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HomeDiskussionen in der SchachweltFIDE gegen Freestyle. Zwei verlieren. Einer mehr.

FIDE gegen Freestyle. Zwei verlieren. Einer mehr.

Titelfoto: Dariusz Gorzinski.

Es ist schade. Jan Henric Buettner und Magnus Carlsen sind laut gestartet mit ihrem Projekt und mit ihrer Konfliktstrategie kleinlaut gelandet, vorerst. Der Weltschachbund setzt sich durch mit seiner Verteidigungsstrategie und trotzdem verlieren alle, irgendwie.

Ein Kommentar von Thorsten Cmiel

Ab dem 7. Februar 2025 wird in Ostholstein Schach gespielt. Fischer Random Schach mit ausgelosten 959 Stellungen oder Freestyle Schach, wie andere sagen. Die besten Schachspieler der Welt spielen eine Schachvariante mit ausgelosten Stellungen, die Spannung verspricht für die Spieler auf dem Brett. Die finanzielle Ausstattung des Projektes ist hervorragend und die Spielbedingungen ebenfalls. Die Schachwelt darf tolle Hochglanzbilder erwarten und komplexes Geschehen auf dem Schachbrett. Das ist eine Bereicherung für das Turnierangebot von Spitzenturnieren. Allerdings ist längst nicht ausgemacht, dass der Spaß auf dem Brett, den es manchem Akteur zu machen scheint, auf die Zuschauer überspringt. Denn es bleiben offene Fragen.

Ist Freestyle Schach massentauglich?

Schach ist ein komplexes Spiel, das der Vielzahl von Zuschauern ohnehin schwierig zu vermitteln ist. Wenn man aber selbst einigermaßen versteht was auf dem Brett passiert, dann ist das Schachspiel ein faszinierendes Spiel. Es muss für die meisten Zuschauer gut erklärt werden, taktisch und strategisch. Schach ist nicht einfach visuell zu verstehen, sondern bedarf des Kommentars von meist starken Spielern. So können die Moderatoren etwas Licht ins Dunkel bringen. Für den typischen Zuschauer, der oft nur etwas mehr als Regelkenntnisse aufweist, ist der „Evalbar“, das ist die Computerbewertung in Balken- und Zahlenwerten, eine Hilfe das Geschehen auf dem Brett zu verstehen. Man weiß intuitiv wer vorne liegt in einer Partie. Aber: Bei Freestyle Schach sind sogar erfahrene Großmeister mit dem Erklären der ausgelosten Grundstellung überfordert und müssen früh die Maschinenbewertung zur Hilfe nehmen, um keinen Unsinn zu erzählen. Diese Zweifel an der Erklärbarkeit müssen die Freestyler irgendwie auflösen, um Zuschauer dauerhaft an sich zu binden.

Ein anderer Aspekt auf den die Freestyler eine Antwort parat haben müssen: Warum soll Freestyle Schach mit klassischer, also langer Bedenkzeit besser sein? Ausgerechnet die zwei Hauptprotagonisten Hikaru Nakamura und Magnus Carlsen, gehören zu denjenigen, die schon längere Zeit am lautesten eine kürzere Bedenkzeit fordern. Im Freestyle Schach soll es anders sein, damit die Spieler sich in die ungewöhnlichen Stellungen einarbeiten können und die Partien qualitativ nicht zu schlecht ausfallen. Das ist verständlich, steht aber im krassen Widerspruch zu der oft vorgetragenen These, Schach sei nur mit kürzeren Bedenkzeiten attraktiv vermarktbar. In kleineren Happen sozusagen.

Es wäre toll wenn die Freestyler wie angekündigt die Präsentation von Schachevents revolutionieren würden. Das kann durch neue Übertragungstechniken, neue Erklärkonzepte oder beispielsweise ungewöhnliche neue Zugänge erfolgen. Freestyle Schach als Avantgarde wäre ein tolles Konzept, das Schach insgesamt nach vorne bringen könnte. Alle würden profitieren und Spitzenprofis hätten eine dauerhafte neue Einnahmequelle. Das wäre eine Art Koexistenz, am besten ohne Futterneid.

Ich persönlich bezweifle, dass man Top-down sozusagen einen Trend in die Schachwelt implantieren kann. Freestyle Schach ist eher keine massentaugliche Variante, dafür sprechen die bislang mäßigen Zahlen von Spielen dieser Variante, auf den Onlineplattformen. Auch in der echten Welt gibt es unzählig viel Schachturniere mit der einen Stellung, aber kaum welche mit Fischer Random. Das mag mehrere Gründe haben. Einer davon: Der Schachenthusiast mag seine Eröffnungen, um sich daran in der eigenen Partie zu orientieren. Er kann mit gutem Willen und Interesse sogar durch eigenes Studium begreifen, wie unglaublich komplex die Vorbereitung in der Weltspitze heute sein muss. Turnierspielern, online oder offline ist in der Frage egal, spielen das gleiche Spiel wie Carlsen, Gukesh und Caruana, nur auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Trotzdem gibt es Millionen Spieler, die täglich in der gleichen Ausgangsstellung starten. Schach macht auf unterschiedlichen Spielniveau Spaß und fasziniert.

Die gleichen Regeln sind bei vielen Sportarten wie Fußball ein häufig vorgetragenes Argument für deren Popularität. In der Weltspitze wird nach den gleichen Regeln gespielt. Ein Fußballspiel dauert bei Erwachsenen 90 Minuten. Die Abseitsregel gilt sogar in der Kreisliga und so weiter. Durch die Einheitlichkeit der Regeln und damit des Spiels insgesamt ist die Leistung der Akteure in der Spitze für viele Beobachter besser einzuordnen und man kann mitreden als Fan.

Krieg“ statt Koexistenz

Der Konflikt zwischen dem Weltschachbund und dem Freestyle Projekt erscheint im Nachhinein unnötig, war aber leider aus Sicht eines Beobachters erwartbar. Der Streit eskalierte letztlich um die Frage, ob ein neu gegründetes Unternehmen in Hamburg eine Schachweltmeisterschaft ausrichten darf, ohne Qualifikation und nach eigener Auswahl der Teilnehmer, handverlesen war die Vokabel. Das klingt nicht nur willkürlich, das ist es auch.

Der Weltschachbund konnte es verständlicherweise nicht zulassen, dass die Organisation selbst keinen Einfluss auf ein Turnier, das sich Weltmeisterschaft nennt, haben sollte. Die FIDE glaubt ein Monopol auf das Ausrichten von Weltmeisterschaften zu haben. Die Position des Weltschachbundes konnten die Mannen um den Unternehmer Jan Henric Buettner nicht überrascht haben. Letztlich gehört es zur Vorbereitung dazu, die Position des Verhandlungspartners zu kennen und dessen mögliche rote Linien zu respektieren. Zumindest wenn man sich einigen will. Insofern stellt sich der monatelang schwelende und letztlich eskalierte Konflikt, zunächst als unprofessionelles Verhalten der Freestyler dar. Für diese Erkenntnis muss man nicht einmal Partei ergreifen.

Recap

FIDE und Freestyler hatten Termine abgesprochen und seit dem Spätsommer miteinander verhandelt. Irgendwann in der Zeit tauchte dann die Forderung der Freestyler auf, dass man gerne den Sieger der Grand Slam Tour zum Weltmeister küren würde. Danach stockten die Verhandlungen. Man kann sich nur vorstellen wie die Diskussionen aussahen, aber es ein vermutlich gute Wette, dass irgendwann, vielleicht aus Ungeduld, undiplomatisch von Seiten der Freestyler argumentiert wurde: Die FIDE habe ohnehin keine Rechte an dem Titel, man würde das im Zweifel rechtlich durchsetzen und einen Aufstand der Spieler organisieren. So hört sich Buettners Argumentation im Januar 2025 in Kurzform an. Er könnte intern schon vorher so argumentiert haben. Die Freestyler mögen rechtlich sogar die besseren Argumente haben, aber darauf kommt es letztlich gar nicht an in dieser Verhandlungssituation. Man müsste die Spieler in ihrer Mehrheit überzeugen die Eskalation mitzugehen und dazu waren vermutlich mit Carlsen und Nakamura nur zwei Spieler, deren Karriere sich dem Ende neigt, bereit.

Irgendwann im November, vermutlich nach einem teuren medialen Fiasko in Singapur, wurden gezielt Gerüchte gestreut. Als Narrativ stellte sich die Situation in der Öffentlichkeit so dar: Die gierige FIDE will 500.000 US-Dollar pro Jahr und die Freestyler wollten nur 100.000 US-Dollar zahlen. Dem widersprach Arkadij Dvorkovich für die FIDE früh. Emil Sutovsky erläuterte seine Sicht auf die Dinge in einem Interview mit Kaja Snare einen Tag nach dem vorläufigen Ende des Konfliktes. Seine Version, man müsse für eine Weltmeisterschaft eine Qualifikation organisieren und die koste mehr als die angebotenen Beiträge der Freestyler, klingt zumindest plausibel und deutet an, dass die Freestyler nicht das vollständige Bild gezeigt haben könnten.

Wie man keine Einigung hinbekommt

Der restliche Ablauf eignet sich als Fallstudie für schlechtes Verhandeln. Die Freestyler versuchten ihre nicht abwegige Rechtsposition durch Briefings in die Öffentlichkeit zu tragen. Die FIDE würde ihre Macht ungerechtfertigt ausnutzen und könne den Titel gar nicht schützen und Spieler nicht erpressen, hieß es. Dafür wurden manche offene Briefe der Freestyler verfasst, Ausstiegsdrohungen für New York verbreitet und Influencer informiert. Zudem wurde am 21. Dezember 2024 eine Einigung verkündet, die Spieler und Freestyle mit der FIDE gefunden haben wollen. Diese Meldung war eine leicht erkennbare „Ente“ wie man früher sagte, also ein Falschinformation. Erneut widersprach Dvorkovich per Social Media. Ein Rechtsstreit drohte.

Zu den Sticheleien der Freestyler gehörten abschätzige Bemerkungen von Magnus Carlsen über klassisches Schach. Vorgetragen kurz vor dem Weltmeisterschaftskampf und dokumentiert bei Twitter und in einem Werbevideo der Freestyler. Das will Carlsen im Nachhinein nicht so gemeint haben, wie er ebenfalls Kaja Snare erzählte.

Showdown

Verwunderlich ist aus meiner Sicht, dass die Verhandlungen zwischen den Parteien überhaupt weiter geführt wurden. Möglicherweise hat in der Folge Dvorkovich seit Dezember 2024 nur noch zum Schein verhandelt und ihm war als erfahrenem Politiker und Funktionär bereits bewusst, dass es keine Einigung mehr geben könne. Solch ein geheimer Vorbehalt wäre ihm nach den vielen verbalen Fouls der Gegenseite nicht einmal zu verdenken.

Zuletzt kritisierten Buettner und Carlsen den FIDE-Präsidenten Arkadij Dvorkovich und griffen ihn persönlich an. Die Freestyler dürfen sich letztlich nicht beklagen, denn wenn man offen droht und aus internen Diskussionen Teilinfomationen leakt, will man keine Einigung. Bei einer Konfliktstrategie muss man letztlich zur Eskalation auch bereit oder in der Lage sein. Die FIDE hat hier das Verhandlungsspiel besser gespielt als die Freestyler mit dem besten Schachspieler aller Zeiten, der letztlich abseits des Brettes in dem Konflikt eher wie ein bockiges Kind wirkt, das seinen Willen nicht bekommt. Die persönlichen Angriffe von Carlsen zunächst gegen Sutovsky und Anand und später von Buettner und Carlsen gegen Dvorkovich haben das sprichwörtliche Tischtuch endgültig zerschnitten.

Der Konflikt gärt weiter

Am Ende ist Buettner und dem Freestyle Projekt die Zeit ausgegangen. Der Unternehmer Buettner hat letztlich die Notbremse gezogen und auf die Bezeichnung Weltmeisterschaft verzichtet. Die Freestyle Chess Grand Slam Tour 2025 kann stattfinden mit allen Spielern. Buettner wird bemerkt haben, dass die Meinungen zu dem Streit in der Schachwelt gespalten sind und das gilt vermutlich sogar für die Spitzenspieler seiner eigenen Tour, die sicherlich gerne die bestens dotierten Turniere spielen, aber für die der Titel Weltmeister im Freestyle Schach keine Bedeutung hat. Vielleicht hat Buettner zu sehr darauf gebaut, dass Magnus Carlsen als bester Spieler aller Zeiten, GOAT, eine breite Unterstützerbasis genießt in der Schachwelt und unter den Spielern. Diese bröckelt aber schon seit dem Drama mit Niemann 2022 zusehends und nicht zuletzt wegen des geteilten Blitz-Weltmeistertitels in New York wird Carlsen zunehmend kritischer gesehen. Dass er die Situation mit dem geteilten WM-Titel falsch eingeschätzt hat, sieht Carlsen inzwischen selbst ein.

Es bleibt zu hoffen, dass Buettner und Carlsen doch noch irgendwen im eigenen Team finden, der sie von ihrem bisher eingeschlagenen Konfliktpfad abbringt. Zwar will Buettner seine Rechtsanwälte kontaktieren, aber das kann er später auf die Emotionen des Moments schieben.

2026 – Konflikt unwahrscheinlich

Im nächsten Jahr werden die praktischen Chancen auf einen erfolgreichen Rechtsstreit mit der FIDE übrigens nicht besser stehen, im Gegenteil. Der Weltverband hat Verträge mit seinen Spielern, welche diesen die Teilnahme an Schachweltmeisterschaften anderer Organisatoren erschwert. Bei Verstoß kann die FIDE diesen Spieler aus dem eigenen WM-Zyklus nehmen, heißt es. Diese Vereinbarungen mögen letztlich rechtlich nicht haltbar sein, aber das gerichtsfest nachzuweisen dauert Zeit. In 2026 stehen Kandidatenturnier und Weltmeisterschaft an. Kein Kandidat wird sich 2026 auf das Risiko eines Ausschlusses von dieser Chance einlassen. Dem Projekt Freestyle gingen dann – sie müssten die Tour zum Eskalieren zunächst wieder Weltmeisterschaft nennen – die Spieler verloren und nicht der FIDE.

Es ist nicht anzunehmen, dass der aktuelle Weltmeister Gukesh und die Inder insgesamt ein solches rechtliches Risiko eingehen. Die Kampagne der Freestyler hat bereits indische Sportmedien auf den Plan gerufen. Sollte sich die Sichtweise durchsetzen, dass Magnus Carlsen und Jan Henric Buettner den wahren Weltmeister küren wollen, dann kehren mit größter Wahrscheinlichkeit die besten Spieler der Welt, und das sind zurzeit vor allem die indischen Goldmedaillengewinner aus Budapest, der Freestyle Serie den Rücken. Damit würde die Legitimität des Events einen erheblichen Schaden nehmen. Sportlich wäre sie uninteressant für die künftig führende Schachnation der Welt.

Jan Henric Buettner und sein Team dürften also gewarnt sein. In 2025 können sich die Freestyler endlich darauf konzentrieren, Freestyle Schach attraktiv zu präsentieren und erfolgreich zu vermarkten. Das würde das Prestige des Projektes in der Schachwelt steigern. Die Freestyler müssen künftig nicht einmal mit der FIDE über das Abstimmen des Kalenders hinaus zusammenarbeiten. Die Angriffe auf das klassische Schach und damit den wichtigsten Weltmeistertitel der FIDE sollten sie allerdings künftig unterlassen. Sie vergraulen dadurch nicht nur Funktionäre, sondern auch andere Organisatoren von klassischen Schachturnieren. Der Erfolg des Projektes Freestyle hängt in Zukunft weniger von der FIDE als von den eigenen Protagonisten ab.


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