Das Weltmeisterschaftsspiel besteht aus 14 Partien. Der Spieler, der 7,5 Punkte oder mehr erzielt, gewinnt das Match. Es werden keine weiteren Partien gespielt. Ist der Punktestand nach 14 Spielen ausgeglichen, wird der Sieger durch einen Stichkampf ermittelt. Im Stichkampf sind Schnellschachpartien vorgesehen, deren Bedenkzeit im Bedarfsfall und bei Gleichstand sukzessive reduziert würde.
Bedenkzeit
In den 14 Matchpartien erhalten die Spieler 120 Minuten für die ersten 40 Züge, danach gibt es 30 Minuten pro Spieler für den Rest der Partie. Ab dem 41. Zug erhalten die Spieler einen Zeitaufschlag von 30 Sekunden pro Zug (Inkrement).
Der Zeitplan
Die Weltmeisterschaft wird innerhalb von drei Wochen entschieden mit 14 Spieltagen und vier Ruhetagen. Sämtliche Spiele beginnen um 17:00 Uhr Ortszeit (GMT+8), dann ist es in Europa 10.00 Uhr, in St Louis (USA) ist es 3.00 Uhr nachts. Es gibt Ruhetage nach den Partien 3, 6, 9 und 12. Der erste Spieler, der 7,5 Punkte erreicht, ist der neue (alte) Schachweltmeister. Bei einem Unentschieden nach 14 Spielen werden am nächsten Tag Stichkämpfe gespielt, um den Sieger zu ermitteln.
25. November
1. Partie
26.November
2. Partie
27. November
3. Partie
28. November
Ruhetag
29. November
4. Partie
30. November
5. Partie
1. Dezember
6. Partie
2. Dezember
Ruhetag
3. Dezember
7. Partie
4. Dezember
8. Partie
5. Dezember
9. Partie
6. Dezember
Ruhetag
7. Dezember
10. Partie
8. Dezember
11. Partie
9. Dezember
12. Partie
10. Dezember
Ruhetag
11. Dezember
13. Partie
12. Dezember
14. Partie
13. Dezember
Mögliche Stichkämpfe
Der neue Weltmeister wird am 14. Dezember in einer Abschlussveranstaltung gekürt. Nicht ganz eindeutig ist, wie der Zeitplan bei vorzeitigem Ende geregelt ist (TC).
Preisgeld
Der Gesamtpreisfonds für das Match beträgt 2,5 Millionen US-Dollar, wobei die Verteilung von den Spielergebnissen abhängt. Der Preisfonds wird wie folgt aufgeteilt: Jeder Spieler erhält 200.000 US-Dollar für jede gewonnene Partie. Das restliche Preisgeld wird zu gleichen Teilen unter den Spielern aufgeteilt. Wird der Sieger durch einen Stichkampf ermittelt, erhält der Sieger 1.300.000 US-Dollar, der Zweitplatzierte 1.200.000 US-Dollar.
Turnierort und Sponsoren
Der FIDE-Weltmeisterschaftswettkampf 2024 findet in Singapur statt. Lokaler Ausrichter ist der Schachverband von Singapur. Das Match findet im 5-Sterne Equarius Hotel, in den Resorts World Sentosa statt, auf der 49 Hektar großen Vergnügungsinsel Sentosa. Resorts World Sentosa ist gleichzeitig Sponsor des Events, das ein Gesamtbudget von mindestens 8,5 Millionen US-Dollar hat. Dem Organisationsteam ist es gelungen, Google als Titelsponsor für die Schachweltmeisterschaft zu gewinnen. Weitere Unterstützer sind das Ministerium für Sport, Kultur und Jugend von Singapur, der Tourismusverband und Chessable, einer e-Learning-Plattform für Schachinhalte.
Zuschauer
Es ist möglich den WM-Kampf als Zuschauer vor Ort zu verfolgen. Das einfache Ticket pro Runde kostet 64 Singapur Dollar, das entspricht etwa 45 Euro oder 47 US-Dollar. Dafür bekommt man zusätzlich Zugang zu einem Fanbereich. Daneben gibt es eine VIP-Bereich mit speziellem Catering. Ein VIP-Tagesticket kostet 380 Singapur-Dollar, was ungefähr 270 Euro und 280 US-Dollar entspricht. VIP erhalten bessere Plätze und können beispielsweise an Simultanveranstaltungen mit bekannten Großmeistern teilnehmen. Angekündigt sind die Ex-Weltmeister Vishwanathan Anand (IND), Alexandra Kosteniuk (SWZ) und Hou Yifan (CHN) sowie Boris Gelfand (ISR). Wer Tickets für mehrere Tage kauft, bekommt Rabatt.
Die ersten fünf Tage sind bereits ausverkauft (Stand 23. November 2024). Die Organisatoren bemühen sich um eine Erweiterung.
Nebenveranstaltungen
Vom 29. November bis zum 5. Dezember 2024 findet im Resorts World Sentosa Convention Centre ein internationales Offenes Turnier in zwei Leistungsgruppen statt. Die Turniere sind ausgebucht. Der Preisfonds liegt bei 100.000 Singapur Dollar, das entspricht etwa 70.000 Euro.
Am 5. Dezember 2024 findet ein internationales Blitzturnier statt. Das Startgeld beträgt 50 Singapur-Dollar. Titelträger (IM, GM, WIM, WGM) sind startgeldfrei.
Für ausgewählte Spieler gibt es ein viertägiges Trainingscamp, Masterclass genannt. Coaches sind die Großmeister Jacob Aagaard (DEN), Pavel Eljanov (UKR), Boris Gelfand (ISR) und Thomas Luther (GER).
Mit Lu Miaoyi betrat bei der Schacholympiade 2024 erstmals ein außerordentlich talentiertes chinesisches Talent die Weltbühne. Sie profitierte davon, dass China ohne ihre vier Topspielerinnen antrat und so kam Lu zu ihrem ersten Einsatz in Budapest. Sie spielte am Ersatzbrett und punktete mit siebeneinhalb Punkten aus neun Partien ordentlich. Mit einer Elozahl von 2441 ist die junge Chinesin im November 2024 bereits die Nummer 27 in der Weltrangliste.
Schon im Frühjahr 2024 war erkennbar, dass ihre 14-jährige Tochter in Kürze deutlich an ihr vorbeiziehen würde und den IM-Titel und danach den Titel eines Großmeisters erringen wird. So groß ist ihr Talent, nach meiner Einschätzung. Bereits 2020 stellte André Schulz, deutscher Chefredakteur für Chessbase Deutschland, das damals zehnjährige Mädchen in eine Reihe mit Yifan Hou. Zu Recht. Gestoppt wurde die Chinesin auf ihrem Weg in die Weltspitze zunächst durch die pandemiebedingte 15-monatige Reisepause. Im Frühjahr 2024 dann waren Mutter und Tochter auf Europatour und spielten ein Turnier nach dem anderen. Im Februar 2024 erzielte Miaoyi ihre erste IM-Norm im norwegischen Kragero. Unter ihren neun Gegnern in Norwegen waren sechs Großmeister, ein Internationaler Meister und eine Frauengroßmeisterin. Sie holte einen halben Punkt über den Durst. In der letzten Runde besiegte Miaoyi ihre Mutter in einem Feld mit zwanzig Teilnehmern – die eigene Mutter oder den Vater zu besiegen ist ein Ereignis, das viele Spieler in ihrer schachlichen Vita erwähnen. Selten holt man gleichzeitig eine wichtige Titelnorm.
Lu Miaoyi war bei der Schacholympiade in Budapest erstmals dabei. Zu Beginn sah es gut bei den Chinesinnen aus, die in den ersten vier Runden nur ein individuelles Remis zugelassen hatten. Dann folgten zwei überraschende Niederlagen gegen Armenien und das starke polnische Frauenteam und China fiel etwas ab im Kampf um die Medaillen. In der Vorschlussrunde ging es dann gegen die späteren Siegerinnen aus Indien. Lu Miaoyi trat gegen Vantika Agrawal an und die beiden Spielerinnen lieferten sich ein hochklassiges Theorieduell in einer scharfen französischen Verteidigung. Die Partie endete unentschieden. Vantika gewann Gold am vierten Brett und Lu wurde mit 7,5 Punkten aus neun Partien Dritte am Reservebrett und erhielt Bronze. Das chinesische Team ging leer aus.
Diese Stellung ist aus der Steinitz-Variante der Französischen Verteidigung entstanden. Beide Spielerinnen waren nach dem Qualitätsopfer 25…Txd7 noch in der eigenen Vorbereitung und die Partie ging in der Logik dann zwingend Remis aus. Die Partie ist eine eröffnungstheoretisch wichtige Angelegenheit für Anhänger beider Spielkonzepte.
Die junge Chinesin Lu Miaoyi ist eines der größten schachlichen Talente des letzten Jahrzehnts. Es wird spannend sein ihre weitere Entwicklung und ihre Partien zu verfolgen. Die Frage ist meines Erachtens nur, ob sie wirklich Hou Yifan oder Judit Polgar folgt und Frauentitel auf Dauer verschmäht und in der so genannten offenen Klasse angreift.
Titelfoto: Selfie nach dem Turnier – ohne Siegerin.
Elisabeth Paehtz – missglückter Start
Die Deutsche hatte hier eine wichtige Entscheidung zu treffen, übersah aber die Antwort ihrer chinesischen Gegnerin und musste fortan eine schlechte Stellung verteidigen. Es gab zwei Kandidatenzüge. 33…Tc3 und 33…Sxg4. Nach Schlagen auf g4 gerät die Stellung in ein materielles Ungleichgewicht, aber wie ist das zu bewerten?
Fifty Fifty Chance (Klicken)
Ein schachlicher Unfall
In der zweiten Runde kam es zu einem seltenen Unfall in der Partie der deutschen Großmeisterin Elisabeth Paehtz und ihrer mongolischen Gegnerin. Die Partie dauerte nach einem groben Fehler der deutschen Spielerin nur 17 Züge.
Goryachkina – übernimmt früh die Führung
Die entscheidende Partie für den Turnierausgang war letztlich die Begegnung der zwei Turnierfavoritinnen. Die Chinesin Tan Zhongyi erwischte keinen guten Tag und verlor weitgehend ohne Widerstand, aber nicht ohne Chancen für ein besseres Ergebnis. Gorychkina konnte ihren Vorsprung im weiteren Turnierverlauf verteidigen und gewann schließlich mit einem halben Punkt Vorsprung.
Lokalmatadorin nimmt Anlauf auf GM-Titel
Die Griechin Tsolakidou startet vielversprechend
Die Kasachin Assaubayeva muss noch warten
Stavroula Tsokalidou könnte GM-Norm schaffen
Mongolin im Clinch mit Svechnikov-Sizilianer
Zweite Niederlage. Tags drauf.
Eigentlich war der Sieg für die Kasachin sicher
Divya gewinnt Vorbereitung – dann geht es bergab
Doppel Interview nach der Partie in der achten Runde. Moderation: Charlize van Zyl (Fide Chess).
Im Ecosystem des Schachsports erscheint immer wieder ein neuer Stern, der die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht. Manche leuchten besonders hell. Einer dieser aufstrebenden Stars ist der junge indische Schachgroßmeister Dommaraju Gukesh. Mit seinen beeindruckenden Leistungen hat Gukesh nicht nur die indische Schachszene erobert, sondern insbesondere 2024 international für Aufsehen gesorgt. Sein nächstes großes Ziel ist der bevorstehende Weltmeisterschaftskampf in Singapur gegen den chinesischen Titelverteidiger Ding Liren.
Foto: John Brezina
Wer ist Gukesh?
Dommaraju Gukesh, so sein vollständiger Name, wurde am 29. Mai 2006 in Chennai, Indien, geboren. Als das Talent sichtbar wurde ging sein Vater, ein Arzt, mit seinem Sohn auf Reisen und förderte so die Karriere seines Sohnes. 2015 steht Gukesh als Candidate Master in den Titelbüchern und drei Jahre später war Gukesh bereits Internationaler Meister. Im Jahr 2019 folgte der Titel eines Großmeisters und war zu diesem Zeitpunkt der zweitjüngste Spieler, dem dies gelang. Mit seinen überragenden Rechenkünsten hat er sich schnell als Topgroßmeister etabliert und 2024 seinen endgültigen Durchbruch im Spitzenschach geschafft.
Gukesh 2019. Foto: Dariusz Gorzinski
Der eigene Weg – zunächst Verzicht auf Computerunterstützung
Auf Anraten seines langjährigen Trainers Vishnu Prassana verzichtete der Jungmeister lange Zeit auf den Einsatz von Computern und Schachengines bei der Vorbereitung und Analyse. Diese heutzutage eher ungewöhnliche Herangehensweise stärkte letztlich seine Rechenfähigkeiten und förderte seine Kreativität bei der Suche nach eigenen Lösungen. Gukesh gilt als der rechenstärkste Großmeister seiner Generation. Zudem hat diese Methode den positiven Nebeneffekt erzielt, dass Gukesh seinen Rechenfähigkeiten scheinbar uneingeschränkt vertraut. Selbstbewusstsein.
Gold bei der Schacholympiade. Foto: Nils Rohde
Rituale
In der Leichtathletik können die Zuschauer am Fernseher beobachten wie sich die Sportler auf anstehende Wettbewerbe innerlich vorbereiten. Die Sportlerinnen oder Sportler gehen dann häufig einen Hürden-Lauf oder Hochsprung beispielsweise vor dem geistigen Auge durch. Das gilt ebenfalls für Slalom-Skifahrer, die sich auf die Wendungen im anstehenden Rennen vorbereiten. Bei vielen Schachspielern ist das ähnlich, wobei hier natürlich die anstehenden Wendungen in einer Partie nicht vorweg genommen werden können. Viele Schachspieler folgen einem Ritual, um sich auf die Partie einzustimmen.
Budapest 2024. Foto: John Brezina
Bei der Schacholympiade in Budapest 2024 konnte man bei Gukesh jeden Tag den gleichen Ablauf beobachten: Nach der obligatorischen Kontrolle am Eingang, die inzwischen an Flughafenkontrollen erinnern, stürmte Gukesh zu seinem Brett. Er hatte offensichtlich keine Lust auf Smalltalk mit seinen Kolleginnen und Kollegen vor den Partien. Er war fokussiert auf die anstehende Partie. Ein Videofilmer von Chessbase India folgte Gukesh jeden Tag mit einem Abstand von ein bis zwei Metern und hatte Probleme dem Tempo von Gukesh zu folgen. Einmal am Brett begann der Inder sein tägliches Ritual, das man bei ihm vor jeder Partie beobachten kann. In Toronto hatte ich es vor jeder Runde beobachtet. Mit verschränkten Armen sitzt der Youngster am Brett, schließt die Augen, fokussiert sich auf die anstehende Aufgabe, vermutlich ist es eine Form der Meditation, die man vor den Partien bei Gukesh beobachten kann.
Sobald die Partie beginnt gibt es den obligatorischen Handschlag für den Gegner und dann kommen die vorbereiteten Züge auf das Brett. Mit dann offenen Augen spielt er seine Partien und steht eher selten vom Brett auf. Steht Gukesh länger sieht es meist gut für ihn aus. Nach einem längeren Endspiel gegen den Aseri Nijat Abasov beim Kandidatenturnier in Toronto beispielsweise beobachteten einige Zuschauer, dass Gukesh aufstand und sich reckte. In Jugendsprache, er „flexte“. Ein vermutlich unbewusstes Signal an den Gegner, dass die Sache entschieden ist.
Auch zum Partieende folgt ein Ritual. Zunächst unterschreibt er wie alle Spieler es müssen die Partieformulare, die dann von einem Schiedsrichter im Original eingesammelt werden. Der Inder falltet seinen Durchschlag akurat und steckt ihn ein. Danach bringt Gukesh das Brett in Ordnung. Er baut die Figuren auf, was nicht jeder Schachspieler macht und was auch nicht vorgeschrieben ist. Danach folgen eingespielte Handbewegungen und ein Tippen an die Stirn sowie auf den Schachtisch. Ein indischer Geschäftsmann und Sponsor von Gukesh bezeichnet das in Toronto im Gespräch als eine Respektsbekundung für das Spiel. Das scheint eine gute Interpretation zu sein.
Spielstil
Gukeshs Weg zur Spitze war von zahlreichen Erfolgen und einem stetigen Spielstärkeaufwuchs geprägt. Er war einer der aktivsten Spieler auf der Tour und nahm an vielen internationalen Open-Turnieren teil. Das war eine Notwendigkeit, um finanzielle Mittel zu generieren und weil Einladungen für Rundenturniere nicht reinkamen. Das stählt. Der Inder ist in der Regel nicht auf den schnellen Punkt aus, sondern er lernte durch Vermeiden von eigenen Fehlern viele Punkte einzusammeln. Insofern ist sein Spielstil vergleichbar mit dem von Spielern wie Magnus Carlsen oder Anatoly Karpov, um ganz oben ins Regal der Vergleiche zu greifen.
Foto: John Brezina
Supportsystem
Ich habe kein besonders ausgeprägtes Privatleben. Ich meine, mein ganzes Leben dreht sich um Schach. Um alles andere kümmern sich meine Eltern und mein Team. Mein einziger Job ist es, Schach zu spielen, das ist also ganz nett.
Gukesh in Singapur vor dem Match.
Gukesh wird gecoacht von dem 1985 geborenen polnischen Großmeister Grzegorz Gajewski. Die beiden arbeiten seit fast zwei Jahren zusammen. Das engere Team Gukesh scheint zu harmonieren. Spieler und Trainer wirken introvertiert, ruhig und bedächtig, aber wenn es um Schach geht, dann erwacht sofort die Leidenschaft und beide werden gesprächig. Der zweite Mann und ständige Reisebegleiter des jungen Inders kennt ihn schon etwas länger. Sein Vater, Rajini Kanth. Rajini ist Chirurg und hat seine Karriere aufgeben, um die Karriere seines einzigen Sohnes zu fördern. Während Gukesh meist viel Ruhe ausstrahlt, kann sein Vater die Nervosität kaum ablegen. Während der Pressekonferenz zum Auftakt folgten Gajewski und Rajini dem Geschehen: aufmerksam und vor allem ruhig, noch.
Foto: Maria Emelianova
Zum Team Gukesh gehört genau so seine Mutter, Padma. Sie ist Mikrobiologin und ist vor allem als Organisatorin zuständig. Gukesh und sein Vater waren die letzten Jahre oft längere Zeit unterwegs und die Familie kam nur eine Woche im Monat zusammen. Diese Entbehrungen, die offenbar nötig sind, um es in der Schachwelt ganz nach oben zu schaffen, zählen jetzt nicht mehr. Jetzt ist die Familie am Ziel. Gukesh spielt um die Weltmeisterschaft. Das ultimative Ziel ist nah.
Der bevorstehende WM Kampf in Singapur
Der Schach-Weltmeisterschaftskampf in Singapur wird mit klassischer Bedenkzeit ausgetragen und nicht nur in Indien herbeigesehnt. Für Gukesh ist dies seine erste Gelegenheit erneut echte Schachhistorie zu schreiben. Bei seinem Sieg im Kandidatenturnier in Toronto überzeugte der siebzehnjährige Inder bereits das Fachpublikum und bei der Schacholympiade in Budapest erzielte Gukesh eines der besten Einzelergebnisse der Schachgeschichte. Mit neun Punkten aus zehn Partien gewann Gukesh nicht nur ein individuelle Goldmedaille wie zwei Jahre zuvor am ersten Brett. Diesmal blieb der Youngster ungeschlagen und konnte mit dem Chinesen Wei Yi und dem US-Amerikaner Fabiano Caruana zwei schachliche Schwergewichte besiegen. Gukesh geht als die Nummer Fünf in der Welt ins Rennen um den WM-Titel.
Vorbereitung
In Vorbereitung auf den Kampf in Singapur absolviert Gukesh wie vor dem Kandidatenturnier in Toronto ein intensives Trainingsprogramm mit seinem Team. Er arbeitet mit einigen erfahrenen Spieler zusammen. Das Team ist im Vorfeld der Weltmeisterschaft natürlich nicht bekannt, man will dem gegnerischen Team keine wertvollen Informationen geben. Lediglich war sein Headcoach Grzegorz Gajewski gesetzt. In einem Interview im Vorfeld der Weltmeisterschaft sagte Gukesh: “Was mein Team betrifft, kann ich sagen, dass Gajewski mein Trainer für das Match sein wird, aber darüber hinaus kann ich nicht viel verraten.“ In solchen Trainingscamps wird nicht nur Schach gespielt und Eröffnungsvorbereitung betrieben. Von Gukesh ist bekannt, dass er mit Gajewski gerne und regelmäßig Tennis spielt.
Matchstrategie
Es ist nicht zu erwarten, dass Gukesh seine sehr geduldige Spielstrategie ändert und übermäßig aggressiv zu Werke geht. Das würde auch nicht zu seiner Person passen. Gukesh ist für sein Alter bereits ein sehr reflektierter junger Mann, der in Interviews seine Worte mit Bedacht wählt. Gukesh liest gerne Sportlerbiographien und sucht so bei anderen erfolgreichen Sportlern Inspirationen. Im Vorfeld wurde jetzt bekannt, dass Gukesh mit einem Mental-Coach zusammengearbeitet hat, der vor allem indische Cricketsportler gecoacht hat. In einem Interview mit Sagar Shah für Chessbase India erfährt man mehr über den geborenen Südafrikaner Paddy Upton. Er erläutert seinen Zugang zu einem Spiel, das neu für ihn war. Schach unterscheidet sich laut Upton aus seiner Sicht von den anderen 19 Sportarten in denen er vorher Leistungssportler gecoacht hat. Schach findet nur im Gehirn statt, anders als bei anderen Sportarten bei denen es letztlich um körperliche Fähigkeiten geht. Homepage Paddy Upton
Favoritenrolle für den Herausforderer
Dommaraju Gukesh überzeugte nicht nur beim Kandidatenturnier in Toronto, sondern ebenfalls im September 2024 am ersten Brett des indischen Teams bei der Schacholympiade in Budapest. Seine herausragende Leistung unterstrich seine gute Form im Vorfeld des bevorstehenden WM-Kampfes in Singapur. Gukesh gewann nicht nur individuelles Gold am ersten Brett, sondern die indische Mannschaft gewann souverän das wichtigste Teamevent im Schach. Aber Gukesh hat bereits mehrfach in Interviews erwähnt, dass er sich nicht auf einen Gegner außer Form vorbereitet, sondern einen starken Gegner erwartet.
Es wird ein Massaker.
Arjun Erigaisi, indischer Schachgroßmeister.
Es gibt nur zwei vernünftige Vorhersagen. Es wird knapp oder Gukesh wird mit deutlichem Vorsprung gewinnen. Die meisten haben auf beide Möglichkeiten gesetzt. Ich werde nicht feige sein und sage einen klaren Sieg mit +2 oder +3 für Gukesh voraus, der sich nie wie ein Wettkampf anfühlt. Ich erwarte auch, dass Ding nach dem Spiel zurücktritt, falls er verliert. Es ist traurig zu sehen, wie ein Mann so sehr darum kämpft, dass seine Träume wahr werden.
Jacob Aagaard, dänischer Schachgroßmeister, Trainer und Verleger.
Wie groß ist der Druck, der auf dem Teenager lastet?
Gefragt nach dem Druck vor dem Wettkampf sagte Gukesh: Es ist immer ein Privileg, für Indien auf so hohem Niveau zu spielen, und ich genieße diese Erfahrung. Ich denke, dass ich mit Druck vor allem durch Erfahrung umgehen kann. Ich habe schon in vielen Situationen mit hohem Druck gespielt, wenn auch nicht bei einer Weltmeisterschaft, natürlich. Aber ich freue mich auf die neue Erfahrung.
Quelle: Take Take Take via Youtube.
Pressekonferenz vor dem Match
Gukesh zeigte sich glücklich in Singapur zu sein, zumal er einen WM-Kampf herbeisehne, seit er mit dem Schachspielen begonnen hat. Er habe alle Chancen der Welt, wenn er weiterhin gutes Schach spiele und in jeder Partie die beste Version seiner selbst zeige.
„Ich bin sicherlich etwas nervös, aber ich fühle mich gut dabei. Der einzige Gedanke, den ich habe, ist, mein Bestes zu geben und zu sehen, was passiert. Es ist eine Ehre und ein Privileg für mich, für Indien bei irgendeiner Veranstaltung zu spielen, besonders bei einer Veranstaltung wie der Olympiade oder der Weltmeisterschaft. Es ist ein so großes Ereignis, mein Land zu vertreten und die Hoffnungen der Inder zu tragen: Das ist eine Ehre für mich. Ich nehme das sehr ernst. Ich werde gegen Ding Liren antreten, der seit mehr als einem Jahrzehnt zu den besten Spielern der Welt gehört.
Ex-Weltmeister Garry Kasparow (2024) Foto: John Brezina
Die Qualifikation zur Schachweltmeisterschaft ist ein hart umkämpfter Prozess, der die besten Talente der Schachwelt herausfordert. Durch die Kombination aus Ranglisten, kontinentalen Meisterschaften, Turnieren, dem FIDE-Circuit, dem FIDE-Weltcup und dem Kandidatenturnier wird sichergestellt, dass nur die bestvorbereiteten und stärksten Spieler die Möglichkeit erhalten, um den Titel des Schachweltmeisters zu kämpfen.
Historisch betrachtet gibt es im Schach nur einen Titel, der wirklich zählt. Es ist der Titel des Schachweltmeisters mit klassischer Bedenkzeit. Bereits bevor die Schachwelt durch eine internationale Organisation repräsentiert wurde gab es Weltmeister und Herausforderer. Nicht immer wurden die Herausforderer allerdings in einem sportlichen Wettkampf ermittelt. Gelegentlich hing es am Geld wer sein Glück versuchen durfte. Das ist jetzt anders.
Qualifikation zur Schachweltmeisterschaft
Die Qualifikation zur Schachweltmeisterschaft ist ein mehrstufiger Prozess, der sicherstellen soll, dass die besten Schachspieler der Welt die Möglichkeit haben, um den begehrten Titel des Schachweltmeisters zu kämpfen. Dieser Prozess wird von der Fédération Internationale des Échecs (FIDE), dem Weltschachbund, organisiert und unterliegt einem klar definierten Regelwerk. Dieses Regelwerk wurde jedoch in der Vergangenheit immer wieder geändert. Zurzeit wird der Herausforderer für den Weltmeisterschaftskampf alle zwei Jahre in einem Kandidatenturnier mit acht Spielern ermittelt. Vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es Wettkämpfe, um den Herausforderer zu ermitteln, diese wurden als Kandidatenkämpfe bezeichnet. Für diese K.o.-Wettkämpfe qualifizierten sich die Spieler über Zonen- und Interzonenturniere, die nach regionalen Kriterien zusammengestellt waren.
Kritik
Egal wie der Findungsprozess für den Herausforderer und zuvor die Auswahl der Kandidaten aussieht, in der Schachwelt gibt es immer Kritik. Manchmal berechtigt, manchmal interessengeleitet. Der Qualifikationsmodus für das Kandidatenturnier 2024 wurde stark kritisiert. Bis zum letzten Kandidatenturnier erhielt der in der Weltrangliste am besten positionierte Spieler einen Platz beim Kandidatenturnier. Das ist nicht mehr so. Im Dezember 2023 hatte der ehemalige iranische Großmeister Alireza Firouzja seinen Platz durch einige Lastminute-Auftritte in seiner neuen Heimat, Frankreich, erspielt. Das veranlasste die FIDE unter anderem dazu, bei Turnieren für das Ermitteln von Kandidaten striktere Vorgaben für auswertbare Turniere zu machen. Der Verlierer des Weltmeisterschaftskampfes erhielt bisher ebenfalls einen Platz im Kandidatenturnier. Die letzte Änderung im Qualifikationsprozess hat diesen automatischen Platz des Herausforderers abgeschafft. Vor allem 2014 war dieser Platz historisch relevant: Vishy Anand spielte wenige Monate nach seiner Niederlage im Weltmeisterschaftskampf 2013 gegen Magnus Carlsen das Kandidatenturnier in Chanty-Mansijsk mit, gewann und versuchte den Titel zurück zu holen.
Diese Änderungen wurden sorgfältig durchdacht, wobei alle wichtigen Faktoren berücksichtigt wurden, mit dem Ziel, den Qualifikationsprozess attraktiver und fairer zu gestalten. Dies spiegelt das Engagement der FIDE wider, den Qualifikationsprozess weiterzuentwickeln und zu verfeinern, um ein dynamisches und wettbewerbsfähiges Schachumfeld zu fördern.
(Arkady Dvorkovich, der Präsident der FIDE)
FIDE Weltcup
Der FIDE-Weltcup ist ein K.-o.-Turnier, das alle zwei Jahre stattfindet. Die besten drei Spieler dieses etwa einmonatigen Turniers qualifizieren sich direkt für das Kandidatenturnier. Die Teilnehmerzahl lag zuletzt in der offenen Klasse bei 256 Spielern. Für den Weltcup sind die stärksten Spieler laut Elozahlenliste zu einem bestimmten Stichtag automatisch qualifiziert. Die restlichen Plätze gehen an regionale Sieger von Kontinentalmeisterschaften. Indien, ohnehin so groß wie ein Kontinent, beispielsweise vergibt einige wenige Qualifikationsplätze via der eigenen Landesmeisterschaft. das gilt auch für die US-Meisterschaft. Der letzte FIDE Weltcup fand beginnend Ende Juli bis Ende August in Baku (Aserbaidschan) statt. Der Preisfonds betrug 1.834.000 US-Dollar. Der nächste Weltcup in der offenen Klasse findet 2025 statt.
FIDE Grand Swiss
Zwei Qualifikationsplätze für das Kandidatenturnier werden über das FIDE Grand Swiss 2025 vergeben. Das ist ein semioffenes (qualifizierte Spieler) Turnier für die stärksten Spieler der Welt. es werden elf Runden nach Schweizer System gespielt. Im letzten Zyklus fand das Turnier auf der Isle of Man beginnend Ende Oktober statt. Der Preisfonds in der offenen Klasse betrug 2023 insgesamt 460.000 US-Dollar. Sieger war der Inder Vidit Gujrathi. Es gab einen Doppelsieg für Indien. Vaishali gewann bei den Frauen. Der zweite Qualifikant für das Kandidatenturnier war Hikaru Nakamura.
Foto: Anna Shtourman (FIDE)Foto: Anna Shtourman (FIDE)
FIDE Circuit
Im FIDE Circuit vergibt der Weltschachbund im Weltmeisterzyklus 2026 zwei Qualifikationsplätze. Für das Kandidatenturnier 2026 qualifizieren sich die Spieler mit den besten Einzelergebnissen 2024 und 2025. Diese Ergebnisse werden nach einem definierten Berechnungsprozess ermittelt. Für die Jahresendabrechnungen werden die sieben besten Turniere gewertet. Besonders starke Schnellschach- und Blitzturniere können ebenfalls in die Wertung einbezogen werden. Sie bieten aber weniger Wertungspunkte als Turniere nach klassischer Wertung und es gehen nur maximal zwei Turniere in die Wertung ein. Beispielsweise ist die Schnellschach- und Blitzweltmeisterschaft traditionell das letzte Großereignis des Jahres. Im Jahr 2025 könnte es einen weiteren Qualifikationsplatz im FIDE Circuit geben, falls der Ratingplatz nicht beansprucht oder der betreffende Spieler sich bereits anderweitig qualifiziert hat.
Wie die acht Plätze im Kandidatenturnier 2026 vergeben werden
Qualifikationspfad
Wann
Anzahl der Qualifikationsplätze
FIDE Weltcup
August 2025
3
FIDE GRAND SWISS
Oktober/November 2025
2
FIDE CIRCUIT
2024 und 2025 ganzjährig
2 (2024 und 2025 jeweils einer)
Ratingplatz
Durchschnitt Juli bis Dezemberliste 2025
1*
Dieser Platz könnte an den Zweitplatzierten im FIDE CIRCUIT 2025 gehen, falls er nicht benötigt wird. Oder beispielsweise im Fall von Magnus Carlsen nicht beansprucht wird.
Kandidatenturnier
Das Kandidatenturnier ist das letzte und entscheidende Turnier der Qualifikationsphase. Es besteht aus einem Rundenturnier mit acht Teilnehmern, darunter die bestplatzierten Spieler des Weltcups, der Verlierer des letzten Weltmeisterschaftsduells* und einige der höchstbewerteten Spieler der FIDE-Weltrangliste, die sich nicht anderweitig qualifiziert haben. Der Sieger des Kandidatenturniers erhält das Recht, den amtierenden Weltmeister im Titelkampf herauszufordern.
Das letzte Kandidatenturnier fand 2024 in Toronto statt. Der Sieger war Gukesh aus Indien, der den chinesischen Titelverteidiger Ding Liren im November in Singapur herausfordert.
Weltmeisterschaftskampf
Der finale Kampf um die Schachweltmeisterschaft ist ein Match zwischen dem amtierenden Weltmeister und dem Sieger des Kandidatenturniers. Dieses Match besteht traditionell aus mehreren Partien, wobei der Spieler gewinnt, der als erster eine bestimmte Anzahl von Punkten erreicht. Der Weltmeisterschaftskampf zieht große mediale Aufmerksamkeit auf sich und gilt als das prestigeträchtigste Ereignis in der Schachwelt.
Es ist bemerkenswert, dass diese Frage innerhalb des organisierten Sports, bei den Sportverbänden selbst, gar keine Rolle mehr spielt. Schach ist ein anerkannter Sport. Aber: Schach ist keine olympische Sportart. Das bedeutet vor allem weniger öffentliche Förderung der Spitzenathleten. Unter Sportwissenschaftlern ist unstrittig, dass Schach ein mentaler Wettkampfsport ist, der sowohl am Brett als auch online ausgetragen werden kann.
Schach wird als Sportart vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannt. Willi Weyer Präsident des Deutschen Sportbunds gab 1977 an, dass Schach zumindest im Turnierbetrieb „unbestreitbar als Sport anzusehen“ sei.
Schach ist ein Denksport und erfordert strategisches Denken, Konzentration und mentale Ausdauer. Zumindest auf internationalem Spitzenlevel müssen die Spieler körperlich fit sein, um gute Leistungen in mehrtägigen Turnieren erbringen zu können. Schachturniere werden weltweit organisiert, und es gibt offizielle Schachverbände, die ähnlich wie in anderen Sportarten Regeln und Ranglisten festlegen. Wie in anderen, mehr körperlichen Sportarten müssen Schachspieler intensiv trainieren, um ihre spezifischen Fähigkeiten zu verbessern. Die Popularität von Schach ist während der Pandemie durch die Möglichkeit online Schach zu spielen und durch Videos Schachinhalte zu konsumieren enorm gestiegen. Einen speziellen Boom erfuhr das Schachspiel durch die erfolgreiche Netflix-Serie „The Queen’s Gambit“.
Zugänglichkeit für alle Spielcharakter Leistungsprinzip Gebundenheit an Regeln Wettkampfform Organisationsstruktur Internationalität körperliche Betätigung
(Titelfoto: Hochleistungsschach Tata Steel India 2024. Foto: Lennart Ootes)
Turnierszene aus dem Netflix-Film The Queens Gambit via Twitter (externer Link)
Schach ist ein mentaler Sport, der in jedem Alter praktiziert werden kann. Zuletzt erstaunte ein dreijähriger Inder die Schachwelt, der eine respektable Einstiegselozahl erspielen konnte. Immer wieder spielen auch Hunderjährige Schachturniere. Unterschiedlich alte Sportler können in Schachturnieren sogar gegeneinander spielen. Das gilt genau so auch für unterschiedliche Geschlechter, anders als in vielen anderen, körperlichen Sportarten haben Frauen keinen physiologischen Nachteil im Schachsport.
Judit Polgar beim Simultan Foto: Dariusz Gorzinski
Die bislang beste Schachspielerin der Welt ist Judit Polgar, die in der Zeit ihrer aktiven Karriere an Topturnieren teilnahm. Der Weltschachbund FIDE unterteilt die Welt in Jung, Alt, Frau und Mann, um spezielle Wettbewerbe unter möglichst fairen Bedingungen auszutragen. Dabei dürfen Frauen in der so genannten offenen Klasse meist gegen Männer antreten, wenn sie nicht mit Frauen konkurrieren wollen. Judit Polgar hat sich immer genau dafür entschieden.
Die Entscheidung über die Vergabe der Goldmedaille bei der Schacholympiade in Chennai fiel in einer Partie: im Duell zwischen dem Inder Gukesh und dem Usbeken Nodirbek Abdusattorov. Der 16-jährige Inder stand nach der Eröffnung besser und schließlich auf Gewinn. Doch dann glitt Gukesh die Partie nach und nach aus den Händen und Usbekistan gewann in der Folge die Goldmedaille und das indische B-Team landete auf dem dritten Platz.
Anatomie eines schachlichen Unfalls
Chennai. In der zehnten Runde kam es bei der 44. Schacholympiade 2022 zum Kampf der zwei Überraschungsmannschaften. Die Youngster von Indien 2 spielten endlich gegen Usbekistan. Die Usbeken lagen zu diesem Zeitpunkt mit einem Matchpunkt vorne. Damit war klar, dass dieser Wettkampf eine Vorentscheidung für die Goldmedaille in der offenen Klasse bringen würde. Es lief zunächst hervorragend für die Inder, die mit Schwarz zwei Remis erreichten. Kurz vor der Zeitkontrolle war klar, dass Praggnanandhaa, Pragg, seine Partie gegen Sindarov gewinnen würde. Am ersten Brett spielten die zwei überragenden Spieler am Spitzenbrett gegeneinander. Gukesh für Indien und Nodirbek Abdusattorov für Usbekistan.
Der Verlauf der Partie ist einfach erzählt: Gukesh hatte erneut einen hervorragenden Tag erwischt. Nodirbek stand hinten drin und nach 32 Zügen sah es nach einem klaren Sieg für Indien aus. Gukesh musterhafte Partieführung hatte zu der folgenden Stellung geführt.
Der Bauer auf c5 geht verloren und die einzige Aufgabe von Weiß besteht darin, das Eindringen der gegnerischen Dame zu verhindern. Gukesh kann den Bauern hier schlagen, aber sein Zug mit dem f-Bauern von f2 nach f3 ist ebenfalls bestens geeignet. Der Usbeke weiß nicht wie er überhaupt weiterspielen soll, zieht seine Dame nach d6 und nimmt das Feld g3 ins Visier. Nach diesem Zug kann der Inder mit dem Springer auf c5 nehmen, den Läufer angreifen und mit dem Springer zurück nach d3 ziehen. Es kann nicht mehr lange dauern und Indien jubelt, denkt man.
Statt den Bauern auf c5 zu schlagen spielt Gukesh zunächst seinen König nach f1, vermutlich um mit seinem König von e2 oder e1 das Eindringen auf der eigenen Grundreihe zu verhindern und erst dann auf c5 mit dem Springer, oder mit einem König auf e2 mit der Dame auf c5 zu nehmen. Diese Methode wirkt etwas umständlich, sollte aber ebenfalls funktionieren.
Zeitkontrolle geschafft. Weiß steht klar auf Gewinn. Der Usbeke hatte seinen Läufer kurzzeitig auf f5 eingesetzt und Gukesh den a-Bauern gegen den e-Bauern seines Gegners getauscht. Aber erstmals stört eine gegnerische Drohung, wäre Schwarz hier am Zuge, er würde ein Schach auf g1 geben. Gukesh wehrt mit einem Springerzug nach c5 die Drohung seines Gegners ab und arbeitet weiter an der Verwertung seines Vorteils. Dennoch ahnt man als erfahrener Spieler, dass der weiße König langfristig ein sicheres Versteck benötigt, um gegnerischen Schachgeboten auszuweichen. Nach dem Springerzug nach c5 und Zug der gegnerischen Dame nach a5, antwortet Gukesh hier mit dem Zug seines Königs nach d1. Erstmals bekommt man als Beobachter kleine Zweifel an einem zweiten Sieg heute für Indien. Der König wäre gefühlt auf h2 sicherer, besser dorthin unterwegs und würde nebenbei den eigenen Bauern auf g2 verteidigen. Aber Gukesh ist ein hervorragender Rechner und wird schon wissen was er macht, beruhigen sich erstmals zweifelnde Beobachter.
Einzig die weiße Königsstellung ohne Schutz gibt Schwarz hier noch etwas Hoffnung auf ein Remis. Aber der weiße König steht auf c2 so postiert, dass der gegnerischen Dame auf der d-Linie keine Einbruchsfelder verbleiben. Läuft gut. Der nächste Zug von Gukesh überrascht, verblüfft, erschreckt den Zuschauer. Es ist der erste Zug ohne erkennbaren, nachvollziehbaren Hintergrund in dieser Partie, vermutlich in diesem Turnier. Der Inder zieht seinen König nach b2. Stand dieser König nicht auf c2 besser? Teamkollege Praggnanandhaa am Nebenbrett kennt die entscheidende Hürde in seinem Endspiel mit Turm und h-Bauer gegen Läufer offensichtlich und insofern wäre ein Unentschieden kein großer Verlust. Beruhigungspillen.
Einige Züge später sieht die Situation auf dem Brett so aus.
Die gegnerische Dame ist auf g1 eingedrungen und Weiß kann hier seine Dame erneut nach c2 ziehen und Nodirbek bleibt vermutlich nichts anderes als mit dem Damenzug nach c5 und nach erneutem Seitenstep der Dame nach d2 den Gegner zu fragen, ob er nach Damenzug nach g1 weiterzuspielen gedenkt. Falls er das will, weil er muss, kann Gukesh und damit Indien einen kleinen Erfolg melden. Die angedrohte Stellungswiederholung wäre in jedem Fall eine sichere Testmethode, die nichts kostet. Gukesh versucht es nicht einmal, sondern zieht seinen König nach c2. Das ist typisch für die junge Generation, aber kritikwürdig. Peter Svidler versteht es nicht und die Fans von Indien müssen weiter zittern, denn die Partie geht weiter in objektiv etwa gleicher Stellung. Es kam dann wie es häufig kommt in solchen Situationen Gukesh verlor nach einem groben Fehler.
Das Drama
Gukesh verschmähte das wahrscheinliche Remis und wird vom amtierenden Schnellschachweltmeister aus Usbekistan zunächst gekontert. Die Bewertung schwappt hin und her zwischen Ausgleich und Vorteil für Nodirbek. Bis dann der plötzliche Tod durch ein grobes Versehen eintritt. Gukesh sackt in sich zusammen.
Lennart Ootes (FIDE Chess)
Die Fotos fangen eine für das Schachspiel typische Situation ein, einem Spieler unterläuft ein grober Fehler, und man weiß weder als Betroffener noch als Glückspilz wie man reagieren soll. Gukesh fällt in sich zusammen, lässt seine Bedenkzeit ablaufen und bleibt zunächst konsterniert sitzen. Der Usbeke ist ebenfalls erkennbar geschockt über die Situation, vermutlich fühlt der Usbeke einen kurzen Moment mit seinem Gegner mit. Ein Lächeln kann ihm erst sein Team-Captain Ivan Sokolov aufs Gesicht zaubern.
Lennart Ootes (FIDE Chess)Lennart Ootes (FIDE Chess)
Solche Situationen kommen vor im Schach, oft. Selten ist der Einsatz allerdings so hoch wie hier. Vergleichbar ist diese Wucht der Emotion für die Beteiligten vermutlich nur mit einem Weltmeisterschaftskampf oder einer finalen Runde in einem Kandidatenturnier oder einer WM-Partie.
Über den Tag hinaus
Gukesh wird einen Tag später sagen, dass seine Entscheidung unverantwortlich war. Tatsächlich ist dies der Kippmoment dieses Turniers, welcher Indien die Goldmedallie gekostet haben könnte, wobei man so nicht argumentieren darf in der Retrospektive, aber es fühlt sich so an. Vishy Anand erklärt die Situation ausführlich in seiner täglichen Kolumne zur Schacholympiade im The Hindu. (Kolumne von Anand) Gukesh habe auf Autopilot geschaltet und bekam den bisherigen Verlauf der Partie bei einer objektiven Bewertung nicht mehr aus dem Kopf. Aufmunternd schreibt er, dass das ihm selbst schon öfters passiert sei. Er, Anand, habe auf das Unentschieden gehofft, denn es komme unweigerlich sonst ein Punkt ohne Umkehr. Später wurde bekannt, dass Anand nachts im Hotel bei Gukesh vorbei schaute und mit ihm ein längeres Gespräch führte. Gukesh trat am nächsten Tag an und remisierte problemlos mit der deutschen Nummer 1 Vincent Keymer. Die zweite indische Mannschaft gewann souverän mit drei zu eins Punkten. Gukesh gewann die Goldmedaille am ersten Brett. Sicher kein Trost.
Maria Emelianova Chess.com
Bei der Siegerpressekonferenz der Schacholympiade in Budapest 2024 – diesmal gewann Indien Gold – wird Gukesh nach dieser einen Partie, der Entscheidungspartie 2022, gefragt. Die verpasste Chance wurmte den Inder offenbar noch immer. Gukesh formulierte es so:
Ich musste eine Schuld begleichen.
Gukesh in Budapest 2024.
Dieser Text wurde erstmals am 09.08.2022 bei Chessbase veröffentlicht. Leichte Änderungen und Ergänzungen.
Im Reykjavik Open 2024 spielte ein junges chinesisches Mädchen, Lu Miaoyi, groß auf. Mit dabei war ihre Mutter, Yuanyuan Xu, sie ist ebenfalls Frauen-Großmeisterin. Die jüngere Chinesin war bis zur vorletzten Runde auf GM-Normkurs. Diese Chance kam allerdings offensichtlich noch etwas zu früh.
Die Analysen können heruntergeladen werden und wer will kann sie mit der Engine seines Vertrauens, oder besser ohne, nochmals genauer anschauen oder archivieren.
Foto einer historischen Schachuhr von Dariusz Gorzinski
Klassische Bedenkzeit
Der wichtigste Titel im Schach, der Weltmeistertitel, wird mit der so genannten klassischen Bedenkzeit ermittelt. Beide Spieler erhalten beispielsweise zwei Stunden für ihre ersten vierzig Züge und dann gibt es einen Aufschlag für die nächsten zwanzig Züge und so weiter. Heutzutage sind Zuschauer und Spieler gewohnt, dass die Bedenkzeit aus zwei Komponenten besteht, neben der frei verfügbaren Zeit erhalten die Spieler einen Aufschlag je Zug. Dieser Aufschlag heißt Inkrement und beträgt beim klassischen Schach 30 Sekunden pro Zug. Das war nicht immer so und die Uhren waren natürlich ebenfalls nicht immer elektronisch und geben wie heutzutage üblich die Restbedenkzeit sekundengenau an.
Historische Uhren hatten ein Fallblättchen, das zu einem bestimmten Zug, dem Kontrollzug, noch oben sein musste, sonst hatte der Spieler auf Zeit verloren. Früher fand das Spiel in Zeitnot häufiger unter Unsicherheit statt und manches Drama spielte sich in Zeitnot ab. Dieser Spannungsmoment ist durch das Einführen des Inkrement, also Zeitaufschlag pro Zug, verloren gegangen. Bei der Weltmeisterschaft in Singapur wird wie beim Kandidatenturnier mit einem einmaligen Zeitaufschlag nach Zug 40 gespielt. Ab dem Zug 41 gibt es zudem Inkrement. Diese Kadenz ist schneller als noch 2018 in London, als die erste Partie fast sieben Stunden dauerte.
Diese Video zeigt die Schlussphase einer Schnellschachpartie im Oktober 2024, gespielt wurde ohne Inkrement. Quelle: Chessbase India auf Youtube.
Schnellschach
Partien mit weniger als einer Stunde Bedenkzeit für die gesamte Partie werden meist als Schnellschach bezeichnet. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Kadenzen und Definitionen. In London bei der Mahindra Global Chess League beispielsweise war die Bedenkzeit bei 20 Minuten je Spieler für die gesamte Partie. Das war zunächst für einige Spieler ungewohnt und es kam zu fliegenden Figuren und dramatischen Szenen. Für die Zuschauer ein Spaß und genau darum ging es den Veranstaltern. Natürlich gab es in der Schachszene Kritik von Puristen daran.
Blitzschach
Beim Blitzschach erhalten die Spieler in der Regel nur drei bis fünf Minuten Bedenkzeit und zwei Sekunden pro Zug. Ohne elektrische Uhren wurde Blitzschach mit fünf Minuten Bedenkzeit für die gesamte Partie gespielt. Neben den Weltmeisterschaften mit der klassischen Bedenkzeit veranstaltet der Weltschachbund (FIDE) traditionell die Weltmeisterschaften im Blitz und im Schnellschach vor dem Jahreswechsel.
Bulletschach
Besonders fingerfertige Schachspieler spielen zudem Bulletschach. Auch hierbei gibt es vor allem je nach Online-Anbieter verschiedene Angebote. 1+1 meint dabei beispielsweise: Eine Minute Grundbedenkzeit plus eine Sekunde pro Zug. Manche Spieler reduzieren sogar noch diese Bedenkzeit und kommen mit noch weniger Zeit aus. Das heißt dann zum Beispiel Ultra-Bullet. Die indischen Geschwister und heutigen Großmeister Praggnanandhaa und Vaishali hatten und haben vermutlich immer noch viel Spaß mit 10+1-Partien. Wobei die Grundbedenkzeit zehn Sekunden beträgt. In einer Schachschule in Chennai soll manche Uhr bereits reparaturbedürftig gewesen sein.
Helfen Partien mit schneller Bedenkzeit die Spielstärke zu steigern
Es gibt Trainer, die halten wenig davon Jugendliche und Kinder Blitz spielen zu lassen, da das nur von Partien mit klassischer Bedenkzeit ablenkt und nichts bringt. Das ist allerdings nicht erwiesen. Bekannt ist, dass der indische Großmeister Nihal Sarin viel und gerne online blitzt und seine Spielstärke durch Austesten von Varianten bis in die Weltklasse gesteigert hat. Ein anderer Protagonist der schnellen Finger ist der US-Amerikaner Hikaru Nakamura, einer der stärksten und bekanntesten Spieler und Schachstreamer der Welt. Dieser hat allerdings ein anderes Problem zu lösen, da er gewohnt ist bei seinen Partien Züge mit einem Hilfsmittel auszuführen.
Hikaru Nakamura — Auf der Suche nach der Computermouse bei einer Turnierpartie: Video von Chess.com auf Youtube.
Der Wettkampf um die Krone des Frauenschach ist noch nicht einmal terminiert, da läuft schon die Qualifikation für das nächsten Kandidatenturnier der Frauen. Im kasachischen Shymkent fand bereits das zweite von sechs Grand Prix Turnieren in 2024 statt.
Dabei hatten die Frauen erst vor wenigen Monaten in Toronto die neue Herausforderin für die Weltmeisterin Ju Wenjun ermittelt. Souverän gewann Aleksandra Goriachkina den zweiten Grand Prix 2024 in Kazachstan vor der Chinesin Tan Zhongyi. Auf dem dritten Platz kam die Lokalmatadorin Bibisara Assaubayeva ins Ziel. Das Turnier wurde letztlich bereits in der fünften Runde im direkten Duell der Russin und der Chinesin entschieden. Diese zwei Spielerinnen dominierten nicht unerwartet das Turnier.
Der entscheidende Moment. Schwarz macht erkennbar Druck gegen den weißen König. Bis hierhin ist schon einiges schief gelaufen für die mit Weiß spielende Chinesin, aber sie konnte sich noch wehren.. Nach dem Zug 22.Kg2-g1, der ein Fehler war, nahm Goryachkina auf f3 den Springer und stand fortan auf Gewinn. Danach gewann Tan zwar noch eine Partie mehr als ihre Gegnerin, aber konnte diese trotz eines Schlussspurts mit 3,5 aus vier Partien nicht mehr einholen.
Normenjagd – zwei Spielerinnen mit Chancen
Fünf der zehn Teilnehmerinnen tragen den Titel eines Internationalen Meisters und fünf sind Großmeister. Daher versuchen zumindest die besonders ambitionierten Spielerinnen eine Großmeisternorm zu erzielen. Es gab zwei Spielerinnen, die während des Turnierverlaufs nah dran waren. Bis zur sechsten Runde lag die Lokalmatadorin Bibisara Assaubayeva auf Kurs, musste dann aber in ihrer Partie gegen Kateryna Lagno hinter sich greifen.
In dieser Stellung aus der sechsten Runden begannen die schwarzen Probleme, nachdem Bibisara ihren Springer g6 nach f8 statt nach e7 zog und nach dem Läuferzug nach f4 mit dem Bauernzug f7-f5 nachlegte und ihrer Gegnerin eine Angriffsmarke anbot, welche diese später mit dem Zug g3-g4 ausnutzte.
Länger im Rennen um die Großmeisternorm war die 24jährige Griechin Stavroula Tsolakidou. Ihre Chancen hatte sie in der Vorschlussrunde gegen die Inderin Divya Deshmukh, konnte aber in einem Turmendspiel den Vorteil nicht festhalten. Gegen Tan Zhongyi wurde dann aber in der Schlussrunde der Spielstärkeunterschied deutlich.
Ein Blick auf die Schlusstabelle zeigt, dass fast jede zweite Partie entschieden wurde. Das spricht für ausgekämpfte Partien, aber auch Spielstärkeunterschiede der Teilnehmerinnen.
Nicht sehr informatives Siegerinterview. Moderation: Charlize van Zyl (Fide Chess).
Wie der Frauen Grand Prix organisiert ist (Quelle Chart: FIDE Chess)