Von Thorsten Cmiel
Christof Sielecki ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autoren in der internationalen Schachszene. Seine Eröffnungskurse und Bücher sind beliebt unter ambitionierten Schachspielern und Anfängern gleichermaßen. Sielecki hat eine gar nicht so häufige Gabe, er kann Schach erklären und so nennt er sich auch: Chess Explained.
Christof Sielecki, geboren 1974, war ein Spätstarter im Schach und begann erst mit 14 Jahren im Verein zu spielen. Mitte der Achtziger Jahre gab es noch wenig Trainingsangebote für Jugendliche und so schlug sich Christof wie seinerzeit üblich als Autodidakt durch und las viele Schachbücher. Immerhin konnte er früh mit dem Computer arbeiten, mit Datenbanken beispielsweise. Das bestimmte dann sein weiteres Fortkommen und Sielecki begann sein Berufsleben mit einer Bankausbildung bei der WestLB in Düsseldorf. Dort arbeitete er im Controlling, da ihm IT Projekte Spaß bereiteten. Im klassischen Bankgeschäft war er nach der Ausbildung nie tätig. Seine Aufgaben waren ausschließlich techniknah und umfassten das Beraten des Managements und das Betreuen von IT-Systemen.
Der Spätstarter
Beim Titelerwerb nahm Sielecki sich mehr Zeit als andere. Mit 21 Jahre wurde der Dinslakener FIDE-Meister und mit 23 Jahren hatte Sielecki bereits eine Hürde für den Titel eines Internationalen Meisters genommen und eine respektable Elozahl von mehr als 2400 Punkten erspielt. Seine ersten zwei Nomen holte Sielecki 1997 in Ungarn. 14 Jahre später, mit 37 Jahren, gelang ihm seine dritte und definitive Norm beim 27. Europäischen Club Cup im slowenischen Rogaska Slatina. Es funktionierte vorher einfach nicht oder bei ihm haben die Nerven versagt, so erinnert sich Sielecki im Jahr 2024. Vielleicht hat die Arbeit an seinem neuen Youtube-Kanal 2011 ihm geholfen. In jedem Fall gab der Titel ihm Auftrieb für seine spätere Karriere. Ein Titel sei heutzutage schon längst kein Argument mehr, um im Schachgeschäft erfolgreich zu sein, aber 2011 sei der IM-Titel wichtig gewesen.
Die Anfänge
An den Start seiner professionellen Schachkarriere erinnert sich Christof Sielecki noch ganz genau: Es begann wie bei vielen Stars der Szene mit dem eigenen YouTube Kanal. Den Ausschlag dazu gab ein Gespräch mit einem anderen Schachspieler und Arbeitskollegen in der Bank, der ihm letztlich ein Kompliment machte und sagte Sielecki könne Schach gut erklären. Christof besorgte sich ein günstiges Mikrofon und stellte seine ersten Videos auf Youtube für die Welt sichtbar. Zunächst nahm er eigene Online Blitzpartien auf und erzählte was ihm durch den Kopf ging. Er hatte nicht erwartet, dass diese Videos irgendwen interessieren würden, statt der erwarteten zwei Zuschauer waren es aber schnell einige Dutzend, die sich für seine Aufnahmen interessierten. Damals gab es nur wenige Schachkanäle und Sielecki war einer der Ersten erinnert er sich heute. Youtube war 2011 kaum bekannt und niemand konnte die Dimension des späteren Wachstums der Videoplattform vorhersagen. Videos von Blitzpartien mit Kommentaren sind heutzutage längst ein typisches Sendeformat. Manche wie Hikaru Nakamura, ein US-amerikanischer Spitzengroßmeister, haben dieses Format zu ihrem Lebensalltag gemacht und verdienen Millionen. Sielecki selbst war jahrelang als „Banter“-Spieler aktiv für die inzwischen eingestellte Webpräsenz von Chess24, einem Hamburger Onlineportal für Schach. Dort konnten Abonnenten gegen bekannte Schachspieler online Partien spielen und die anderen Zuschauer verfolgten die Livekommentierungen. Gespielt wurden meistens längere Blitzpartien.
Ein Zufallsgegner
Zum Start entstanden so mehrere Dutzend Videos für den zufällig Chess Explained“ genannten Kanal, zunächst in deutscher Sprache und dann in englischer Sprache. Sielecki wollte ausprobieren, ob sich dann mehr Zuschauer finden würden. Seine erste per Video übertragene Partie spielte er ausgerechnet gegen Hikaru Nakamura.
Also ich habe wirklich da gesessen und gesagt, jetzt nehme ich die erste Partie in Englisch auf, und dann haben sie mir Nakamura zugelost im ICC.* Das ist natürlich ein Hammer. Der war noch nicht die Internetprominenz wie heute, aber es war trotzdem super.
*Der ICC ist der Internet Chess Club.
Seine ersten Videos seien irgendwie skurril gewesen meint Christof Sielecki, da er zu Beginn noch keine Kamera benutzt habe, sondern nur das Brett aufnahm und aus dem Off kommentierte. In jedem Fall sei sein Kanal schnell gewachsen, erinnert sich Sielecki.
Nach zwei oder drei Jahren hatte Sielecki 25 bis 30 Tausend Abonnements. Und war damit ungefähr in den Top 20 der auf Schach spezialisierten Kanäle. In den ersten zwei Jahren nach dem Start bekam Christof Sielecki dann immer mehr Feedback und Anfragen, ob er Schachtraining geben könne. Das lehnte er zunächst ab, da er Vollzeit im Büro bei einer Bank arbeitete. Immerhin bemerkte der Dinslakener, dass es offensichtlich einen Bedarf gab.
Bankpleite als Startschuss
2013 dann verlor die WestLB, eine Landesbank, ihre günstige Refinanzierungssituation via Landesgarantien und wollte Mitarbeiter loswerden. Sielecki ergriff seine Chance und nahm das Abfindungsangebot an: Sielecki machte sein Hobby Schach zum Beruf, mit 39 Jahren. Für den Spätstarter ging es dann plötzlich sehr schnell. Noch zu Zeiten seines Jobs bei der Bank hatte Christof die Arbeit an seinem ersten gedruckten Schachbuch begonnen. Das Buch kam dann 2015 heraus.
Christof Sielecki erinnert sich so an seine Gedanken in der Anfangsphase: »Ich laufe jetzt nicht Gefahr, Pleite zu gehen nach einem Monat. Ich kann versuchen, ob es geht. Anfang Februar 2014 hatte ich sofort Schüler. Ich hatte sofort so viele Schüler, dass ich die Abfindung gar nicht gebraucht hätte. Es lief von Anfang an und wurde immer mehr. Ich hatte im Prinzip dann 2014/15 einen Vollzeitjob als Online-Trainer im Wesentlichen. Ich habe es einfach ausprobiert und bin losgelaufen.«
Sielecki war fleißig und gab jede Woche dreißig bis vierzig Stunden Schachunterricht.
Online-Trainer wird Chessable Autor
In der Folge gibt es immer wieder Zufälle, die sich später als wertvoll erweisen. So auch bei Christof Sielecki. Ende 2014 oder 2015 kontaktierte ihn ein gewisser John Bartholomew aus Minnesota. Auch der startete seinen eigenen YouTube Kanal und kontaktierte Sielecki, um nach Tipps zu fragen. Die beiden tauschten sich aus und Bartholomew half Sielecki bei Fragen zum Online-Schachtraining.
Aus dem Kontakt zu Bartholomew wurde später mehr und gab Sielecki’s Berufsleben eine weitere rasante Wendung. Anfang 2016 meldete sich der US-Amerikaner via e-Mail und berichtete von seinem neuesten Projekt, einem Startup. Bartholomew war einer der Mitgründer von „Chessable“ und wollte eine Schachlernplattform aufbauen. Er fragte Sielecki, ob er einen Kurs machen wolle, da es noch an Inhalten fehlte. Die Plattform funktionierte zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Es gab eine Webpräsenz und eine Idee, aber nichts was schon funktional war. Sielecki sagte trotzdem zu und machte einen Kurs über das Wolga Gambit, eine dynamische Eröffnungsvariante für Schwarzspieler. Zur Themenauswahl hatte Sielecki „Marktforschung“ betrieben, indem er seine Vereinskameraden befragte was die interessieren würde. Der Kurs kam im August 2016 heraus und war einer der allerersten Kurse auf der Plattform. Die Verkaufszahlen waren ansprechend. In der Urversion von Chessable wurden die Kurse ohne Videos angeboten. Es gab nur Textteil mit einem Move-Trainer. Man habe damals noch etwas ausprobiert und wusste gar nicht so genau was ankommt bei potentiellen Käufern der Kurse. Das ist inzwischen anders. Chessable ist ein internationales Unternehmen, das beinahe täglich neue Schachkurse herausbringt.
Heute Vollzeit – Autor
Für Sielecki war 2017 das Kursgeschäft damals nur die Zweitbeschäftigung. Sein nächster Kurs beschäftigte sich mit dem Aufzug mit dem Königsbauern (1.e2-e4) und Sielecki nannte das einfach „Keep it simple“. Im März 2018 kam der Kurs raus und hatte erstmals Videos. Die Übertragungstechnik bei Chessable-Kursen ist das Internet und die Technik war neu und gab Zuschauern die Möglichkeit hin- und herzuspringen zwischen den Zügen und den Erläuterungen dazu. Dieser Kurs war ein Kassenschlager und der Beginn von weiteren Kursen mit unterschiedlichen Startzügen von Sielecki.
Chess Explained ist inzwischen eine Marke in der Welt des Schachwissens. Solche Marken sind laut Sielecki wichtig, wobei für ihn die Produktmarke „Keep it simple“ für Kurse und für Bücher eine noch größere Bedeutung zu haben scheint. Das hat Wiedererkennungswert und es geht natürlich darum, Alleinstellungsmerkmale zu kreieren, um sich von anderen im Markt abzusetzen. Inzwischen gibt es viele Autoren bei Chessable.
Kein Blick zurück
Der Youtube-Kanal von Sielecki ist eingeschlafen. Das ist einfach ein anderes Geschäftsmodell. Zwar macht ihm das Aufnehmen von Videos durchaus Spaß, aber als Streamer oder Youtuber muss man öffentlich viel präsenter sein. Irgendwie zur Markenpflege dient ein regelmäßiges Format mit dem bekanntesten deutschen Youtuber, Georgios Soleidis. Die beiden haben ihr markanten Köpfe zum Programm gemacht und nennen sich die „Schachglatzen“. Alle paar Wochen verabreden sich die beiden Schachprofis und besprechen was in der Schachwelt so passiert.
Der Erfolg als Autor für Onlinekurse hatte erkennbare Konsequenzen für Sielecki, der sich voll auf das neue Geschäft einlassen wollte, keine neuen Schüler mehr annahm und so aus dem Trainergeschäft herauswuchs. Inzwischen arbeitet Sielecki nur noch sporadisch ein bisschen als Schachtrainer und sieht sich als Vollzeitautor, die Bezeichnung als Content Creator mag er nicht.
Seinen Schritt in die Selbstständigkeit hat Sieleckt nie bereut und sein Abschlusszeugnis von der Bank befindet sich noch immer in einem verschlossenen Umschlag in irgendeiner Schublade.
Fotos: Chessable.