
Das Titelfoto zeigt eine AI-generierte Enigma
Jeder Spieler gerät gelegentlich in Schwierigkeiten. Dann zeigt sich eine Eigenschaft, die unterschätzt und nicht gut trainiert werden kann: Widerstandsfähigkeit zeigen. Anhand von Big-Swing-Partien kann man oft bei starken Spielern noch nachvollziehen wie sie eine schlecht stehende Partie noch zum Kippen gebracht haben.
Von Thorsten Cmiel
Meine Definition
Big-Swing-Partien sind Schachpartien, die für eine Seite bereits objektiv gewonnen waren, aber am Ende noch kippen oder zumindest im Verlauf gekippt sind, also in der Bewertung einen Big-Swing beinhalten (Gewinnstellung wird Ausgleich und geht im idealen Fall sogar noch verloren). Das passiert in der Praxis natürlich gelegentlich durch einen groben Fehler. Aber analytisch interessanter sind Partien in denen starke Spieler durch harte Gegenwehr solche Swings „erzwingen“. Grobe Fehler sind dabei gar nicht notwendig. Ein Vorteil kann sich auch nach mehreren Ungenauigkeiten verflüchtigen.
Kunst der Verteidigung
Natürlich muss der Gegner irgendwie mithelfen, damit eine eigentlich verlorene Partie noch remisiert oder sogar noch gewonnen werden kann. Aber wer glaubt das sei Glück, der unterschätzt den psychologischen Effekt, den Hartnäckigkeit bei der Verteidigung auslösen kann. Während starke Spieler darauf setzen sich im Verlauf zu wehren, versuchen manche Spieler einen „letzten“ Trick. Falls der nicht gut genug verpackt ist, ist das eher eine Strategie, die zur unweigerlichen Niederlage führt.
Beginnen wir mit einem Beispiel von der Schacholympiade 2022 in Chennai. 2022 hatte ich mich beim Covern auf die zweite indische Mannschaft spezialisiert und lag nicht ganz falsch mit meiner Wahl. In der indischen Presse gab es zu der folgenden Partie sogar eine eigene Nachricht. Der Volksheld Praggnanandhaa, Pragg, hatte die längste Zeit der Partie auf Verlust gestanden. Irgendwann zahlte sich sein Widerstand aus und er konnte die Stellung wieder ausgleichen. Am Ende verlor sein Gegner, der schweizerische Großmeister Yannik Pelletier, sogar auf Zeit. Pragg gelingt durch Geschick den Gegner immer wieder vor neue Aufgaben zu stellen. Beide Spieler begehen Fehler. Letztlich wird dem schweizerischen Großmeister zum Verhängnis, dass er oft viele gute Optionen hatte und die Auswahl ihn viel Zeit kostete. Es kommt unweigerlich eine Erschöpfungsphase, die beide Spieler erfasst zu haben scheint.


Die Fotos stammen von der Schacholympiade. Yannick vor der Partie und Pragg zwei Tage später.
Die Entscheidungspartie
Eine andere Partie von der Schacholympiade ist mir ebenfalls gut in Erinnerung geblieben, die sogar großen Einfluss auf die Schachgeschichte genommen hat. Nodirbek Abdusattorov verteidigt sich stoisch und auch in dieser Partie gibt der Weiße seinem Gegner Hoffnung, weil der gegnerische König lange etwas luftig steht.
Frauen Grand-Prix in Pune 2025
Es gab manche bemerkenswerte Comebacks im Turnier. Einige wollen wir uns hier kurz anschauen. Oft sind Fehler das Ergebnis hartnäckiger Verteidigung vorher und haben natürlich genauso etwas mit der Unsicherheit der Spielerinnen während der Partie zu tun. Betrachten wir zwei Partien der Bulgarin Salimova, die zwei große Vorteile letztlich nicht verwerten konnte.

Die folgende Partie ist sogar der ultimative Bewertungsswing. Beide Spielerinnen hatten Chancen einen vollen Punkt zu kassieren. Es sollte allerdings nicht sein. Solche Partien machen Zuschauern sicher mehr Spaß als Siege, die nach kleinen Ungenauigkeiten stetig aufsteigende Bewertungen zeigen und letztlich fehlerlos über die Bühne gehen. Vielleicht ist das auch der Grund weshalb Mikhail Tal so beliebt und Anatoly Karpov so unterschätzt wird. Karpovs Spielstil ist aus Sicht des Spielers sicherlich weniger emotional aufwühlend. Im Englischen spricht man von Spielstil oder einzelnen Zügen, die „karpovian“ sind.