habe seinerzeit regelmäßig über diese WDR-Sendung „Schach der Großmeister“ berichtet und ich fand ihn immer sehr lustig in seiner Art und mit seinem Humor. Ich habe dann wohlwollend seinen tschechischen Dialekt nachgemacht und ich nehme an, er hat das mitbekommen. Das erste Mal habe ich ihn aber tatsächlich schon kurz nach meinem Abitur getroffen. Da gab es so eine Jubiläums-Simultan beim Godesberger Schachklub. Er spielte gegen bestimmt 40 Gegner, damals habe ich ein Remis abgegriffen.
Wie kam es später zur Zusammenarbeit mit ihm?
Ich war zeitweise verantwortlich für unser Fritztrainer-Video-Programm. Da habe das legendäre Duo aus den WDR-Sendungen Pfleger und Hort noch einmal zusammengebracht. Wir waren gemeinsam Essen und haben uns gut verstanden. Ich war also mittendrin und irgendwie bekam Vlastimil Interesse zu kommentieren und Aufnahmen zu machen. Dafür setzte sich Vlasti morgens mit seiner Jahresnetzkarte in Eitorf in den Zug und kam nach Hamburg. Das erinnere ich immer als nette Begegnungen. Manchmal hat er in Hamburg übernachtet und ist am nächsten Tag zurückgefahren. Manchmal ist er noch am gleichen Tag zurückgefahren. Das war für ihn alles völlig okay. Und so haben wir uns angefreundet. Später rief er dann häufig an. Fast täglich. „Andräh. Ich habäh hier einäh Stellung. Ich bekommäh es nicht heraus. Gib ähs mal in die Maschinäh ein. Nur wänigäh Steinäh.“ Dann habe ich es eingegeben. Eingegeben und dann die Lösung gesagt. Seine Antwort war dann oft: „Ach ja? Waißt du, ich habäh ähs gähsehähn, aber da ist diesäh Pointäh. Ich habe nicht gähsehähn.“ Und so lief das ungefähr ab. So ein Telefonat konnte jederzeit passieren. Am Wochenende, am Abend, also immer. Manchmal wollte er nur über Schach quatschen, fragte nach Turnierergebnissen.
Er war also immer noch am Schach interessiert.
Total. Er war völlig am Schach interessiert. Er hatte leider eine starke Diabetes und ist dann langsam zerfallen. Diabetes frisst die Leute auf. Alle Organe lassen nach. Ich habe auch ein gutes Verhältnis zu seiner Frau Brigitte. Ich war bei Vlastis Beerdigung in Eitorf. Brigitte hatte mich gebeten, ein paar Worte zu sprechen. Das war nicht einfach, denn sein Tod ging mir sehr nahe. Es war alles sehr traurig. Ich hatte die beiden vorher auch mal zu Hause besucht, in Eitorf und sogar mal eine Geschichte daraus gemacht.

Wir haben in diesem Jahr mehrere Verstorbene zu beklagen. Das waren Vlastimil und auch Robert Hübner. Dein Job als Redakteur ist es dann Nachrufe zu schreiben. Ich habe viele von dir gefunden, die mir immer sehr gut gefallen. Wenn man das so sagen darf. Hast du eine Technik entwickelt. Ich vermute mal, dass du nichts auf Halde hast.
Letzteres wäre irgendwie pietätlos, finde ich. Einen Nachruf zu schreiben über jemanden, der noch lebt, egal wie krank er ist. Ich habe keinen einzigen Nachruf geschrieben, bevor jemand gestorben ist. Bei Robert Hübner war es so, dass ich vorbereitet war, weil mich Rustam Kasimjanov informiert hat, dass Robert im Sterben liegt. Er hat gesagt, ich solle die Nachricht als Erster melden und dann wüssten es alle. Ich versuche den Leuten in den Nachrufen gerecht zu werden, in positivem Sinne. Einige kannte ich natürlich sehr gut und andere kannte ich weniger gut. Wahrscheinlich stimmt es, dass ich irgendwie die Stimmung richtig wiedergebe. Es ist leider so, das ist jetzt kein Talent.
Ich erinnere mich, dass ich für den meinen Blog dich zweimal gefragt habe: Kann ich das übernehmen? Weil ich persönlich so etwas überhaupt nicht schreiben kann.
Bei den beiden, das war in beiden Fällen dieses Jahr und für mich sehr, sehr schwierig. Ich hatte natürlich ein sehr positives Bild von beiden. Robert war sehr speziell auf seine Art. Er war auch oft bei Vlastimil. Brigitte hatte mir ebenfalls einige Geschichten von ihm erzählt und ich glaube, ich habe ihn ganz gut verstanden. Der Nachruf sollte das Bild, das in der Öffentlichkeit von Hübner gezeichnet wurde, ein bisschen korrigieren. Das verbreitete Außenbild wird Robert aus meiner Sicht nicht gerecht oder wurde ihm nicht gerecht. Nichtsdestotrotz es macht keinen Spaß, Nachrufe zu schreiben. Bei Vlastimil kam die Nachricht sehr plötzlich. Brigitte rief mich an und sagte: „Heute Nacht ist er verstorben“. Das war sogar ein Sonntag und dann hast du diese Nachricht. Dann setze ich mich hin und schreibe den Nachruf.
Neben Nachrichtentexten über Turniere findet man von dir Texte, die mehr Recherche erfordern. Es ist schade, dass man Texte ohne Stichwort auf der Homepage nicht mehr findet. Denkst du daran, Bücher zu schreiben?
Eins über Schach habe ich schon verfasst und ich war noch mit längeren Porträts an zwei Büchern über Künstler aus Hamburg beteiligt. Buchprojekte könnte man mal machen, müsste man mal machen. Das ist nicht ausgeschlossen.
Du bleibst ChessBase noch etwas erhalten mit reduzierter Arbeitszeit. Ein Schwerpunkt könnte Geschichte sein. Was kann man da erwarten und was interessiert dich an Geschichte?
Ich interessiere mich für jede Form von Geschichte. Schachgeschichte interessiert mich natürlich, aber ebenso jede andere Art von Geschichte. Das war schon in der Schulzeit so. Damals hatte ich schon ein großes Interesse an geschichtlichen Ereignissen. Geschichte ist unendlich, also vom Inhalt her. Immer wieder entdeckt man etwas Neues. Ich habe irgendwann angefangen,mich intensiver mit Geschichte zu beschäftigen. Zum Beispiel mit der Völkerwanderung. Das ist etwas, was du in der Schule nicht vermittelt bekommst, jedenfalls nicht zu meiner Zeit. Wir haben uns intensiv mit der Antike befasst, aber 375 oder so endet das Römische Reich. Und dann geht es mit Karl der Große weiter. Und dazwischen ist ein Loch. Da war dann nichts passiert? Komisch. Irgendwann habe ich einmal den Großen Nordischen Krieg entdeckt. Der begann 1700. In der Schule gab es den gar nicht. Ich glaube, dass ich durch einen Turnierbericht darauf gekommen bin. Da gab es ein Schachturnier in Poltawa. Das ist in der Mitte der Ukraine und da fand ein Turnier statt. Dort war eine wichtige Schlacht im Großen Nordischen Krieg.
Solche Themen findest du heraus, wenn du über den Turnierort recherchierst?
Zum Teil ja, zumindest, wenn man sich für Geschichte interessiert. Du findest irgendwas, einen Stein und den drehst du um, dann ist da etwas anderes, sagen wir ein Zettel. Dann ziehst du an dem. Dann kommt eine ganze Bibliothek raus und es gibt so unglaublich viel, was man vorher nicht wusste. Mich interessieren in der Geschichte auch die Personen und ihre Biografien. Im Schach gibt es auch viele interessante Personen.
Aus dem Tages- und Newsgeschäft bist du raus. Kann man jetzt größere und längere Geschichten von dir erwarten?
Das wird man sehen. Das Internet ist groß und du kannst fast alles reinpacken. Aber wenn du eine extrem lange Geschichte machst und du packst sie auf die Seite, dann ist sie schnell weg. Genauso schnell wie eine kurze Geschichte. Man muss ein adäquates Format finden. Ich neige leider dazu, manches ein bisschen zu ausführlich zu machen. Oft weil ich selber fasziniert bin, von den verschiedenen Handlungssträngen, die es vielleicht gibt. Es dauert bisweilen lange, es zu recherchieren. Das sieht man dem Text dann nicht immer an. Du musst die Details nachprüfen und solche Sachen. Die neue Rolle und Formate muss ich erst noch entwickeln.
30 Jahre Redakteur ist eine lange Zeitspanne? Wie blickst du darauf zurück?
30 Jahre, kann man sagen. Es war eine gute Zeit unter dem Aspekt, es hat Spaß gemacht. Man erfährt sehr viel und ich bin und war ausreichend neugierig. Ich muss heute nicht alles recherchieren, weil ich es teilweise selber miterlebt habe. Manches kann ich einfach so runter erzählen. Kurz nachdem ich bei ChessBase angefangen habe, gab es beispielsweise den ganzen Streit mit Kasparow und Short, dann die Trennung von der FIDE und die folgenden Weltmeisterschaften.
Wurde das in der Firma bei euch diskutiert?
Natürlich. Zum Teil waren wir nah dran. Frederic war ja in der PCA (RR: Professional Chess Association) dabei, da er dort eine Funktion hatte. Er gehörte zum Board meine ich. Damals lief also jemand durch die ChessBase Flure, der die WM zwischen Kasparow und Anand verkaufen, also organisieren sollte, Sponsoren finden und solche Dinge. Und dann war 1995 irgendwie Köln im Gespräch und dann fand die WM plötzlich in New York statt. Das habe ich dann teilweise aus erster Hand erfahren.
Aus aktuellem Anlass: Nach 34 Jahren könnten wir im nächsten Jahr mindestens einen oder sogar zwei Kandidaten aus Deutschland sehen. Könnte das hierzulande einen Schachboom auslösen? Oder glaubst du, dieser Effekt bleibt ein Traum?
Wenn du ein Schachboom auslösen willst, hier in Deutschland, muss man irgendwie die Medien dahinter haben und die sind in Deutschland total einseitig aufgestellt. Die machen immer das Gleiche: Fußball, Fußball, Fußball. Okay, jetzt hatten wir mal Basketball, ein bisschen. Das war nett. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass Schach irgendwann jemals diese Rolle einnehmen könnte. Dafür wird Schach hierzulande nicht hoch genug geschätzt.
Warum war das in Norwegen möglich? Oder hat das speziell mit Magnus Carlsen zu tun?
Vielleicht haben die nicht so eine große Menge an großen Sportstars. Ich glaube, in Norwegen ist nicht Schach populär, sondern Magnus Carlsen ist populär als Typ und weil er Weltmeister wurde. Ich habe zuletzt einen Artikel geschrieben über den Norwegischen Schachverband. Thema war: Warum nimmt die norwegische Mannschaft nicht an der europäischen Team-Meisterschaft teil? Die Antwort: Sie haben kein Geld. Warum haben Sie kein Geld? Weil sie nicht im Sportverband organisiert sind. Warum sind sie dort nicht organisiert? Weil Sie spezielle Kinderschutzvorschriften haben.
Das ist kein guter Abschluss für unser Gespräch. Kannst du spontan etwas zum guten Spiel von Matthias und Vincent sagen?
Matthias Blübaum hat sich verdient qualifiziert. Für sein erstes Kandidatenturnier, er ist Ende 20, er ist natürlich schon etwas alt und als Spieler ist er nicht der Killertyp, verfügt aber über andere Qualitäten und ist schwer zu schlagen. Er hat sich etwas überraschend qualifiziert und wurde von seinen, vor allem indischen, Gegnern als Underdog wahrgenommen. Alle wollten ihn schlagen und er hat sehr gut gekontert. Das ist eine Stärke.
Das wird beim Kandidatenturnier ähnlich sein. Da ist Matthias auch der Außenseiter und könnte überraschen. Und Vincent kann sich ebenfalls noch qualifizieren…
Das wird so sein. Die Gegner von Matthias werden ihn aber sehr viel ernster nehmen im Kandidatenturnier. Sie wissen jetzt, dass sie ihn nicht einfach vom Brett wischen können. Wir werden interessiert zusehen, was er beim Kandidatenturnier erreichen kann. Alles ist möglich. Vincent Keymer ist zuletzt in der Weltrangliste auf Rang sechs (RR: Jetzt sogar Platz vier) vorgestoßen. Vor Gukesh, also vor dem Weltmeister. Und Vincent ist noch mal ein anderer Spielertyp und hat ebenfalls noch sehr gute Chancen dabei zu sein. Er ist auch deutlich jünger als Matthias. Und Vincent ist nach meiner Beobachtung ein Killer auf seine eigene Art. Er spielt einen speziellen Stil, einen sehr strategischen Stil, bei dem die Partien am Ende zu seinen Gunsten kippen und man weiß manchmal gar nicht so genau, warum. Viele sagen, wer das Kandidatenturnier gewinnt, der hat auch gute Chancen, Weltmeister zu werden.
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