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HomeSchachweltmeisterschaft 2024In der Zwölften ist zunächst die Ruhe…

In der Zwölften ist zunächst die Ruhe…

Foto: Maria Emelianova Chess.com (FIDE Chess)

Von Thorsten Cmiel

Heute gab es einige offene Fragen: Wie wird Ding Liren zu gewinnen versuchen? Wird er seinen e-Bauern ins Rennen schicken? Oder bleibt der chinesische Weltmeister bei seiner bisherigen Strategie des ruhigen Abwartens? Immerhin hatte Ding die zwölfte Partie gegen Ian Nepomniachtchi vor etwas mehr als einem Jahr ebenfalls gewonnen. Das kann ihm Hoffnung geben heute.

Ding erscheint wie jeden Tag zuerst und wird begleitet von seiner Mutter. Die Livebilder aus dem Ruheraum zeigen in der Folge die üblichen Chillingbilder des Weltmeisters. Der scheint die Einsamkeit zu suchen und ist zu sehen wie er an der halboffenen Tür steht. Dann schwenkt die AI gesteuerte Kamera etwas um. Gukesh zieht an seinem Kontrahenten strammen Schrittes vorbei und marschiert als Erster in den Cube, das Glashaus in dem gespielt wird. Dort verkündet wie jeden Tag der Zeremonienmeister Maurice Ashley seinen Spruch und ruft zuerst den Herausforderer Gukesh aus. Applaus. Als Ashley den Weltmeister Ding Liren vorstellt gibt es genauso viel Applaus, meine ich wahrzunehmen. Ich meine heute mehr Besucher im Foyer gesehen zu haben und vor allem Inder. Die Vorstellung des Ehrengastes lassen die Spieler über sich ergehen. Dann beginnt die Partie.


Ding Liren spielt erneut ein geschlossenes System und startet mit seinem c-Bauern. Gukesh wählt in der Folge eine prinzipielle Spielweise und verzichtet auf frühes Aufziehen seinen c-Bauern nach c5 wie sein Gegner am Vortag. Es entsteht ein Benoni-Stellungstypus. Beide Spieler werden diesen Stellungstyp sehr genau kennen, so meine Erwartung. Ich hatte die schwarze Stellung so ähnlich bei mehreren indischen Frauen bei der Schacholympiade beobachtet. Vielleicht gibt es sogar gemeinsame Analysen des indischen Teams. Der erste Eindruck bleibt wie in den letzten Tagen. Ding spielt verhalten. Aber vielleicht ist das heute eine gute Strategie. Zumal der Herausforderer bisher einige positionelle Schwächen gezeigt zu haben scheint.


Eine bemerkenswerte Folge von Randbauernzügen folgte hier. Zunächst zog hier Gukesh seinen Randbauern am Königsflügel nach h6. Ding reagierte mit seinem a-Bauern, den er ein Feld vorschob und Raumgewinn drohte durch Vormarsch mit seinem b-Bauern. Gukesh verhinderte das mit seinem eigenen a-Bauern, den er diesmal zwei Felder vorschob. Darauf antwortete Ding mit seinem h-Bauern. Die resultierende Stellung sieht kurze Zeit später nicht sonderlich anders aus. Beide Spieler scheinen sich in dieser Phase zu belauern.


Der Weltmeister hat eine Stellung erreicht in der bisher nur ein Bauernpaar verschwunden ist. Während sich die Kommentatoren hier ständig mit dem Zug d3-d4 beschäftigen und keinen weißen Vorteil entdecken können, habe ich den Verdacht, dass Ding heute seinen Gegner in einen positionellen Kampf verwickeln will und dort seine größere Erfahrung ausspielen möchte. Es mag für manche so aussehen als habe Ding sich aufgegeben und würde nicht alles versuchen. Diese Sicht auf die Geschehnisse wäre zu einfach. Die Zuschauer können heute eine heiße Phase um Zug dreißig herum erwarten.


Die Strategie des Weltmeisters ist aufgegangen. Er ist der Spieler, der entscheidet wann er die Stellung öffnen möchte. Viel mehr kann man sich kaum erhoffen nach einer derart ruhigen Eröffnung. Im nächsten Zug war hier ein Damenzug zu erwarten, um den Bauernzug des d-Bauern zu einer potentiellen Option zu machen.

Anish Giri kommentiert die Situation mit etwas zu viel Gehirnakrobatik, aber kommt zu einer ähnlichen Bewertung:

Es kann einen Spieler aus dem Gleichgewicht bringen, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Normalerweise würde er vielleicht nicht denken, dass er besser steht, aber jetzt denkt er, dass er gewinnen muss, also spielt er so, als ob er besser stünde, und er ist besser, also funktioniert das alles sehr gut für ihn. Er chillt!


(Eventualstellung) Der kritische Moment. Diese Stellung war nicht auf dem Brett, denn Gukesh hat seinen Springer im siebzehnten Zug nicht nach c5 gezogen. Das wäre aber die letzte Chance auf etwas Hoffnung gewesen. Beide Spieler gaben später in der Pressekonferenz an, dass sie die Variante nach der weiteren Folge 18.d4 Sd3 19.d5 berechnet hatten. Ding gab hier noch etwas längere Varianten an und wollte eine Stellung mit einer Qualität weniger (eine Leichtfigur für einen Turm) spielen.


(Eventualstellung) Das war die Zielstellung des Weltmeisters nach dem kritischen Zug (17…Sc5) und diese hielt er richtigerweise für chancenreicher für sich. Dennoch sollte Gukesh genau so spielen, denn in der Partie wurde der Inder erdrückt und blieb letztlich völlig chancenlos. Das weiß man natürlich hinterher besser. Dennoch diese Situation war bezeichnend für den Verlauf der gesamten Partie an diesem Tag. Gukesh war komplett ratlos und dann gelingt wenig.


Bisher sind die Spieler praktisch ohne direkten Feindkontakt ausgekommen. Die weiße Stellung sieht nicht nur überlegen aus, sie ist es auch. Weiß beherrscht das Zentrum und bestimmt weiter das Geschehen. Es sieht so aus als würde Ding heute den Kampf ausgleichen können. Schaut man auf die verbliebene Bedenkzeit bis zum vierzigsten Zug, dann wird deutlich, dass die indischen Fans heute wie ein Häuflein Elend traurig nach Hause gehen könnten. Für die objektiven Fans ist Hoffnung. Ding spielte hier erneut eine kurzzügigen Damenzug, diesmal von c2 nach c3. Im 20. Zug hatte Ding seine Dame von d2 nach c3 und im einundzwanzigsten Zug von c3 nach c2 gezogen. Ich erwäge in Zukunft solche subtilen Manöver als Ding-Züge zu bezeichnen.

Wie soll man es formulieren? 
Der Rest war eine Demonstration, ein Massaker würden andere vielleicht formulieren. Die weiteren Züge zu kommentieren halte ich für eine verbale Leichenfledderei einer Schachpartie und schließe mit dem Hinweis auf das unweigerliche Ende in dieser Partie. Ding gewinnt gegen den heute ratlosen Gukesh.

Mein Take zur Situation nach Runde 12

Ding Liren hat in der zwölften Partie die vermutlich beste Partie in einem Weltmeisterschaftskampf des letzten Jahrzehnts gespielt. Das passierte nach einer im Verlauf unglücklichen Niederlage in der Runde zuvor. Das Konzept des Weltmeisters in der zwölften Partie war subtil angelegt und verfolgte eine einfache Strategie – er wollte den Gegner in einen positionellen Wettkampf ohne taktische Eskapaden verwickeln. Das gelang perfekt an diesem Tag. Das Spiel des 17. Weltmeisters der Schachgeschichte erinnert an die Spielweise des zwölften Weltmeisters, Anatoly Karpov, der zu seinen besten Zeiten ähnliche Leistungen vollbrachte. Die kurzen Damenzüge von Ding waren in diesem Sinne verstanden „karpovian“.

Der Wettkampf steht nach zwölf Partien unentschieden sechs zu sechs und ist damit offen. Der indische Herausforderer Gukesh hat wie in Toronto eine Ruhetag um sich zu sammeln und von dieser krachenden Niederlage zu erholen. Beim Kandidatenturnier im Frühjahr verlor der Inder in der siebten Runde gegen Alireza Firouzja und kam stärker zurück. Das könnte dem Team des Herausforderers Hoffnung geben.

Auf die zwei verbliebenen Partien darf sich die Schachwelt freuen und ich erwarte einen offenen Kampf um die Weltmeisterschaft 2024.

Nach der Pressekonferenz gab es ein Geschenk für Ding.


Mit einer Bemerkung in einer frühen Pressekonferenz begann eine eine bemerkenswerte Symbiose sich selbständig zu machen und führt beispielsweise zu solchen grandiosen Videos.

Chilling like Ding.


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