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Freestyle Update

Titelfoto: Maria Emelianova Freestyle Chess

Die gute Nachricht zuerst. In Weissenhaus wird Schach gespielt. Lotterieschach nur, aber zumindest manche interessante Endspiele werden von den Spielern produziert. Das überlagernde Thema in den Medien ist jedoch vor allem der weiter schwelende Konflikt zwischen den Freestylern und dem Weltschachbund FIDE. Die Saga geht weiter.

Von Thorsten Cmiel

Wer hat was wann zu wem gesagt und wer hat sich wie warum unprofessionell verhalten. Darum geht es in diesen Tagen in der Schachwelt. In der Tat produziert das Gekreische für das Schachspiel und das Freestyle Projekt Aufmerksamkeit. Buettner bedankte sich dafür bei dem Weltschachbund und seinen ehemaligen Gesprächspartnern nicht zu unrecht in einem Interview. Bevor wir zu diesen wirklich wichtigen Themen kommen, schauen wir kurz auf den Start am Freitag. Die Bilder sind hochglänzend. Viele Medienvertreter und Influencer sind vor Ort, berichten und produzieren. So würde man es sich immer wünschen, wenn die besten Spielerinnen und Spieler der Welt gegeneinander antreten. Das gefällt.

Qualität der Partien

Die Qualität der Partien zu Beginn ist niedriger als bei der klassischen Startaufstellung. Natürlich müssen sich die Spieler noch an die ungewohnten Startbedingungen gewöhnen. Normalerweise kann man von Weltklassegroßmeistern bessere Partien in der klassischen Disziplin erwarten als was wir in Weissenhaus gesehen. Nehmen wir den Game Intelligence Score nach Mehmet Ismail als Maßstab. In klassischer Spielweise ist ein GI-Score von 160 Weltklasse. Das ist allerdings nicht mehr als eine grobe Orientierung.

Die GI-Scores von klassischen und Freestyle oder Genauigkeitswerte zu vergleichen ist allerdings nicht fair, da die Spieler in den typischen Varianten viele Züge auswendig gelernt haben und so hohe Genauigkeitswerte auf die ganze Strecke erzielen. Das liegt an der Messmethode. Dennoch ist der GI-Score neben der puren Genauigkeit ein wichtiger Hinweisgeber auf die Qualität der Partien. Das muss dem Spaß der Spieler oder Zuschauer allerdings nicht im Wege stehen. Vielleicht macht es dem einen oder anderen sogar Spaß Großmeister beim Erraten von Zügen zu beobachten. Ich erwarte bei längerer Bedenkzeit weniger Fehler und Unfälle.



Outtakes

Ein grober Fehler im Endspiel entscheidet diese Partie. Es ist sehr lehrreich, dass der Springer, dessen Stärken im Nahkampf liegen, gegen weit vorgerückte Freibauern immer eine schwache Verteidigungsfigur ist. Es ist also grundsätzlich ein wichtiges Ziel des Verteidigers den gegnerischen Freibauern so früh wie möglich zu stoppen. Vincent gelingt das in der erste Runde des vorgelagerten Qualifikationsturniers nicht, es wird Schnellschach gespielt.


Zwei Favoriten gegeneinander


Die Partie zu analysieren ist aufwendig. Sie zu verstehen noch schwieriger und erklären ist unmöglich. Wer will kann sich daran wagen. Ohne Enginehilfe ist man als Moderator verloren. Schauen wir uns statt den Aufwand zu betreiben die Schnellanalyse von Li-Chess an. Die ist zwar nicht sonderlich präzise, aber es zeigen sich doch zwei sehr große Ausschläge. Die Spieler kämpfen ohne Zweifel mit den ihnen gestellten ungewöhnlichen Stellungsproblemen, die aus der Eröffnung heraus entstehen.


Komplexität

Peter Heine Nielsen weist in einer X-Nachricht auf eine Situation hin aus einer Partie seines Schützlings. Hier würde ein Bauernzug die gegnerischen Kräfte in ihrer Wirkkraft deutlich reduzieren und die üblichen Gegenschläge (Bauernhebel) b7-b6 und e7-e5 wären hier weniger wirkungsvoll oder schwieriger zu bewerkstelligen als in klassischer Aufstellung – der Läufer f8 fehlt.


Gelerntes Wissen weiter in Kraft

Selbst bei dieser Schachvariante gewinnen zwei Springer nicht gegen den blanken König. Aber der Usbeke Nodirbek Abdusattorov versucht es trotzdem und handelt sich den Blick des ersten Tages ein. Ich muss gestehen es aus Ärger über den Partienverlauf auch schon einmal vor vierzig Jahren in einer Turnierpartie versucht zu haben. Ich kann garantieren, es geht nicht. Ich vermute Gukesh konnte ein Remis reklamieren, aber wer kennt schon die Regeln in dieser Situation? Anmerkung zu den Regeln: Da die stärkere Seite theoretisch gewinnen kann, muss man 50 Züge warten bis man reklamieren kann.



Take Take Take

Man muss wissen, dass Magnus Anteilseigner an dem norwegischen Unternehmen Take Take Take ist. Die Moderatorin konfrontiert Sutovsky mit einigen Aussagen, anders als Jan Henric Buettner, der von ihr in Weissenhaus ebenfalls befragt wurde und weitgehend monologisiert. Interessant ist die Gegenüberstellung trotz des offensichtlichen Mangels an Waffengleichheit im Setting. Es bleibt so, dass die Darstellungen der internen Gespräche beider Seiten voneinander abweichen und unterschiedliche Schwerpunkte in der Argumentation enthalten. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass laut Buettner die FIDE auf die Idee kam das Event Weltmeisterschaft zu nennen. Sutovsky stellt das anders dar. Man wird die Wahrheit in diesem nicht unwichtigen Detail vermutlich nie erfahren.

Emil Sutovsky im Interview


Laut Jan Henric Buettner hat ihn die FIDE gedrängt seine Eventserie als Weltmeisterschaft zu veranstalten. Er wollte eigentlich nicht. Am Ende ging es laut Buettner wie immer im Leben um Geld. 50.000 US-Dollar, 100.000 US-Dollar, 300.000 US-Dollar und 500.000 US-Dollar waren irgendwann im Gespräch. Er wollte vor allem die jüngeren Spieler schützen und daher habe man sich entschieden, das Turnier nicht weiter als Weltmeisterschaft anzukündigen.

In gewisser Weise lustig, aber auch nach journalistischen Standards unterirdisch wird es wenn der Unternehmer aus Hamburg sein Mobiltelefon zückt, aus der Konversation mit Arkadij Dvorkovich zitiert und Nachrichten vorliest. Der beabsichtigte Eindruck entsteht, dass die FIDE durch immer neue Forderungen die Verhandlungen blockiert habe und Dvorkovich nicht der eigentliche starke Mann der anderen Seite auf dem Feld gewesen sein soll. Dass die Verhandlungen mit den Vertretern der FIDE keinen Spaß gemacht haben, kann man Buettner abnehmen. Dennoch kann weder die Fragestellerin noch der Zuschauer den Kontext der vorgelesenen Nachrichten beurteilen.

Singapur habe über eine Million (US-Dollar) gekostet und ihm und seinem Team wurden Hindernisse in den Weg gelegt, so schildert es Buettner. Die Freestyler haben sich die Aufmerksamkeit der WM zunutze machen wollen, reklamiert Sutovsky. Ob sämtliche Details genau so passiert sind wie der Freestyle-Chef es darstellt weiß man nicht. Buettner wird nicht mit weitergehenden Fragen konfrontiert oder mit der Position der Gegenseite, die seinen Auftritt als Gegenveranstaltung gegen ihre Weltmeisterschaft verstanden haben dürfte. Eine verpasste Chance.

Laut Buettner ging es der FIDE vor allem um Geld neben einem Platz im gemeinsamen Boot. Vor allem die Anerkennung der klassischen FIDE Weltmeisterschaft und das Installieren eines Qualifikationsmechanismus scheinen einige wichtige Streitpunkte gewesen zu sein. Auf den Aspekt der Qualifikation geht die Interviewerin allerdings nicht ein.

Jan Henric Buettner im Interview

Caruanas Take

In seinem Podcast C-Squared geht Fabiano Caruana im Gespräch mit seinem Sekundanten Cristian Chirila zunächst auf sein katastrophales Turnier in Wijk aan Zee zu Beginn des Jahres ein. Nach etwas mehr als 23 Minuten beginnen die beiden sich mit dem in den Schachwelt alles überschattenden Thema zu beschäftigen. Verglichen mit den zwei vorherigen dreifachen Takes ist es wohltuend jemandem zuzuhören, der versucht die Situation aus Spielersicht zu erklären. Nicht überraschend will der US-Amerikaner sich weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen. Er würde gerne beide Events spielen und den eigentlichen Streitpunkt habe ihm niemand so richtig erklären können.

Zu der Diskussion in Spielerkreisen gibt Fabiano seine Einschätzung zu Protokoll und glaubt nicht, dass die jungen Spieler sich für die vermeintlich höheren Aussichten Geld zu verdienen entscheiden würden. Für ihn gilt das ebenfalls. Er will Schachweltmeister werden und der ist in der Tradition von Lasker, Steinitz, Fischer und Kasparow angesiedelt. Chirila und Caruana erwähnen mehrfach, dass es in Weissenhaus vor allem um Spaß geht. Richtig ernsthaft scheint der langjährige Weltranglistenzweite Freestyle Schach also nicht zu nehmen.

Ein Detail lässt bei der Schilderung von Caruana aufhorchen: Caruana wusste bis zu einem gewissen Zeitpunkt gar nicht, dass die Freestyler eine Weltmeisterschaft ausrichten wollten. Darauf habe ein Vertreter der FIDE ihn aufmerksam gemacht. Auf der Website stand das in den Regularien, aber nicht auf der Startseite auf der die Tour angekündigt wurde.

Caruana erinnert an die bisherigen Weltmeisterschaften im Fischer Random bzw. Schach 960. Er berichtet von lächerlichen Qualifikationen und Wildcards, die gegen die Vorstellung, es handele sich um eine Weltmeisterschaft sprechen. Das hat eine gewisse Komik, da bei Freestyle Grand Chess Tour 2025 genau solche Wildcards bei der Auswahl der Spieler vergeben werden. Kritisch gegenüber der FIDE äußert sich Caruana besonders in einem Punkt: Einige Spieler seien in Wijk aan Zee, während des Turniers, mit einem Papier (Waiver) der FIDE konfrontiert worden, das sie bis zum 3. Februar unterschreiben mussten (Anmerkung: es ist bei der FIDE vom 4. Februar abends 18.00 Uhr CET die Rede).

Caruana spricht zudem an, dass die FIDE zuletzt keine eigenen Weltmeisterschaften im Fischerschach mehr veranstaltet hat und Nakamura in 80 Jahren vielleicht noch amtierender Champion sein könnte. Anmerkung: Die aktuelle Situation spricht dagegen, dass sich das ändern wird. Die FIDE würde durch ein eigene Turnierserie im Fischer Random ein Wiederaufleben des Konfliktes herbeiführen. Zudem dürfte sie unter den aktuellen Voraussetzungen kaum Geldgeber für diese unter Schachspielern bisher ohnehin nicht sehr populäre Variante finden.

Der Anand Take

Kein Thema ist bei den Fragerunden und im Podcast ein anderer wichtiger Aspekt: Die Rolle von Viswanathan Anand, der aus dem Startturnier in Weissenhaus ausgestiegen war. Die indischen Medien allerdings bleiben dran. Die Hindustan Times ist ein wichtiges, auflagenstarkes Medium in dessen Heimat mit ausführlicher Berichterstattung über Schach. Das Interview gibt allerdings nicht der Exweltmeister Anand, sondern erneut Emil Sutovsky. Ob Anand sich letztlich äußern wird zu den Gründen seines Ausstiegs steht in den Sternen. Für den Hintergrund ist das Interview trotzdem interessant. Sutovsky regt zum Schluss an, Anand zu seinen Beweggründen zu befragen, da er nicht für diesen sprechen könne.


Magnus Carlsen Take

Ein längeres Interview mit Magnus Carlsen ist angekündigt, vielleicht aber auch nur für Abonnenten. Momentan sind Schnipsel daraus bereits öffentlich. Er sieht die Freestyle Aktivitäten nicht gegen klassisches Schach gerichtet und fühlt sich missverstanden. Das klingt nach einer Art Teilrückzug nach seinem Tweet zum Start der Schachweltmeisterschaft in Singapur.



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