
Titelfoto: Dariusz Gorzinski
Die Deutschen Meisterschaften der Senioren in Bad Neuenahr endeten letztlich für mich mit einem Highlight. Ein Sieg gegen Arno Zude, den Problemlöseweltmeister 1994 und Großmeister dieser Zunft, stand zumindest auf meinem Wunschzettel. Denn 33 Jahre zuvor hatte ich gegen Arno am ersten Brett in der zweiten Bundesliga verloren. Ich kam gerade in Form als das Turnier zu Ende war.
Von Thorsten Cmiel
Es gibt gute Gründe die eigenen Partien einer nachträglichen Analyse zu unterziehen. Bei vielen Spielern liegt der Fokus dabei auf der Eröffnungsphase. Alle Trainer, die ich in den letzten Jahren getroffen und gesprochen habe, raten von intensivem Eröffnungsstudium ab, bis man etwa 2400 Elo erreicht hat. Der Grund ist vor allem, dass man die knappe eigene Zeit besser investieren sollte. Ich lasse also diese Phase bei Eigenanalysen in der Regel weg und steige normalerweise erst in der Spielphase danach ein.
Mein Ziel in diesem Jahr war es vor allem auf zu schnelle Remis durch frühzeitige Vereinbarungen zu verzichten. Mein Kampfgeist war gestärkt und so gab es am Ende ein ordentliches Ergebnis mit drei Remis, fünf Siegen und einer Niederlage. Zwischendrin blieb genügend Raum für die üblichen unnötigen Fehler. Glück und eigene Unfähigkeit hielten sich diesmal in etwa die Waage. Zur Statistikanalyse von Turnieren gehört es meines Erachtens, die Zahl der im Turnier gespielten Züge zu betrachten. Da komme ich diesmal auf ungefähr 32 Züge, was für mich ein ordentlicher Wert ist. Dabei hatte eine zu lange Partie den Schnitt deutlich nach oben getrieben…

Das Turnier begann für mich mit Schwarz, weshalb ich mich auf einen Schwarzüberschuss einstellte. Zu Beginn des Turniers gab es bei den anderen Teilnehmern vorne im Feld überdurchschnittlich gute Weißresultate, wodurch die Farbauslosung mir ein spätes Doppelweiß einbrachte und das erleichterte überraschenderweise mein schweres Restprogramm. Letztlich spielte ich als Nummer neun im Feld gegen die Spieler eins bis vier und sechs und sieben. Überraschend viele Partien endeten bei mir diesmal mit Mattangriff. Nur in einem Fall ließ ich meinen Gegner, Gerald Löw, entkommen. Aber in der Partie hatte ich in ausgeglichener Stellung mit Mehrqualität später etwas Glück. Resultate.
Mittelbauern opfern. Echt jetzt?
Kaum ein Trainer dieser Welt bringt Beispiele für dieses wichtige Thema. Klar, Schach ist ein konkretes Spiel und man muss nur einfach genaue Berechnungen anstellen. Das ist der übliche Schnack von Großmeistern etwa seit der Jahrtausendwende. Aber dennoch zählen allgemeine Wahrheiten zum Schachverständnis ebenfalls, oder? Bauern opfere ich durchaus häufig und oft aus der Not geboren, aber wenn ich die Wahl habe, einen Mittelbauern oder einen Randbauern zu geben, dann schien mir die Entscheidung einfach zu sein. Bis zu diesem Turnier.
In dieser Stellung aus der zweiten Runde war ich mit Weiß am Zuge. Ich fand hier den positionell schlechtesten Zug meines gesamten Turniers und legte kurz darauf noch einmal nach. Es gibt drei Möglichkeiten den Bauern auf e5 zu schlagen. Oder Weiß verzichtet und zieht seinen Läufer nach h2. Welche Fortsetzung ist richtig? Es ist nicht schwierig, insbesondere wenn man das Thema dieses Abschnittes erinnert.
Lösung (hier klicken)
Mit Weiß kam ich zu Beginn des Turniers nicht zurecht. In der vierten Runde konnte ich ein grundsätzliches Problem nicht lösen: Immer wenn Weiß hier seinen Springer nach e5 ziehen würde, konnte mein Gegner Igor Vlasov bisher mit seinem Läufer auf d2 tauschen und seinen Springer nach e4 manövrieren und so seine verbliebenen Probleme lösen.

Lösung (hier klicken)
In der siebten Runde 7 war ich diesmal schon einen Schritt weiter und hatte den Bauern auf d4 freiwillig gegeben – im Austausch für den Bauern auf e7. Jetzt hatte ich eigentlich den Damenzug nach h6 geplant. Zeit hatte ich ohnehin ausreichend. Aber genau in diesem Moment suchte mich ein übler Blackout heim. Was würde passieren wenn mein Gegner als Antwort auf den Damenzug seinen Turm nach b2 zieht? Da sich meine Mattideen auf das Feld g7 stützten, übersah ich das einfache Matt auf f8. Grob. Im Panikmodus folgte ich meiner Notfallvariante, tauschte die Damen auf d4 und zog meinen Läufer nach f6. Das gewinnt etwas Material, aber tauscht mächtig viele Bauern am anderen Flügel.

Der schwarze a-Bauer geht noch verloren. Danach gibt es lediglich noch Bauern auf einem Flügel. Ich war mir ziemlich sicher, dass diese Stellung objektiv zu halten sein müsste. Aber immerhin hatte ich noch die Idee, einen Mattangriff auf der achten Reihe zu inszenieren. Allerdings kann Schwarz zunächst seinen König nach g7 ziehen und durch Vorziehen seines h-Bauern diesen gegen den Bauern auf g5 tauschen.

Einige Züge später hatten wir diese Stellung auf dem Brett. Eine wichtige Fragestellung in solch einer Situation ist regelmäßig, wie man die eigenen Bauern aufstellen sollte. Weiß erneuerte zuletzt den Vormarsch des g-Bauer, aber bis zu einem Mattangriff auf der achten Reihe wäre es noch längere Zeit hin. Sollte Schwarz hier proaktiv seine Bauern nach f6 und g5 stellen oder die Deckung des Bauern mit dem Läufer in der aktuellen Struktur erhalten?
In dieser Stellung lautet die Frage, ob man den Turm tauschen sollte oder nicht. Ich nenne solche Fragen Fifty-Fifty. Wie meist entschied ich mich objektiv natürlich falsch. Immerhin braucht auch eine spielstarke Engine einige Zeit um den vermuteten Vorteil zu verwerten.
Das Endspiel bereitete beiden Spielern einige Probleme. Aber auf der positiven Seite zu sein, erleichtert es natürlich. Gibt es für Weiß noch einen Gewinnplan? Wie sollte der Weiße hier fortsetzen? Die Lösung findet sich in der folgenden Partienotation.
Fünfmal Matt. Einmal selbst in einem Mattnetz gelandet
Eigentlich halte ich mich für einen Positionsspieler. Einige Wochen zuvor war ich in einem Schachcamp von Killer Chess Training in Spanien. Das Thema war Positionsschach. Es gab täglich mehrere Rechenaufgaben zu lösen. Die Vielzahl der Mattangriffe in diesem Turnier kam für mich jedenfalls überraschend. In der ersten Partie durfte ich Matt setzen. In der dritten Partie bekam ich ebenfalls einen Mattangriff hin und in den Runden sechs und sieben gelang mir ein Mattangriff nach Hilfe meiner Gegner. In der Schlussstellung meiner Niederlage gegen Dieter Pirrot war ich selbst davor Matt gesetzt zu werden. Die Schlussstellung gegen Arno Zude war ebenfalls eine Mattkonstruktion.

In meiner zweiten Schwarzpartie war mir die Eröffnung gefühlt gut gelungen. Schwarz stand hier zufrieden stellend. Leider war ich einen Moment unaufmerksam und mein Gegner nutzte seine Chance sofort, musste aber dann mit wenig Bedenkzeit seinen Angriff richtig vortragen und das gelang ihm letztlich nicht. Das folgende Diagramm zeigt die letzte kritische Stellung.
Wie sollte Weiß hier fortsetzen? Mit wenig Restbedenkzeit griff Michael Stierhof daneben. Glück gehabt.


Wie es zu der letztlich entscheidenden Situation kam
Aus der Eröffnung heraus war es mir gelungen, meinen Gegner zu beschäftigen und gefühlt war die Initiative bei mir. Leider misslang mir mein 19. Zug und mein Gegner ergriff beherzt seine Chance. Der Angriff trug Michael unter Zeitdruck nicht ausreichend überzeugend vor und am Schluss war Taktik gefragt.
Fifty Fifty – falsch entschieden
In der sechsten Runde wollte ich mit Weiß unbedingt erstmals gewinnen, um nach der Niederlage in der fünften Runde den Anschluss nicht zu verpassen. Ich hatte hier im 17. Zug zwei Kandidaten zur Auswahl. Entweder ich nehme auf g4 zurück oder ich ziehe meine h-Bauern vor, um meinen Angriff zu beschleunigen. Wie immer lag ich falsch mit meiner Entscheidung, konnte mich aber an dem Tag auf meinen Gegner verlassen, der einen rabenschwarzen Tag erwischt hatte.
Dieter Pirrot mit den schwarzen Steinen
Meine Duelle mit Dieter Pirrot, dem zweimaligen Deutschen Seniorenmeister 50+, sind in der Regel anstrengend, weil Partien mit ihm oft hart umkämpft und immer taktisch chaotisch verlaufen. Leider enden meine Partien gegen Dieter bisher meist mit einer Niederlage. Ich hatte diesmal den Fehler gemacht am Tag vor der Partie am Schnellschachturnier teilzunehmen. Und tatsächlich hatte ich bei der Vorbereitung dann erneut einige Lücken. Zudem war meine letzte Schwarzniederlage gegen Dieter noch im Kopf. Immerhin: Im Jahr zuvor hatte ich mit Weiß eine ordentliche Partie gegen ihn gewonnen. In Magdeburg 2021 war die Eröffnung nur teilweise schief gegangen, weil ich eine Empfehlung von Sam Shankland falsch in Erinnerung hatte und zufällig eine ebenfalls spielbare Nebenvariante fand. Darauf hatte ich mein ganzes Kurzrepertoire gegen sein bevorzugtes Alapin-System ausgerichtet. Ein schmerzhafter Rückblick.
Mein Gegner war mir 2021 in Magdeburg in eine kurze Engine-Vorbereitung vor der Partie gelaufen, nachdem ich kurzfristig meinen eigentliche Eröffnungsplan umgeschmissen hatte. Leider fehlte mir etwas Zeit und die Feinheiten seiner Abweichung von meiner Nebenvariante musste ich am Brett finden. Das erwies sich als zu große Herausforderung an dem Tag. Wie sollte Schwarz hier spielen?
Überspringen wir das Mittelspiel der Partie in Magdeburg. In jeder Blitzpartie spielt man hier den Zug mit dem König nach b2 und gewinnt den Läufer. Aber Weiß hat einige Freibauern und ich machte mich etwa eine halbe Stunde daran, Varianten zu berechnen. Ich scheiterte mit meiner Entscheidung. Wie sollte es Weiß am besten halten mit seinem König? Sollte dieser auf Läuferfang gehen? Oder doch nicht? Die richtige Antwort findet sich in der folgenden Notation.

Runde 5: Eine frühe falsche Entscheidung und eine verpasste Chance
Hier stand ich vor meinem 15. Zug mit Schwarz. Ich hatte drei Kandidaten: den Bauernzug f7-f6, den Springerzug nach b6 und sofortiges Besetzen der c-Linie. Ich fand den schlechtesten Zug, hatte aber immerhin meine Gründe dafür.
Arno Zude: Revancheversuch nach 33 Jahren
Ich war eigentlich gar nicht für das erste Brett in der zweiten Bundesliga vorgesehen, sondern nach meiner Erinnerung am fünften Brett gemeldet. Aber unser damaliger Sponsor schaffte es nicht immer ein paar Profis ranzuschaffen und so spielte ich unter anderem gegen Arno Zude am ersten Brett. Die Partie folgte damals einer üblichen Spielweise gegen Maroczy-Aufbau meines Gegners, die allerdings für Schwarz, so weiß ich es heute, eher nicht empfehlenswert ist.
Hier fing die heiße Phase in unserer Partie in Bad Neuenahr 2025 an. In der Eröffnung war ich bereits im fünften Zug durch eine Zugumstellung meines Gegners etwas aus dem Konzept geworfen worden. Ich fand die gegnerische Spielweise bis hierhin nachvollziehbar und fühlte mich wegen der Drohung des Läuferzuges nach h5 nicht mehr sonderlich wohl. Allerdings hatte mein Gegner in seinem Lager einen schwachen Bauern auf h6 und ich immerhin das Läuferpaar.

Fazit: Im Verlauf des Turniers erreichte ich eine ausreichende Anzahl an gut spielbaren Stellungen mit Gewinnchancen. Die für mich recht hohe Quote an Fehlern im gesamten Turnier ist sicher auch der eigenen Risikobereitschaft geschuldet.
Fotos: Dariusz Gorzinski. Mehr Fotos von Dariusz finden sich auf seinem Flickr-Account.
In einem ersten Teil wurden die Turnierereignisse der Deutschen Meisterschaft genauer beleuchtet.
Homepage Bad Neuenahr.
Chess-Results DSENEM.

SERVICEHINWEIS
Partieanalysen können durch das Klicken auf den hier orange gekennzeichneten Button heruntergeladen werden.