Foto: Maria Emelianova (Chess.com) für FIDE Chess.
Von Thorsten Cmiel
Es war der Tag der Blicke. Oft verzichten Schachspieler auf direkten Blickkontakt. An diesem Dienstag war es anders. Vor allem Ding Liren beobachtete seinen Gegner wie ein Raubtier, das ein potentielles Opfer ausguckt. Nach drei Stunden war es am Dienstag vorbei. Die Spieler einigten sich auf Remis. Gukesh fragte mit einem Blick, ob sein Gegner einverstanden sei, wie auf dem Titelfoto zu sehen. Der Chinese hatte genug gesehen und willigte ein.
Die zweite Partie war ereignisreicher als bei oberflächlicher Betrachtung auffällt. Ding hatte seinen Gegner auf dessen Risikobereitschaft getestet. Vor allem gab es im zehnten Zug für Gukesh eine Möglichkeit, die Stellung in eine sehr zweischneidige Situation zu verwandeln. In einer anderen Matchsituation hätte der rechenstarke Youngster möglicherweise im 10. Zug seinen Läufer nach b4 gezogen (Diagramm), statt zu rochieren wie in der Partie geschehen. Ding wäre so zu einem vermutlich geplanten zeitweiligen Bauernopfer gezwungen gewesen.
Danach folgt zunächst der Zug mit dem Springer nach d5 und nach der richtigen Antwort, Schwarz sollte auf e4 schlagen und auf das Nehmen auf a5 verzichten, entstünde eine zweischneidige Stellung in der letztlich eine Stellung mit entgegengesetzten Rochaden auf dem Brett entstehen konnte (siehe Partieanalyse unten). Das war offensichtlich nicht was dem Inder an diesem Dienstag vorschwebte.
Keiner der Spieler wollte nach dem Paukenschlag zu Beginn in der zweiten Partie ein größeres Risiko eingehen und so schienen beide Spieler mit dem Unentschieden letztlich zufrieden zu sein. Ding Liren sagte: „Meine Grundidee war es, vorsichtig zu spielen, und ich war mit einem Remis zufrieden. Ich erinnerte mich daran, dass mein Sekundant sagte, dass es nach 12.b3 laut Computer 0,2 war, also habe ich vielleicht einige Gelegenheiten verpasst.“. Dieser Ansatz war ebenfalls für Gukesh an dem Tag in Ordnung: „Ich wollte einfach eine gute Partie spielen“, sagte er. „Mit Schwarz so früh in einem Match will man nichts Dummes machen. Gestern habe ich mich gut gefühlt, ich war frisch und zuversichtlich, nur habe ich ein paar taktische Möglichkeiten übersehen, was jedem jederzeit passieren kann.“
Der Schlüsselmoment der Partie war der Zug 14.Tdc1. Ding Liren war bereits aus der Vorbereitung und gab die offene Linie auf, um den Abtausch auf der d-Linie zu vermeiden und sich neu zu formieren. Es wurde jedoch bald klar, dass sein Plan nicht funktionierte. „Der Zug Rc1 ist eine typische Idee in dieser Art von Struktur, aber ich denke nicht, dass es hier ein guter Zug ist, weil ich nicht wusste, wie ich mich entwickeln sollte, während er einen so starken Springer auf d4 hat. Tatsächlich habe ich später den Turm zurück nach d1 gezogen, was bedeutet, dass ich mit dem Turm auf c1 nicht glücklich bin“, sagte Ding nach der Partie auf der abschließenden Pressekonferenz. Der Chinese mag es sich als unsicher darzustellen. Die Maschinensprache, die in Zehnteln an Bauerneinheiten spricht, legt eine andere Entwicklung nahe. Der Chinese behielt bis zur Stellungswiederholung die Oberhand. Gukesh zeigte sich zufrieden mit dem Partieverlauf, zumal in einem WM-Kampf ein Unentschieden mit Schwarz immer ein gutes Resultat sei. Das Fazit des Inders:. „Heute war ein guter Tag, und hoffentlich werden wir noch viele weitere gute Tage erleben“. Er sollte Ding nicht unterschätzen.
Die Partie fand unter den Augen von Vishwanathan Anand statt, der das Kommentatorenteam im Studio an diesem Tag ergänzte.
Am Mittwoch geht es weiter. Gukesh wird dann sicherlich versuchen, mit den weißen Steinen ordentlich Druck aufzubauen. Die erste Frage lautet, wird er erneut zu seinem Königsbauern greifen, oder wird Gukesh das Eröffnungsrepertoire seines Gegners nach dem Aufzug des Damenbauern prüfen?