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Foto: Eric Rosen (FIDE Chess)

Ding Chilling ist während des Wettkampfes eine Art Markenzeichen des Chinesen geworden. Es begann mit einer Frage einer Mitarbeiterin des Deutschen Schachbundes. Inzwischen gibt es sogar einstündige Videos mit unterlegter Musik zur Entspannung.

Note: There is an automatic error using „Ding“ in German language it is „thing“ in English. So I for the moment changed the name in the headline to Liren.



Foto: Eric Rosen (FIDE Chess) Ding Chilling ist

Von Thorsten Cmiel


Leontxo García ist unzweifelhaft der Großmeister im Raum. Leontxo arbeitet als Journalist bei El País. Ich sitze zufällig neben ihm heute während die zwölfte Partie in Singapur läuft. Ding Liren scheint Gukesh früh am Wickel zu haben. Ich frage Leontxo nach Ähnlichkeiten zur Schachweltmeisterschaft 1987 zwischen Garri Kasparov und Anatoli Karpov. Kasparov war amtierender Weltmeister, hatte die 23. Partie verloren und musste die letzte Partie gewinnen. Als Leontxo antwortet, kommt mir die Idee seine Ausführungen aufzuzeichnen, er ist einverstanden. Dann sprudeln die Worte aus ihm heraus und ich erfahre viel mehr von einem, der Schach lebt und liebt.

Leontxo war 1987 Kommentator im Fernsehen

Die Weltmeisterschaft 87. Das war das vierte Match zwischen Kasparov und Karpov. Es war extrem ausgeglichen. Alles hing von der allerletzten Partie, der 24. ab. Also hatte das spanische Fernsehen jeden Abend ein Sonderprogramm. Und weil die Situation so emotional, so angespannt war, beschlossen die spanischen Fernsehbosse, die allerletzte Partie live zu übertragen. Das ganze Spiel. Laut offizieller Statistik hatten wir damals 13 Millionen spanische Zuschauer, die Schach im Fernsehen sahen. Ich bin mir sicher, dass mehr als 90 Prozent dieser 13 Millionen keine Ahnung von Schach hatten, aber sie drückten einem der beiden aus politischen oder anderen Gründen die Daumen. Ich meine, wir müssen bedenken, dass Karpov und Kasparov Symbole für zwei völlig gegensätzliche Lebensauffassungen im größten Land der Welt waren. Karpov war ein Vertreter der alten kommunistischen Garde, und Kasparov repräsentierte die Perestroika, den Erneuerungsgeist Gorbatschows. Deshalb war es möglich, dass 13 Millionen Menschen dem Schach folgten. Und das ist aus schachlicher Sicht sehr wichtig, denn das ist der Schlüsselmoment, warum Spanien seit dem folgenden Jahr, 1988, das Land in der Welt ist, das jedes Jahr mehr internationale Turniere organisiert, denn unter diesen 13 Millionen gab es natürlich viele potenzielle Sponsoren oder Medienredakteure oder Schuldirektoren oder einfach Mütter und Väter. Ich meine, viele Menschen, die mit dem Schach sympathisierten. Seit diesem Moment.

Das Topturnier Linares. Das gibt es nicht mehr. Was ist passiert?

Es gibt nicht zwei verschiedene Realitäten. Spanien ist immer noch das Land in der Welt, das jedes Jahr die meisten internationalen Turniere organisiert. Hunderte. Wenn man Wochenendturniere, Rapid und so weiter mitzählt. Das Linares-Problem ist ein sehr spezifisches. Linares hatte zwei große Probleme zur gleichen Zeit. Zum einen die Wirtschaftskrise, die weltweite Krise im Jahr 2008, und zum anderen die lokale Krise, weil diese allgemeine Krise den Santana-Motor, den größten Industriezweig in Linares und den Schlüsselfaktor für die lokale Wirtschaft, dazu zwang die Fabrik zu schließen. Und das bedeutete, dass die Arbeitslosigkeit in Linares auf über 50 Prozent anstieg. Es war also eine schreckliche Situation eingetreten, und dann mussten sie sich entscheiden, etwas zu ändern. Es tut mir leid, dass sie ihre Herangehensweise an das Schachspiel komplett geändert haben, anstatt Geld zu investieren, um die Stadt in der ganzen Welt berühmt zu machen. Was sie nun seit vielen Jahren tun, ist, dass sie jedes Jahr einige spanische Meisterschaften in verschiedenen Kategorien organisieren, zu denen viele Leute anreisen und die Kosten selbst tragen. Und jetzt lässt das Schachspiel Geld in Linares, anstatt Geld zu nehmen.

Wie beliebt ist Schach in Spanien?

Fußball ist natürlich wie eine Religion in Spanien. Fußball ist also eine andere Kategorie. Schach ist besonders beliebt als pädagogisches Mittel. Am 11. Februar 2015. In unserem Parlament geschah etwas, was ich ein Wunder nenne. An diesem Tag war ich sehr versucht, den Vatikan anzurufen, um ein Wunder zu melden, denn alle spanischen politischen Parteien, ohne Ausnahme, waren sich einig. Dies ist ein Wunder in Spanien. Und ich hatte Schach als pädagogisches Mittel empfohlen. Nach der Empfehlung des Europäischen Parlaments vor drei Jahren hatten wir in Spanien ein föderales System für die Bildung, was bedeutet, dass jede Region, abgesehen von den sehr großen autonom über die Bildung entscheidet. Von unseren 17 Regionen haben zehn bereits Schach in den Lehrplan aufgenommen, wobei Tausende von Schulen, die Schach als außerschulische Aktivität nutzen, nicht mitgezählt werden.

Leontxo ist nicht nur Journalist


Ganz am Anfang, als ich anfing, als Schachjournalist zu arbeiten, 1983 entdeckte ich, dass Schach sehr interessante Verbindungen zu wichtigen Bereichen des menschlichen Wissens hat: Bildung, Psychologie, Psychiatrie, Neurologie, Mathematik, künstliche Intelligenz, Kino, Literatur, internationale Politik und so weiter. Deshalb ist meine Zeitung, El Pais, diejenige in der Welt mit den meisten Schachinhalten. Einige dieser Schachinhalte sind nur Schach, für echte Schachliebhaber. Meine tägliche Kolumne beispielsweise ist eine kommentierte Partie einer Woche. Mein wöchentliches Video zeigt meist eine der brillantesten Partien der Geschichte, kommentiert von mir. Aber es gibt auch andere Inhalte. Zum Beispiel schicke ich jeden Donnerstag einen Newsletter an die Abonnenten, und nutze das als eine Art Entschuldigung, um über alles zu schreiben. Am interessantesten ist sicherlich der Bezug zum Thema Bildung. Wir haben starke wissenschaftliche Beweise und lange und ernsthafte Erfahrungen in der ganzen Welt. Man kann sagen, dass Schach ein sehr mächtiges Instrument ist oder sein kann.

sondern auch Vortragsreisender


Ich halte viele Vorträge und gebe auch Workshops. Ich habe mehr als 30.000 Lehrerinnen und Lehrer in mehr als 30 Ländern darin geschult, wie man Schach als transversales und interdisziplinäres Werkzeug einsetzen kann. Transversal bedeutet zum Beispiel, dass Schach mit emotionaler Intelligenz kombiniert wird, was transversal für alle Fächer ist und ein sehr wichtiges Feld für innovative Bildung im 21. Interdisziplinär bedeutet, dass zum Beispiel, aber nicht nur, ein großer Teil der Mathematik, Geometrie, Arithmetik, Algebra durch Schach auf eine sehr lustige Art und Weise erklärt werden kann. Die Schüler lernen durch das Spielen und das Spielen durch das Lernen, und für die Lehrer ist das sehr effizient. Und das funktioniert sehr gut in mehreren Ländern.

und internationaler Botschafter


Ich war bisher in vielen Ländern, das am weitesten fortgeschrittene und eines der Länder, das ich als Modell für gute Praktiken empfehlen kann, ist natürlich Ungarn. Die Judit Polgar Stiftung macht das sehr gut. Einige spanische Regionen, fünf davon, nämlich Katalonien, Aragonien, Andalusien, die Kanarischen Inseln und die Balearen. Dann drei argentinische Provinzen Santa Fe, San Luis und Buenos Aires City. Und Uruguay. In Mexiko gibt es einige sehr interessante Erfahrungen an verschiedenen Orten. Die Regierungen von Panama, Paraguay und Costa Rica haben in den letzten Jahren Entscheidungen zugunsten des Schulschachs getroffen. Wir müssen also noch ein wenig auf die Entwicklung warten. Dann im Vereinigten Königreich. Diese Stiftung von Malcolm Pein läuft schon seit einigen Jahren recht gut, mit einem guten Grad an Zufriedenheit unter den Lehrern. In Deutschland, ich glaube in Hamburg, hat man einige interessante Erfahrungen gemacht, und ich spreche hier von einem rein pädagogischen Test. Wenn wir über Schach in Schulen als Sport sprechen, dann müssen wir natürlich auch über Russland, Kuba, die Türkei und einige andere Länder sprechen. Andorra habe ich nicht erwähnt. Andorra ist sehr klein, aber die Qualität dessen, was sie im Schulschach tun, ist sehr hoch. Das ist gut.

Leontxo über den Argentinier Faustino Oro


Natürlich ist ein Wunderkind wie Faustino aus Sicht der Vermarktung von Schach erfreulich. Ich kann Beispiele nennen: Jeder weiß, was Rafael Nadal für das Tennis in Spanien bedeutet. Oder wenn wir über Schach sprechen, Vishy Anand in Indien. Faustino ist ein sehr interessanter Glücksfall, kann ich sagen. Natürlich ist das nicht objektiv, aber ich bin davon überzeugt. Faustino ist der intelligenteste zehnjährige Schachspieler, den ich je gesehen habe. Ich meine, ich kann mich an keinen anderen zehnjährigen Spieler erinnern, der so gut gespielt hat wie Faustino im Alter von zehn Jahren. Aber eine Einschränkung bei historischen Betrachtungen gibt es. Wenn wir vergleichen, wie viele Stellungen pro Tag haben Bobby Fischer oder Judit Polgar jeden Tag auf Papier gesehen? Ich meine Bücher, Zeitschriften, Zeitungen. Und wir vergleichen diese Zahl mit der Zahl an Positionen die Faustino Oro jeden Tag mit der modernen Technologie sieht. Das bedeutet zunächst, dass seine Entwicklung viel schneller voran schreitet. Meine Schlussfolgerung ist, dass Faustino Oros Talent nicht unbedingt ein größeres Talent haben muss als Bobby Fischer. Aber erkennbar macht er größere Fortschritte.

Argentinien oder Spanien?

Sie sind jetzt in Argentinien, weil Faustino die argentinische Meisterschaft gespielt hat und jetzt zur Rapid-Weltmeisterschaft in New York fährt. Aber soweit ich weiß, ist es ihr Plan, nach Badalona zurückzukehren, das ganz in der Nähe von Barcelona liegt. Faustino ist ein sehr liebenswerter Junge. Er ist nicht nur ein Kindergenie, sondern er ist auch sehr nett. Es ist sehr nett, mit ihm zu reden, ich war bei ihm zuhause. Wir sind sehr froh, ihn in Spanien zu haben, natürlich.


Leontxo García (WIKI)

Leontxo Garcia (El Pais)

Leontxo (El Pais) Youtube Kanal


Kurz und Bündig

  • 13 Millionen Zuschauer verfolgten die 24. Partie im spanischen Fernsehen
  • seit 1988 richtet Spanien immer mehr internationale Turniere aus
  • Schach ist in Spanien ein Bildungsinstrument
  • Leontxo hat mehr als 30.000 Lehrer in mehr als 30 Ländern ausgebildet
  • Schachwunderkinder wie der Argentinier Faustino Oro tragen zur Popularität des Sports bei

Fotos: Budapest Kongress 2024 (FIDE Chess)

Von Thorsten Cmiel Leontxo García ist unzweifelhaft der

Von Thorsten Cmiel

Während Gukesh sich während laufender Turniere grundsätzlich von Social Media fern hält, nutzt Ding Diskussionen auf Social Media zum Entspannen. Dabei bekommt der Chinese möglicherweise manche Diskussionen mit, lässt sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen, sagt er. Tatsächlich laufen auf verschiedenen Kanälen manche Diskussionen aus dem Ruder. Kommentatoren und Streamer, selbst mit meinungsstarken Maschinen bewaffnet, kritisieren die Spieler und halten das Niveau für nicht so berauschend. Objektiv betrachtet sieht es anders aus.

Einer, der sich beruflich mit Datenanalysen und deren Interpretation beschäftigt ist Mehmet Ismail, Wirtschaftswissenschaftler und Spieltheoretiker für Norway Chess im Einsatz. Ismail hat über eine Milliarde an Schachzügen einer Analyse unterzogen und seine eigenen Berechnungen angestellt, die über das einfache Interpretieren von Genauigkeitsdaten hinausgehen. Einige seiner spannendsten Erkenntnisse dazu.



Schach Weltmeisterschaften – immer präziser

Die Abbildung von Mehmet Ismail zeigt einen Trend abnehmender Fehlpunkte (zunehmende Genauigkeit) im Laufe der Zeit. Dieser Trend steht im Einklang mit einer unabhängigen Stockfish-Analyse auf Tiefe 20 und mit anderen früheren Studien sowie der allgemeinen Einschätzung führender Großmeister.


Bis zum Match 1921 lag der Durchschnitt der Spieler bei mehr als einem verpassten Punkt pro Spiel, was bedeutet, dass ihre Fehler sich zu mehr als einem bedeutenden Fehler pro Spiel summierten. Im Laufe der Jahre sind die durchschnittlich verpassten Punkte deutlich zurückgegangen.




Schon vor den Schachprogrammen lernten Schachspieler von der vorherigen Generation und die Eröffnungen verbesserten sich. Infolgedessen hat sich die Gesamtgenauigkeit erhöht. Auch Schachprogramme haben zu dieser Steigerung beigetragen.

Mehmet Ismail im Dezember 2024.


Beim Schach geht es Ismail zufolge jedoch nicht nur um Präzision, sondern auch darum, kalkulierte Risiken einzugehen. Hierfür hat der Datenexperte den Game Intelligence (GI)-Score entwickelt, der einen Kompromiss zwischen dem Spielen der Hauptvariante und dem Abweichen davon zum Eingehen von gezielten Risiken erfasst. Um die GI-Werte der Spieler zu messen, hat Ismail mehr als eine Milliarde Schachzüge analysiert. Über eine Million dieser Züge wurden von den weltbesten Schachgroßmeistern ausgeführt. Der durchschnittliche menschliche GI-Wert ist auf 100 standardisiert, mit einer Standardabweichung von 15. Dies bedeutet, dass 68 Prozent der Schachspieler einen GI-Wert zwischen 85 und 115 aufweisen.


PlayerGI scoreMissed pointsTPRGames
Magnus Carlsen160,10,44284856
Viswanathan Anand158,70,43279088
Vladimir Kramnik157,20,54280365
Garry Kasparov157,20,542725197
Veselin Topalov156,40,52273623
Liren Ding156,40,56278926
Anatoly Karpov155,70,612725194
Jose Raul Capablanca153,60,7248
Robert James Fischer153,10,87274920
Tigran V Petrosian150,60,8969

In dieser Tabelle von Mehmet Ismail (Stand: 2024, 12 Partien in Singapur gespielt) sind die Ergebnisse der Weltmeister bei Partien in Schachweltmeisterschaften aufgeführt.


Wie man die Daten interpretieren sollte

Wie die Tabelle zeigt, ist Viswanathan Anand mit einer durchschnittlichen Punktzahl von 0,43 pro Partie der Spieler mit der höchsten Genauigkeit. Magnus Carlsen sticht jedoch mit dem höchsten GI-Wert von 160 heraus, was darauf hindeutet, dass Carlsens Spielstil, der nicht immer dem besten Zug des Computers folgt, dazu neigt, seinen Gegnern im Vergleich zu anderen Spielern mehr Fehler zu entlocken.


WM Match Singapur zwischen Ding Liren und Gukesh

Beide Spieler haben laut der Top-Schachengine Stockfish während des Matches in den ersten 12 Partien auf identischem Niveau gespielt, obwohl es vier entscheidende Partien gab. Ihre durchschnittlichen Fehlpunkte pro Partie lagen bei lediglich 0,4. Das deutet laut Mehmet Ismail darauf hin, dass die Fehler während der Partien insgesamt weniger als einen schwerwiegenden Fehler pro Partie ausmachten. Dieses hohe Maß an Genauigkeit macht das Match zum zweitgenauesten Weltmeisterschaftsmatch der Geschichte, das nur von der legendären Begegnung zwischen Garry Kasparov und Viswanathan Anand im Jahr 1995 übertroffen wird.


Ich kann nicht wirklich glauben, dass es das bisher genaueste Spiel ist.

Herausforderer Gukesh nach der siebten Partie

Vielleicht vor diesem Spiel.

Weltmeister Ding Liren nach der siebten Partie.


Mehmet Ismail

Ich möchte drei kritische Stellungen aus der 11. Partie ansprechen, die entweder kurz vor einem Fehler stehen oder bei denen die Spieler sehr lange (mehr als 15 Minuten) zum Rechnen brauchen.

Zum Beispiel spielte Ding in dem ersten Diagramm in dieser Stellung den Damenzug nach c8. Dies führte zu einem verpassten Punkt von 0,4, was bedeutet, dass Ding, wie oben definiert, von einer fast objektiv ausgeglichenen Stellung in eine Verluststellung geriet. Beachten Sie die Logik, dass 0,5 verpasste Punkte bedeuten, dass man von einer ausgeglichenen zu einer Verluststellung übergeht.

In dem zweiten Diagramm ist die Stellung abgebildet kurz bevor Gukesh laut Engine einen Fehler begeht, indem er Tdb1 zieht. Dies ergibt 0,34 verpasste Punkte, da Weiß zwar einen bedeutenden Vorteil verliert, aber immer noch besser steht. Es handelt sich also um eine geringere verpasste Chance als bei Dings Fehler.

Im dritten Diagramm ist die Stellung vor dem Fehler mit dem Bauernzug auf e7-e6 dargestellt, der mit 0,44 verpassten Punkten erheblich ist.“


Über die Grenzen von Datenanalysen

Was die Analyse der Spielqualität im Schach betrifft, so glaubt Mehmet Ismail, dass nan versuchen sollte, die Qualität des Spiels so genau wie möglich zu messen, denn obwohl Engines viel stärker sind als Menschen, können Standardmethoden wie der Verlust von Hundertstelbauern oder die Genauigkeitsrate zu irreführenden Ergebnissen führen. Zweitens sei die Analyse der Zugqualität zwar nützlich, aber man sollte ihre Grenzen anerkennen.

Ein Beispiel dazu: Ein perfektes Spiel zu spielen und zu gewinnen ist etwas ganz anderes als ein perfektes Spiel zu spielen und ein Unentschieden zu erzielen; in beiden Fällen mag das Spiel perfekt sein, aber im ersten Fall macht der Gegner einen Fehler und im zweiten Fall nicht. Der GI-Score zielt darauf ab, die Unterschiede zwischen den beiden unterschiedlichen Spielsituationen zu erfassen. Es gibt laut Ismail noch viel mehr Möglichkeiten, Schachstatistiken aus menschlicher Sicht verständlicher und interpretierbarer zu machen.


Verwendete Definitionen und Methoden

Verpasste Punkte

Die Werte sind durchschnittliche verpasste Punkte pro Partie. 1,00 und 0,50 verpasste Punkte sind gleichbedeutend mit einem spielverlierenden Fehler in einer Gewinn- bzw. Remisstellung. Im Gegensatz dazu bedeuten 0 verpasste Punkte ein perfektes Spiel. Verpasste Punkte messen die Punkte, die ein Spieler in einem Spiel gemäß der Engine verpasst. Jeder Fehlzug wird anhand der Gewinn-Unentschieden-Verlust-Wahrscheinlichkeit des obersten Engine-Zugs und des tatsächlichen Zugs berechnet.

Wenn man beispielsweise in einer Gewinnstellung einen Fehler macht, der zur Niederlage führt, ist das 1 verpasster Punkt, während ein Fehler in einer Remisstellung 0,5 verpasste Punkte bedeutet. 0 verpasste Punkte bedeutet perfektes Spiel.

Was ist mit Spielintelligenz (GI) gemeint?

Der GI-Wert kombiniert die menschliche Leistung mit der Engine-Analyse und misst die Fähigkeit der Spieler, strategische Risiken einzugehen. Die GI-Punktzahl steigt, wenn man mehr Punkte gewinnt und gegen stärkere Gegner punktet, aber sie sinkt bei Fehlern. Der durchschnittliche GI-Wert eines Schachspielers liegt bei 100. Etwa 68 Prozent der Spieler haben einen GI-Wert zwischen 85 und 115. Die Gewinner von Superturnieren erreichen in der Regel einen GI-Wert von 160 oder mehr.

Methodenhinweise


Jeder Fehler wird anhand der Gewinn-Remis-Verlust-Wahrscheinlichkeit des besten Engine-Zuges und des tatsächlichen Zuges des Spielers berechnet. Mit diesem Verfahren ist es möglich, Probleme bei der Interpretation zu vermeiden, die mit den weit verbreiteten durchschnittlichen Bauernverlust-Metriken einhergehen. Für die Engine bedeutet eine Änderung der Bewertung von +9,0 auf +7,0 oder von +2,0 auf 0,0 einen Verlust von zwei Bauerneinheiten; aus menschlicher und praktischer Sicht gibt es jedoch einen großen Unterschied zwischen den beiden Änderungen. Aus diesem Grund liefert die Arithmetik, z. B. das Addieren und Bilden des Durchschnitts von Verlusten in Hundertstelbauern, aus menschlicher Sicht im Allgemeinen keine aussagekräftigen Ergebnisse.

Ebenso sind Ergebnisse mit prozentualer Genauigkeit möglicherweise nicht intuitiv. Beispielsweise hatten die Spieler im aktuellen WCC sowohl in Partie 2 als auch in Partie 7 eine Genauigkeit von etwa 96 %. Allerdings hatten die Spieler in Partie 2 0,07 Punkte, was ein nahezu perfektes Spiel bedeutet, während sie in Partie 7 1,00 Punkte verfehlten, was einem spielentscheidenden Fehler in einer Gewinnstellung entspricht. Spiel 7 war zwar ein ganz anderes Remis als Spiel 2, da Spiel 7 sehr lange dauerte, was jedoch den Genauigkeitswert verzerrt.

Mehmet Ismail berücksichtigt für seine Analysen alle Züge in einer Partie, beginnend mit dem ersten Zug. Er verzichtet auf das Herausnehmen von Eröffnungszügen. Das begründet Ismail so: Ihm sei erstens kein zuverlässiger Datensatz bekannt, der die ersten Züge außerhalb des Buches enthält, und zweitens würde es ohnehin wenig ändern, da verpasste Punkte eine Statistik auf Spielebene sind (sie wird nicht durch die Zuganzahl geteilt).


Über Mehmet Ismail

Mehmet Ismail ist Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Abteilung für politische Ökonomie des King’s College London. Zu seinem akademischen Hintergrund gehört seine Promotion in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Maastricht. Mehmet hat außerdem einen Master in angewandter Mathematik von der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und verbrachte ein Semester an der Universität Bielefeld im Rahmen des Erasmus Mundus QEM-Programms.

Neben seiner akademischen Tätigkeit ist Mehmet ein leidenschaftlicher Schachliebhaber und ehemaliger professioneller Backgammon-Spieler. Seine Leidenschaft für Spiele geht weit über das bloße Spielen hinaus; er ist fasziniert von der facettenreichen Welt der Spiele und erforscht alles von theoretischen Grundlagen und praktischen Anwendungen bis hin zu Spieldesign, Fairness und dem Spiel selbst. Mehmet ist für Norway Chess als Experte für Spieltheorie im Einsatz.

Interessierte Leser können auf https://github.com/drmehmetismail/World-Chess-Championships weitere Informationen und Details der Analysen von Mehmet Ismail finden.




Dieser Chart von Mehmet Ismail zeigt den

Google ist Titelsponsor der Schachweltmeisterschaft in Singapur 2024 und hat zur Weltmeisterschaft eine sehr informative Website mit vielen Informationen zum Schach bereitgestellt. Ästhetisch sind die Informationen hochwertig präsentiert. Eine uneingeschränkte Empfehlung

Screenshot Google Culture and Arts

Culture and Arts

Alpha Zero bis Alpha Go bis Google Deep Mind

Bei der Entwicklung von Alpha Zero ging es den Entwicklern darum zu Lernen um zu lernen. Dieser Prozess ging weiter mit Alpha Go und führte zur Gründung von Googles Deep Mind. Zuletzt war ein Nobelpreis in Chemie das Ergebnis an dem der Gründer Demis Hassabis (Jahrgang 1976) und John Jumper (Jahrgang 1985) von Deep Mind entscheidend mitgewirkt haben.

Zu Beginn der Weltmeisterschaft hielt ein anderer Wissenschaftler Nenad Tomasev einen Vortrag und stellte sich Fragen. Wie wird Künstliche Intelligenz unsere Welt verändern? Hier sehen wir erste Erfolge und mit Schach fing alles an.

Nobel Preise 2024

TC

Google ist Titelsponsor der Schachweltmeisterschaft in Singapur

Foto Maria Emelianova (FIDE Chess)

Von Thorsten Cmiel

Ding Liren und Gukesh sitzen in einer Art schalldichtem Glashaus, Cube genannt. Ein solcher Cube kam bei Weltmeisterschaften bereits vorher zum Einsatz: In London 2018 sah das räumliche Szenario ähnlich aus. Zu Beginn führt die Pressebetreuerin der FIDE akkreditierte Fotografen für einen kurzen Moment in den Raum. Die Konstruktion ist erst kurz vor der Weltmeisterschaft zusammengebaut worden, da vorher eine andere Veranstaltung am Spielort stattfand. Von draußen kann man rein, von drinnen nicht raus sehen. Es spiegelt sich.

Zu Beginn müssen die Spieler die üblichen Startrituale über sich ergehen lassen. Maurice Ashley gibt den Ansager wie bei einem Boxkampf und stellt die Spieler und Gäste vor. Den ersten Zug führt Demis Hassabis aus, selbst ein passabler Schachspieler und ehemaliges Wunderkind, aber vor allem ist er das Mastermind hinter Alpha Zero und später Alpha Go, einer selbstlernenden Künstlichen Intelligenz für Googles Deep Mind. Hassabis erhielt jüngst den Nobelpreis in Chemie. Gukesh flüstert ihm 1.e4 als Startzug zu und Gukesh bleibt in der Partie später dabei. Er hätte es ändern können, die Schiedsrichterin hatte den Zug auf dem Brett zurück gestellt. Vermutlich wäre das im Duell allerdings eher ein Zeichen der Schwäche gewesen. So etwas macht keiner. Die Partie beginnt also mit dem Zug des Königsbauern. Es ist nicht ungewöhnlich und strategisch im Match sinnvoll, die Eröffnungen des Gegners gegen die Hauptzüge 1.e4 und 1.d4 frühzeitig auszutesten.

Ding antwortet auf den Königsbauernzug seines Gegners etwas überraschend für die meisten Kommentatoren mit der Französischen Verteidigung. Dabei hat Ding immerhin über 70 Partien mit dieser Verteidigung auf dem Brett gehabt. Häufiger hat er nur klassisch geantwortet und früher war er gefürchtet für seine Angriffspartien in einigen scharfen Varianten nach der spanischen Eröffnung. Häufiger als Französisch hatte der Weltmeister die Caro-Kann-Verteidigung gespielt, wenn er nicht klassisch (1…e5) spielen wollte. In der Pressekonferenz kam später Richard Rapport der Sekundant ins Spiel, Ding lobt ihn als großen Französisch-Experten, was richtig ist, aber Richard spielt vor allem den Zug mit dem Läufer nach b4, die so genannte Winawer-Variante oder typisch Rapport den etwas ausgefalleneren Springerzug nach c6. In der klassischen Variante, die in der ersten Partie auf das Brett kam, findet man keine Partie von Richard Rapport.

Die Eröffnungswahl ging für Gukesh nicht gut aus. Der Inder hatte zuvor bereits mehrfach die Steinitz-Variante mit Vorstoß des eigenen e-Bauern nach e5 gespielt. Den sechsten Zug mit seinem Damenspringer nach e2 hatte Gukesh bisher noch nicht angewandt. Er wird diese Variante nach meiner Einschätzung in diesem Kampf auch nicht wiederholen. Die Partie wurde allerdings nicht in der Eröffnung entschieden. Der erste wirklich kritische Moment in der Partie sah so aus:

In diesem Moment entscheidet sich, ob es Weiß gelingt seine Figuren vernünftig zu koordinieren. Er sollte um das Feld c4 kämpfen und dafür seinen Läufer nach f1 umgruppieren. Dafür hätte Gukesh am besten mit dem Zug seines Läufers nach e1 begonnen, um das Feld f3 für seinen Turm freizumachen. Stattdessen entschied sich Gukesh für einen passiv gedachten Zug mit seinem a-Turm. Danach wurde es zunächst einseitig und Liren überspielte seinen jungen Gegner.

In dieser Stellung sahen beide Spieler einen kleinen taktischen Trick und brachen mit wenig Restbedenkzeit – Gukesh hatte noch etwas mehr als zehn Minuten auf der Uhr – die Berechnungen ab. Nach dem Schlagen des Bauern auf h7 sieht es zunächst gut aus für den Inder, aber Schwarz hat einen Trickzug zur Verfügung. Er gibt das ablenkende Damenschach auf d4. Weiß kann das nicht ignorieren, da der h4-Bauern nach einem Seitenschritt mit dem König mit Schach fällt.

Die Partie war nach dem Damenzugpaar nach c2 und c4 entschieden. Wer mehr wissen will, kann sich die Analyse der Partie anschauen.

Die Fotos zur Partie zeigen wie Gukesh zunächst zusammenbricht. Das erinnerte an die siebte Runde in Toronto nach seiner Niederlage gegen Alireza Firouzja. Ding war natürlich besserer Laune und erlaubte sich die Journalisten auf die eine oder andere falsche Fährte zu locken. Als er eine Frage auf chinesisch gestellt bekam und sehr schnell antwortet, wirkten die Verantwortlichen überrascht, denn eine Übersetzung fand nicht statt. In der Pressekonferenz war das Supportteam von Liren ebenfalls dabei. Sein Vater ist eher ein seltener Gast bei seinen Turnieren. Der Chinese wird normalerweise nur von seiner Mutter begleitet. Gukesh zeigte sich nachdenklich, war aber voll präsent bei der Presskonferenz. Die Schachwelt kann aufatmen. Liren hat sein Lächeln zurück gefunden.

„Das war ein taktisches Versehen von mir. Das kann passieren, es ist ein langes Spiel. Was die Form meines Gegners angeht, habe ich nichts anderes erwartet. Ich habe die beste Version von ihm erwartet, und wir haben ein langes Match vor uns, also ist es jetzt nur noch spannender.“ Gukesh nach seiner Niederlage in Runde 1.

Hintergrund: Via Youtube. Diese interessante Dokumentation stellt Google Deep Mind selbst auf Youtube zur Verfügung.

Ulrich Stock für Die Zeit

Foto Maria Emelianova (FIDE Chess) Von Thorsten Cmiel Ding

Von Thorsten Cmiel

Eine Schachanalyse ist die detaillierte und nachträgliche Untersuchung und Bewertung einer Schachpartie. Betrachtet werden einzelne Züge, verfolgte Strategien oder einfach bestimmte Positionen. Inzwischen weiß man, dass bei bestem Spiel beider Seiten eine Schachpartie mit Remis enden sollte. Insofern ist es eine wichtige Aufgabe Kipppunkte zu identifizieren, also Momente, bei denen die Bewertung objektiv eine Unwucht bekommt. Sie umfasst das Prüfen von Eröffnungen, Mittelspielstrategien und Endspieltechniken, um die Stärken und Schwächen eines Spiels oder eines Spielers zu erkennen. Dabei werden oft auch alternative Züge und deren mögliche Konsequenzen betrachtet. Schachanalysen können sowohl manuell durch erfahrene Spieler als auch mit Hilfe von Schachcomputern und -software durchgeführt werden. Ziel ist es, das Verständnis für das Spiel zu vertiefen und die eigenen Fähigkeiten zu verbessern.

Vier Hauptziele einer Partieanalyse

1. Kipppunkt(e) bestimmen

Es ist für die retrospektive Analyse entscheidend ab wann eine Partie von einer ausgeglichenen Stellung in eine schlechtere Stellung oder sogar in eine verlorene Stellung überführt wurde, gekippt ist. Schachengines können da helfen.

Automatische Analyse mit dem Li-Chess-Tool

Der obige Chart zeigt den Verlauf einer zufällig ausgewählten Schachpartie in der Darstellung von Lichess, einem Internetportal bei dem Spieler ihre Partien in einem Schnelldurchlauf mit einer Schachengine prüfen können. Wir erkennen, dass Weiß zu Beginn einen leichten Vorteil hatte und, dass erst im Endspiel wirklich etwas los war. Der Schwarzspieler dieser Partie stand fünfmal auf Gewinn (Zacken nach unten), bekam es aber zunächst nicht hin. Für die Analyse hieße das, dass man die Zacken und die Absturzmomente – die Extrempunkte – genauer untersuchen sollte. Genau auf diese Weise analysieren Charttechniker an der Börse Kursverläufe und hoffen daraus die richtigen Schlüsse für zukünftige Entwicklung vorherzusagen. Beim Schach hat man seine Geschicke weitgehend selbst in der Hand.

2. Fehler entdecken

Am besten kann man nach einer Schachpartie zumindest Vermutungen darüber anstellen, welche eigenen oder gegnerischen Züge nicht sonderlich gelungen waren. Dieser Teil wird heutzutage zu häufig von starken Engines wie „Stockfish“ übernommen, die taktische Überprüfungen anstellen. Wer allerdings glaubt, dass die taktischen Engineanalyse die absolute Wahrheit erzählt, liegt falsch.

3. Verbesserungen suchen

Wenn man etwas Selbstdisziplin aufbringt und ohne Rechnerhilfe nach Lösungen für praktische Probleme sucht, dann verbessert man als Schachspieler sein Verständnis des Spielgeschehens.

4. Eigene Schwächen ermitteln.

Es geht nicht darum sich selbst zu zerfleischen in der nachträglichen Partieanalyse. Aber jede Partie kann Fragen aufwerfen: Was ist in der Eröffnung falsch gelaufen? Warum habe ich im Mittelspiel keinen Plan gefunden? Warum war mein Zeitverbrauch so hoch? Konnte ich im Endspiel bestimmte Stellungen nicht bewerten? Welches Wissen fehlte mir? Und viele weitere Fragestellungen sind denkbar.

Lebenslanges Lernen ist das Ziel

Das Ziel der Partie- oder Stellungsanalysen ist es, Verbesserungsideen für das eigene Spiel zu sammeln und möglichst bei der nächsten Gelegenheit anzuwenden. Dieser Verbesserungsprozess ist für jeden Schachspieler jeder Spielstärke möglich. Weltklassegroßmeister können allerdings als schon gut ausgebildete Spieler nur kleine Schritte machen. Sogar Magnus Carlsen kann besser werden. Allerdings haben mehrere führende Großmeister seine Schwächen nicht wirklich aufdecken können in fünf Weltmeisterschaftskämpfen.


Das AI-generierte Beitragsbild zeigt ein mechanisches Schloss im Stil eines „Da Vinci“-Codeschlosses. Es besteht aus mehreren rotierbaren Ringen mit Buchstaben darauf, die in Reihen angeordnet sind. An den Enden befinden sich dekorative Kappen mit geometrischen Mustern und Symbolen. Die Oberfläche der Buchstabenringe ist metallisch und detailliert mit Gravuren. Das Schloss hat einen antiken und mystischen Charakter und scheint für ein Rätsel oder eine Geheimhaltung konstruiert worden zu sein. Dieses Design erinnert an ein mechanisches Zahlenschloss, jedoch mit Buchstaben anstelle von Zahlen, und wird oft in Abenteuerspielen oder Geschichten verwendet, um eine geheime Botschaft zu entschlüsseln. Schachpartien sind solche Rätsel zumindest für die meisten Schachspieler.

Eine Schachanalyse ist die detaillierte und nachträgliche

Foto: Maria Emelianova (Singapur 2024)

Von Thorsten Cmiel

Im Ecosystem des Schachsports erscheint immer wieder ein neuer Stern, der die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht. Manche leuchten besonders hell. Einer dieser aufstrebenden Stars ist der junge indische Schachgroßmeister Dommaraju Gukesh. Mit seinen beeindruckenden Leistungen hat Gukesh nicht nur die indische Schachszene erobert, sondern insbesondere 2024 international für Aufsehen gesorgt. Sein nächstes großes Ziel ist der bevorstehende Weltmeisterschaftskampf in Singapur gegen den chinesischen Titelverteidiger Ding Liren.

Wer ist Gukesh?

Dommaraju Gukesh, so sein vollständiger Name, wurde am 29. Mai 2006 in Chennai, Indien, geboren. Als das Talent sichtbar wurde ging sein Vater, ein Arzt, mit seinem Sohn auf Reisen und förderte so die Karriere seines Sohnes. 2015 steht Gukesh als Candidate Master in den Titelbüchern und drei Jahre später war Gukesh bereits Internationaler Meister. Im Jahr 2019 folgte der Titel eines Großmeisters und war zu diesem Zeitpunkt der zweitjüngste Spieler, dem dies gelang. Mit seinen überragenden Rechenkünsten hat er sich schnell als Topgroßmeister etabliert und 2024 seinen endgültigen Durchbruch im Spitzenschach geschafft.

Der eigene Weg – zunächst Verzicht auf Computerunterstützung

Auf Anraten seines langjährigen Trainers Vishnu Prassana verzichtete der Jungmeister lange Zeit auf den Einsatz von Computern und Schachengines bei der Vorbereitung und Analyse. Diese heutzutage eher ungewöhnliche Herangehensweise stärkte letztlich seine Rechenfähigkeiten und förderte seine Kreativität bei der Suche nach eigenen Lösungen. Gukesh gilt als der rechenstärkste Großmeister seiner Generation. Zudem hat diese Methode den positiven Nebeneffekt erzielt, dass Gukesh seinen Rechenfähigkeiten scheinbar uneingeschränkt vertraut. Selbstbewusstsein.

Rituale

In der Leichtathletik können die Zuschauer am Fernseher beobachten wie sich die Sportler auf anstehende Wettbewerbe innerlich vorbereiten. Die Sportlerinnen oder Sportler gehen dann häufig einen Hürden-Lauf oder Hochsprung beispielsweise vor dem geistigen Auge durch. Das gilt ebenfalls für Slalom-Skifahrer, die sich auf die Wendungen im anstehenden Rennen vorbereiten. Bei vielen Schachspielern ist das ähnlich, wobei hier natürlich die anstehenden Wendungen in einer Partie nicht vorweg genommen werden können. Viele Schachspieler folgen einem Ritual, um sich auf die Partie einzustimmen.

Bei der Schacholympiade in Budapest 2024 konnte man bei Gukesh jeden Tag den gleichen Ablauf beobachten: Nach der obligatorischen Kontrolle am Eingang, die inzwischen an Flughafenkontrollen erinnern, stürmte Gukesh zu seinem Brett. Er hatte offensichtlich keine Lust auf Smalltalk mit seinen Kolleginnen und Kollegen vor den Partien. Er war fokussiert auf die anstehende Partie. Ein Videofilmer von Chessbase India folgte Gukesh jeden Tag mit einem Abstand von ein bis zwei Metern und hatte Probleme dem Tempo von Gukesh zu folgen. Einmal am Brett begann der Inder sein tägliches Ritual, das man bei ihm vor jeder Partie beobachten kann. In Toronto hatte ich es vor jeder Runde beobachtet. Mit verschränkten Armen sitzt der Youngster am Brett, schließt die Augen, fokussiert sich auf die anstehende Aufgabe, vermutlich ist es eine Form der Meditation, die man vor den Partien bei Gukesh beobachten kann.

Sobald die Partie beginnt gibt es den obligatorischen Handschlag für den Gegner und dann kommen die vorbereiteten Züge auf das Brett. Mit dann offenen Augen spielt er seine Partien und steht eher selten vom Brett auf. Steht Gukesh länger sieht es meist gut für ihn aus. Nach einem längeren Endspiel gegen den Aseri Nijat Abasov beim Kandidatenturnier in Toronto beispielsweise beobachteten einige Zuschauer, dass Gukesh aufstand und sich reckte. In Jugendsprache, er „flexte“. Ein vermutlich unbewusstes Signal an den Gegner, dass die Sache entschieden ist.

Auch zum Partieende folgt ein Ritual. Zunächst unterschreibt er wie alle Spieler es müssen die Partieformulare, die dann von einem Schiedsrichter im Original eingesammelt werden. Der Inder falltet seinen Durchschlag akurat und steckt ihn ein. Danach bringt Gukesh das Brett in Ordnung. Er baut die Figuren auf, was nicht jeder Schachspieler macht und was auch nicht vorgeschrieben ist. Danach folgen eingespielte Handbewegungen und ein Tippen an die Stirn sowie auf den Schachtisch. Ein indischer Geschäftsmann und Sponsor von Gukesh bezeichnet das in Toronto im Gespräch als eine Respektsbekundung für das Spiel. Das scheint eine gute Interpretation zu sein.

Spielstil

Gukeshs Weg zur Spitze war von zahlreichen Erfolgen und einem stetigen Spielstärkeaufwuchs geprägt. Er war einer der aktivsten Spieler auf der Tour und nahm an vielen internationalen Open-Turnieren teil. Das war eine Notwendigkeit, um finanzielle Mittel zu generieren und weil Einladungen für Rundenturniere nicht reinkamen. Das stählt. Der Inder ist in der Regel nicht auf den schnellen Punkt aus, sondern er lernte durch Vermeiden von eigenen Fehlern viele Punkte einzusammeln. Insofern ist sein Spielstil vergleichbar mit dem von Spielern wie Magnus Carlsen oder Anatoly Karpov, um ganz oben ins Regal der Vergleiche zu greifen.

Supportsystem

Ich habe kein besonders ausgeprägtes Privatleben. Ich meine, mein ganzes Leben dreht sich um Schach. Um alles andere kümmern sich meine Eltern und mein Team. Mein einziger Job ist es, Schach zu spielen, das ist also ganz nett.

Gukesh in Singapur vor dem Match.

Gukesh wird gecoacht von dem 1985 geborenen polnischen Großmeister Grzegorz Gajewski. Die beiden arbeiten seit fast zwei Jahren zusammen. Das engere Team Gukesh scheint zu harmonieren. Spieler und Trainer wirken introvertiert, ruhig und bedächtig, aber wenn es um Schach geht, dann erwacht sofort die Leidenschaft und beide werden gesprächig. Der zweite Mann und ständige Reisebegleiter des jungen Inders kennt ihn schon etwas länger. Sein Vater, Rajini Kanth. Rajini ist Chirurg und hat seine Karriere aufgeben, um die Karriere seines einzigen Sohnes zu fördern. Während Gukesh meist viel Ruhe ausstrahlt, kann sein Vater die Nervosität kaum ablegen. Während der Pressekonferenz zum Auftakt folgten Gajewski und Rajini dem Geschehen: aufmerksam und vor allem ruhig, noch.

Zum Team Gukesh gehört genau so seine Mutter, Padma. Sie ist Mikrobiologin und ist vor allem als Organisatorin zuständig. Gukesh und sein Vater waren die letzten Jahre oft längere Zeit unterwegs und die Familie kam nur eine Woche im Monat zusammen. Diese Entbehrungen, die offenbar nötig sind, um es in der Schachwelt ganz nach oben zu schaffen, zählen jetzt nicht mehr. Jetzt ist die Familie am Ziel. Gukesh spielt um die Weltmeisterschaft. Das ultimative Ziel ist nah.

Der bevorstehende WM Kampf in Singapur

Der Schach-Weltmeisterschaftskampf in Singapur wird mit klassischer Bedenkzeit ausgetragen und nicht nur in Indien herbeigesehnt. Für Gukesh ist dies seine erste Gelegenheit erneut echte Schachhistorie zu schreiben. Bei seinem Sieg im Kandidatenturnier in Toronto überzeugte der siebzehnjährige Inder bereits das Fachpublikum und bei der Schacholympiade in Budapest erzielte Gukesh eines der besten Einzelergebnisse der Schachgeschichte. Mit neun Punkten aus zehn Partien gewann Gukesh nicht nur ein individuelle Goldmedaille wie zwei Jahre zuvor am ersten Brett. Diesmal blieb der Youngster ungeschlagen und konnte mit dem Chinesen Wei Yi und dem US-Amerikaner Fabiano Caruana zwei schachliche Schwergewichte besiegen. Gukesh geht als die Nummer Fünf in der Welt ins Rennen um den WM-Titel.

Vorbereitung

In Vorbereitung auf den Kampf in Singapur absolviert Gukesh wie vor dem Kandidatenturnier in Toronto ein intensives Trainingsprogramm mit seinem Team. Er arbeitet mit einigen erfahrenen Spieler zusammen. Das Team ist im Vorfeld der Weltmeisterschaft natürlich nicht bekannt, man will dem gegnerischen Team keine wertvollen Informationen geben. Lediglich war sein Headcoach Grzegorz Gajewski gesetzt. In einem Interview im Vorfeld der Weltmeisterschaft sagte Gukesh: “Was mein Team betrifft, kann ich sagen, dass Gajewski mein Trainer für das Match sein wird, aber darüber hinaus kann ich nicht viel verraten.“ In solchen Trainingscamps wird nicht nur Schach gespielt und Eröffnungsvorbereitung betrieben. Von Gukesh ist bekannt, dass er mit Gajewski gerne und regelmäßig Tennis spielt.

Matchstrategie

Es ist nicht zu erwarten, dass Gukesh seine sehr geduldige Spielstrategie ändert und übermäßig aggressiv zu Werke geht. Das würde auch nicht zu seiner Person passen. Gukesh ist für sein Alter bereits ein sehr reflektierter junger Mann, der in Interviews seine Worte mit Bedacht wählt. Gukesh liest gerne Sportlerbiographien und sucht so bei anderen erfolgreichen Sportlern Inspirationen. Im Vorfeld wurde jetzt bekannt, dass Gukesh mit einem Mental-Coach zusammengearbeitet hat, der vor allem indische Cricketsportler gecoacht hat. In einem Interview mit Sagar Shah für Chessbase India erfährt man mehr über den geborenen Südafrikaner Paddy Upton. Er erläutert seinen Zugang zu einem Spiel, das neu für ihn war. Schach unterscheidet sich laut Upton aus seiner Sicht von den anderen 19 Sportarten in denen er vorher Leistungssportler gecoacht hat. Schach findet nur im Gehirn statt, anders als bei anderen Sportarten bei denen es letztlich um körperliche Fähigkeiten geht. Homepage Paddy Upton

Favoritenrolle für den Herausforderer

Dommaraju Gukesh überzeugte nicht nur beim Kandidatenturnier in Toronto, sondern ebenfalls im September 2024 am ersten Brett des indischen Teams bei der Schacholympiade in Budapest. Seine herausragende Leistung unterstrich seine gute Form im Vorfeld des bevorstehenden WM-Kampfes in Singapur. Gukesh gewann nicht nur individuelles Gold am ersten Brett, sondern die indische Mannschaft gewann souverän das wichtigste Teamevent im Schach. Aber Gukesh hat bereits mehrfach in Interviews erwähnt, dass er sich nicht auf einen Gegner außer Form vorbereitet, sondern einen starken Gegner erwartet.

Es wird ein Massaker.

Arjun Erigaisi, indischer Schachgroßmeister.

Es gibt nur zwei vernünftige Vorhersagen. Es wird knapp oder Gukesh wird mit deutlichem Vorsprung gewinnen. Die meisten haben auf beide Möglichkeiten gesetzt. Ich werde nicht feige sein und sage einen klaren Sieg mit +2 oder +3 für Gukesh voraus, der sich nie wie ein Wettkampf anfühlt. Ich erwarte auch, dass Ding nach dem Spiel zurücktritt, falls er verliert. Es ist traurig zu sehen, wie ein Mann so sehr darum kämpft, dass seine Träume wahr werden.

Jacob Aagaard, dänischer Schachgroßmeister, Trainer und Verleger.

Wie groß ist der Druck, der auf dem Teenager lastet?

Gefragt nach dem Druck vor dem Wettkampf sagte Gukesh: Es ist immer ein Privileg, für Indien auf so hohem Niveau zu spielen, und ich genieße diese Erfahrung. Ich denke, dass ich mit Druck vor allem durch Erfahrung umgehen kann. Ich habe schon in vielen Situationen mit hohem Druck gespielt, wenn auch nicht bei einer Weltmeisterschaft, natürlich. Aber ich freue mich auf die neue Erfahrung.

Quelle: Take Take Take via Youtube.

Pressekonferenz vor dem Match

Gukesh zeigte sich glücklich in Singapur zu sein, zumal er einen WM-Kampf herbeisehne, seit er mit dem Schachspielen begonnen hat. Er habe alle Chancen der Welt, wenn er weiterhin gutes Schach spiele und in jeder Partie die beste Version seiner selbst zeige.

„Ich bin sicherlich etwas nervös, aber ich fühle mich gut dabei. Der einzige Gedanke, den ich habe, ist, mein Bestes zu geben und zu sehen, was passiert. Es ist eine Ehre und ein Privileg für mich, für Indien bei irgendeiner Veranstaltung zu spielen, besonders bei einer Veranstaltung wie der Olympiade oder der Weltmeisterschaft. Es ist ein so großes Ereignis, mein Land zu vertreten und die Hoffnungen der Inder zu tragen: Das ist eine Ehre für mich. Ich nehme das sehr ernst. Ich werde gegen Ding Liren antreten, der seit mehr als einem Jahrzehnt zu den besten Spielern der Welt gehört.

Die offizielle Homepage zum Weltmeisterschaftskampf

Interviewauszüge 10.11.2024 (FIDE)

Im Ecosystem des Schachsports erscheint immer wieder

Foto: Lennart Ootes (FIDE Chess)

Von Thorsten Cmiel

Die Entscheidung über die Vergabe der Goldmedaille bei der Schacholympiade in Chennai fiel in einer Partie: im Duell zwischen dem Inder Gukesh und dem Usbeken Nodirbek Abdusattorov. Der 16-jährige Inder stand nach der Eröffnung besser und schließlich auf Gewinn. Doch dann glitt Gukesh die Partie nach und nach aus den Händen und Usbekistan gewann in der Folge die Goldmedaille und das indische B-Team landete auf dem dritten Platz.

Anatomie eines schachlichen Unfalls

Chennai. In der zehnten Runde kam es bei der 44. Schacholympiade 2022 zum Kampf der zwei Überraschungsmannschaften. Die Youngster von Indien 2 spielten endlich gegen Usbekistan. Die Usbeken lagen zu diesem Zeitpunkt mit einem Matchpunkt vorne. Damit war klar, dass dieser Wettkampf eine Vorentscheidung für die Goldmedaille in der offenen Klasse bringen würde. Es lief zunächst hervorragend für die Inder, die mit Schwarz zwei Remis erreichten. Kurz vor der Zeitkontrolle war klar, dass Praggnanandhaa, Pragg, seine Partie gegen Sindarov gewinnen würde. Am ersten Brett spielten die zwei überragenden Spieler am Spitzenbrett gegeneinander. Gukesh für Indien und Nodirbek Abdusattorov für Usbekistan.

Der Verlauf der Partie ist einfach erzählt: Gukesh hatte erneut einen hervorragenden Tag erwischt. Nodirbek stand hinten drin und nach 32 Zügen sah es nach einem klaren Sieg für Indien aus. Gukesh musterhafte Partieführung hatte zu der folgenden Stellung geführt.


Der Bauer auf c5 geht verloren und die einzige Aufgabe von Weiß besteht darin, das Eindringen der gegnerischen Dame zu verhindern. Gukesh kann den Bauern hier schlagen, aber sein Zug mit dem f-Bauern von f2 nach f3 ist ebenfalls bestens geeignet. Der Usbeke weiß nicht wie er überhaupt weiterspielen soll, zieht seine Dame nach d6 und nimmt das Feld g3 ins Visier. Nach diesem Zug kann der Inder mit dem Springer auf c5 nehmen, den Läufer angreifen und mit dem Springer zurück nach d3 ziehen. Es kann nicht mehr lange dauern und Indien jubelt, denkt man.


Statt den Bauern auf c5 zu schlagen spielt Gukesh zunächst seinen König nach f1, vermutlich um mit seinem König von e2 oder e1 das Eindringen auf der eigenen Grundreihe zu verhindern und erst dann auf c5 mit dem Springer, oder mit einem König auf e2 mit der Dame auf c5 zu nehmen. Diese Methode wirkt etwas umständlich, sollte aber ebenfalls funktionieren.


Zeitkontrolle geschafft. Weiß steht klar auf Gewinn. Der Usbeke hatte seinen Läufer kurzzeitig auf f5 eingesetzt und Gukesh den a-Bauern gegen den e-Bauern seines Gegners getauscht. Aber erstmals stört eine gegnerische Drohung, wäre Schwarz hier am Zuge, er würde ein Schach auf g1 geben. Gukesh wehrt mit einem Springerzug nach c5 die Drohung seines Gegners ab und arbeitet weiter an der Verwertung seines Vorteils. Dennoch ahnt man als erfahrener Spieler, dass der weiße König langfristig ein sicheres Versteck benötigt, um gegnerischen Schachgeboten auszuweichen. Nach dem Springerzug nach c5 und Zug der gegnerischen Dame nach a5, antwortet Gukesh hier mit dem Zug seines Königs nach d1. Erstmals bekommt man als Beobachter kleine Zweifel an einem zweiten Sieg heute für Indien. Der König wäre gefühlt auf h2 sicherer, besser dorthin unterwegs und würde nebenbei den eigenen Bauern auf g2 verteidigen. Aber Gukesh ist ein hervorragender Rechner und wird schon wissen was er macht, beruhigen sich erstmals zweifelnde Beobachter.


Einzig die weiße Königsstellung ohne Schutz gibt Schwarz hier noch etwas Hoffnung auf ein Remis. Aber der weiße König steht auf c2 so postiert, dass der gegnerischen Dame auf der d-Linie keine Einbruchsfelder verbleiben. Läuft gut. Der nächste Zug von Gukesh überrascht, verblüfft, erschreckt den Zuschauer. Es ist der erste Zug ohne erkennbaren, nachvollziehbaren Hintergrund in dieser Partie, vermutlich in diesem Turnier. Der Inder zieht seinen König nach b2. Stand dieser König nicht auf c2 besser? Teamkollege Praggnanandhaa am Nebenbrett kennt die entscheidende Hürde in seinem Endspiel mit Turm und h-Bauer gegen Läufer offensichtlich und insofern wäre ein Unentschieden kein großer Verlust. Beruhigungspillen.

Einige Züge später sieht die Situation auf dem Brett so aus.


Die gegnerische Dame ist auf g1 eingedrungen und Weiß kann hier seine Dame erneut nach c2 ziehen und Nodirbek bleibt vermutlich nichts anderes als mit dem Damenzug nach c5 und nach erneutem Seitenstep der Dame nach d2 den Gegner zu fragen, ob er nach Damenzug nach g1 weiterzuspielen gedenkt. Falls er das will, weil er muss, kann Gukesh und damit Indien einen kleinen Erfolg melden. Die angedrohte Stellungswiederholung wäre in jedem Fall eine sichere Testmethode, die nichts kostet. Gukesh versucht es nicht einmal, sondern zieht seinen König nach c2. Das ist typisch für die junge Generation, aber kritikwürdig. Peter Svidler versteht es nicht und die Fans von Indien müssen weiter zittern, denn die Partie geht weiter in objektiv etwa gleicher Stellung. Es kam dann wie es häufig kommt in solchen Situationen Gukesh verlor nach einem groben Fehler.

Das Drama

Gukesh verschmähte das wahrscheinliche Remis und wird vom amtierenden Schnellschachweltmeister aus Usbekistan zunächst gekontert. Die Bewertung schwappt hin und her zwischen Ausgleich und Vorteil für Nodirbek. Bis dann der plötzliche Tod durch ein grobes Versehen eintritt. Gukesh sackt in sich zusammen.

Lennart Ootes (FIDE Chess)

Die Fotos fangen eine für das Schachspiel typische Situation ein, einem Spieler unterläuft ein grober Fehler, und man weiß weder als Betroffener noch als Glückspilz wie man reagieren soll. Gukesh fällt in sich zusammen, lässt seine Bedenkzeit ablaufen und bleibt zunächst konsterniert sitzen. Der Usbeke ist ebenfalls erkennbar geschockt über die Situation, vermutlich fühlt der Usbeke einen kurzen Moment mit seinem Gegner mit. Ein Lächeln kann ihm erst sein Team-Captain Ivan Sokolov aufs Gesicht zaubern.

Solche Situationen kommen vor im Schach, oft. Selten ist der Einsatz allerdings so hoch wie hier. Vergleichbar ist diese Wucht der Emotion für die Beteiligten vermutlich nur mit einem Weltmeisterschaftskampf oder einer finalen Runde in einem Kandidatenturnier oder einer WM-Partie.


Über den Tag hinaus

Gukesh wird einen Tag später sagen, dass seine Entscheidung unverantwortlich war. Tatsächlich ist dies der Kippmoment dieses Turniers, welcher Indien die Goldmedallie gekostet haben könnte, wobei man so nicht argumentieren darf in der Retrospektive, aber es fühlt sich so an. Vishy Anand erklärt die Situation ausführlich in seiner täglichen Kolumne zur Schacholympiade im The Hindu. (Kolumne von Anand) Gukesh habe auf Autopilot geschaltet und bekam den bisherigen Verlauf der Partie bei einer objektiven Bewertung nicht mehr aus dem Kopf. Aufmunternd schreibt er, dass das ihm selbst schon öfters passiert sei. Er, Anand, habe auf das Unentschieden gehofft, denn es komme unweigerlich sonst ein Punkt ohne Umkehr. Später wurde bekannt, dass Anand nachts im Hotel bei Gukesh vorbei schaute und mit ihm ein längeres Gespräch führte. Gukesh trat am nächsten Tag an und remisierte problemlos mit der deutschen Nummer 1 Vincent Keymer. Die zweite indische Mannschaft gewann souverän mit drei zu eins Punkten. Gukesh gewann die Goldmedaille am ersten Brett. Sicher kein Trost.

Bei der Siegerpressekonferenz der Schacholympiade in Budapest 2024 – diesmal gewann Indien Gold – wird Gukesh nach dieser einen Partie, der Entscheidungspartie 2022, gefragt. Die verpasste Chance wurmte den Inder offenbar noch immer. Gukesh formulierte es so:

Ich musste eine Schuld begleichen.

Gukesh in Budapest 2024.


Dieser Text wurde erstmals am 09.08.2022 bei Chessbase veröffentlicht. Leichte Änderungen und Ergänzungen.

Foto: Lennart Ootes (FIDE Chess) Von Thorsten Cmiel Die

Foto: Lennart Ootes (Tata Steel India 2024)

von Thorsten Cmiel

Divya Deshmukh ist eine der talentiertesten jungen Schachspielerinnen Indiens. Schon früh zeigte sie außergewöhnliche Fähigkeiten und machte sich in der internationalen Schachszene einen Namen. Mit großem Talent und einem Ehrgeiz, der kaum zu bremsen ist, hat Divya bereits als Kind und Teenager Titel gewonnen.

Kaum eine andere Schachspielerin sammelt internationale Erfolge wie die am 9. Dezember 2005 geborene Inderin Divya Deshmukh. Nach zahlreichen nationalen und internationalen Titeln im Kindesalter ist der Teenager aus Nagpur, einer Stadt im zentralindischen Bundesstaat Maharashtra, im Jahr 2024 zu einem internationalen Superstar im Schach aufgestiegen.

Viele Schachspieler folgen einem Ritual zu Beginn und manche sogar nach dem Ende jeder Partie. Nach ihren Schachpartien unterschreibt Divya Deshmukh in Budapest die Partieformulare und baut die Figuren wieder in der Grundstellung auf. Immer. Lediglich die Könige werden in der Mitte positioniert, um zunächst der Elektronik und damit der Schachwelt das Ergebnis der Partie mitzuteilen. Nicht jeder Schachspieler ist so gut erzogen wie Divya. Das Aufbauen der Figuren bezeugt vor allem Respekt gegenüber dem Spiel. Ähnlich verhält sich ein anderer indischer Superstar, Gukesh, der sogar noch eine Art Bekreuzigungsritual anfügt.

Frühe Erfolge im Mädchenschach

Divya begann mit fünfeinhalb Jahren das Schachspiel. Zunächst wollte sie vor allem ihren Vater im Schach besiegen, also eine recht typische Motivation unter Schachspielern. Früh stellten sich erste Erfolge ein und oft war Divya die Erste, die bestimmte Leistungen erreichte. Beispielsweise war die Inderin die erste Frauen-Fidemeisterin im Alter von sieben Jahren. 2014 gewann Divya im südafrikanischen Durban die U10-Weltmeisterschaft der Mädchen und in 2017 folgte im brasilianische Poços de Caldas der WM-Titel in der Altersklasse U12. Im April 2019 gelang es Divya erstmals eine Ratingzahl von über 2400 Punkten zu erzielen, das repräsentiert einen Spielstärkelevel, der für das Erringen des zweithöchsten Titels im Schach, dem Titel eines Internationalen Meisters, notwendig ist. Dieses hohe Spielniveau konnte Divya zunächst nicht halten und ging mit einer Wertzahl von 2305 Punkten in die pandemiebedingte Zwangspause.

Partieende durch Stromausfall

2020 spielte Divya mit 14 Jahren für Indien am Frauenbrett bei der online ausgetragenen Schacholympiade, die mit gemischten Sechserteams ausgetragen wurde. Angeführt wurde das Team vom fünfmaligen Weltmeister Viswanathan Anand. Divya wurde für beide Finalpartien am Frauenbrett eingesetzt und bestand gegen die damals deutlich höher eingeschätzte Russin Polina Shuvalova. Die erste Partie endete Remis und dann in der zweiten Partie passierte aus indischer Sicht ein Drama. Es gab einen Stromausfall. Fans sahen auf dem Brett von Divya die folgende Situation.


Finale Online-Schacholympiade Divya Deshmukh – Polina Shuvalova nach 25….Kg8

Shuvalova ist komplett überspielt und hat kein Gegenspiel, da sie am Damenflügel unvorsichtig agiert hat. Gegen den heraufziehenden weißen Angriff am Königsflügel gibt es keine ausreichende Verteidigung mehr. Die Inderin wollte hier mit 26.Th2 fortsetzen Aber: Divya verlor offiziell zunächst ihre Partie, da jegliche Übertragungsfehler dem betroffenen Team angerechnet werden. Divya weinte vor laufender Kamera, fand aber wieder die Fassung. Der Leitungsausfall betraf allerdings nicht nur drei Partien der Inder an ihrem Spielort, sondern ein ganzer Kontinent war abgehängt. Der Weltschachbund fand ein nicht unumstrittenes gleichwohl salomonisches Urteil, beide Teams, Russland und Indien, wurden zu Goldmedaillengewinnern ausgerufen.

Bei der Schacholympiade 2022 in Chennai (Indien) gewann die damals 16-jährige Divya mit sieben Punkten aus neun Partien die Bronzemedaille am Reservebrett. Sie nannte diesen Erfolg zunächst „surreal“. Divya spielte für das zweite indische Team. Am ersten Brett von Indien B spielte Vantika Agrawal, die 7,5 aus elf Partien holte, ebenfalls ihre Mannschaftskameradin in Budapest 2024. Das zweite indische Team landete auf dem achten Platz. In der offenen Klasse sorgte ebenfalls Indien B für Aufregung und landete letztlich auf dem dritten Platz, einen Platz vor der ersten indischen Mannschaft.

(Foto: Lennart Ootes for Fide Chess)

2023 – überraschender Turniersieg als Ersatzspielerin

Erfolgreiche Sportler unterschiedlicher Disziplinen berichten immer wieder darüber. Es gibt Momente, die scheinbar einen Schalter umlegen und Sportlern einen Schub in ihren Karrieren verleihen. Vielleicht war der 2. September 2023 solch ein Tag in der Karriere von Divya Deshmukh. In der indischen Nationalbibliothek Bhasha Bhawan in Kalkutta gewann Divya das Tata Steel Frauen Schnellschachturnier vor der Favoritin und Weltmeisterin Ju Wenjun aus China. Dabei war die 17-jährige Inderin für das Turnier gar nicht vorgesehen. Divya sprang kurzfristig ein, da ihre Landsfrau Vaishali aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte. Divya war ohnehin gut in Form und hatte im Monat zuvor bei einem Openturnier in Abu Dhabi, also in den Vereinigten Arabischen Emiraten, ihren Titel als Internationaler Meister klar gemacht.

Von Beginn an lief es gut für Divya, die mit der geringsten Elozahl im Feld und damit als krasse Außenseiterin startete. Nach einem Auftaktsieg gegen Harika Dronavalli und einem Unentschieden gegen die Weltmeisterin gab es scheinbar kein Halten mehr und nach fünf Siegen und zwei Remis in den ersten sieben Runden legte die Inderin ordentlich vor. Gegen die unter neutraler Flagge teilnehmende Russin Polina Shuvalova verlor Divya dann in der achten Runde nach einem unnötigen Bauernopfer, das ihre Gegnerin geschickt nutzte. Der Turniersieg schien in Gefahr, zumal Ju Wenjun zur Inderin aufschließen konnte. Divya musste mit Schwarz erstmals gegen die indische Spitzenspielerin Koneru Humpy ran und die Chinesin hatte Weiß gegen die Ukrainerin Anna Ushenina, die scheinbar einfachere Aufgabe. Dann wurde jüngere indische Schachgeschichte geschrieben und Divya erzielte ihren ersten größeren Erfolg bei den Frauen.


Humpy – Divya Tata Steel Rapid Kalkutta – Diagramm nach 39.Le2 von Weiß

Divya erkannte in dieser Stellung, dass sie eine taktische Chance hatte. Nach einem Rechenfehler ihrer Gegnerin streute die junge Inderin einen Zwischenzug ein, gewann die Partie und das Turnier. Ihr erster großer Erfolg im Frauenschach.


Pressekonferenz der Siegerinnen. Tata Steel India Rapid 2023.

Medaillen sammeln als Hobby

Divya sammelte, Stand Oktober 2024, bereits 23 Goldmedaillen bei 40 internationalen Events für Indien ein. Die Zahl der nationalen Titel kennt sie nicht einmal selbst. International ragen ihre drei Weltmeistertitel der Frauentitel in Asien 2023 heraus. Im Mai 2024 gewann Divya das Sharjah Challenger Turnier, ein Mixed-Event. Es fehlten ihr 16 Punkte bei der Performance und ein Gegner mit einem Großmeistertitel zu ihrer ersten GM-Norm. Im Monat danach gewann die Inderin in Gandhinagar, der Hauptstadt im indischen Bundesstaat Gujarat, die Weltmeisterschaft der Juniorinnen mit zehn von elf möglichen Punkten. Sie war haushohe Favoritin, aber diesem Druck, zumal im eigenen Land, muss man erst einmal standhalten. Es gelang der Inderin überzeugend. Im August 2024 übernahm Divya erstmals die Spitzenposition in der Weltrangliste der Juniorinnen. Im September kamen zwei Goldmedaillen bei der Schacholympiade hinzu im Team und am dritten Brett. Die gemischte Teamwertung nach der Schachlegende Nona Gaprindashvili benannt, gewann Indien ebenfalls. Ihre Elozahl schraubte die Inderin von 2420 im Januar 2024 auf 2490 in der Dezemberliste

Divya und ihre Mutter. Fide Chess GP Shymkent Foto: Konstantin Chalabov (Fide Chess)

Trotz harten Schachtrainings seit ihrer Kindheit absolvierte Divya ihre Schulprüfungen und in 2024 kamen ihre Examina in der Oberprimarstufe 12 hinzu. Ihre Eltern sind Doktoren, was in Indien kein seltener Background bei Schacheltern zu sein scheint. Ihre Mutter Namratha gab ihren Job auf als Divya etwa fünf Jahre alt war, um die Schachkarriere ihrer jüngsten Tochter zu fördern, als Chess Mom. Sie begleitete seither meist ihre Tochter. Divya wurde von der Schule ebenfalls unterstützt, indem ihre Ausfallzeiten für die Teilnahme an Schachturnieren und Trainings toleriert wurde. In einer Frühphase ihrer Karriere war Divya jeden Monat für eine Woche in Chennai in der Schachakademie von Ramesh RB und seiner Frau Aarthie Ramaswamy. Mit 14 Jahren sagte Divya in einem Interview mit Sagar Shah, dem Gründer von Chessbase India, dass ihre Karriereplanung wie die von Hou Yifan aussieht: Zunächst will sie Weltmeisterin werden und dann ein Studium starten.

Foto: Lennart Ootes (Tata Steel India 2024) von

Historisches Foto (Berlin 1918)

Von Thorsten Cmiel

Die Idee der Lasker Aufgaben ist es, einmal in der Woche, in der Regel an Sonntagen, einige wenige Schachaufgaben unterschiedlicher Art an alle Interessierten des Vereins Lasker Köln zu verschicken. Es wird Taktikaufgaben und immer wieder auch mal Fragen zum Endspiel geben. Der Schwierigkeitsgrad wird unterschiedlich sein, damit für Spieler jeder Mannschaft und Spielstärke etwas dabei ist. Die Lösungen gibt es zwei Tage später. Los geht’s.


1. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?


2. Aufgabe: Wie sollte Schwarz hier fortsetzen?


3. Aufgabe: Was kann man Weiß am Zuge hier empfehlen?


4. Aufgabe: Weiß ist am Zuge. Findet den besten Zug.

Wer Spaß am Lösen von Schachaufgaben hat, der wird ab 2025 hier in der Schachakademie immer wieder fündig werden. Für den Anfang findet ihr unter den Links weitere Aufgaben und einige Hinweise darauf wie schwer Schachaufgaben sein sollten.


Historisches Foto (Berlin 1918) Von Thorsten Cmiel Die Idee

Foto: Maria Emelianova für Freestyle Chess.

Die Schachwelt steht nicht vor der Spaltung wie viele Medien zurzeit immer wieder mutmaßen. Aber für ein neues Drama und eine Machtprobe genügt es wenn der bekannteste Spieler der Welt, Magnus Carlsen, auf Konflikt aus ist. Was ist los und worum geht es?

Von Thorsten Cmiel

Gründung im Juli 2024

Im Februar 2024 organisierte Jan Henric Buettner, ein Hamburger Unternehmer, ein Turnier in Weissenhaus. Gespielt wurde in seinem Luxusressort in Ostholstein. Spieler und Journalisten waren begeistert von der erstklassigen Hospitality. Buettner fand Gefallen an dem Schachevent, das ihn nach eigener Auskunft etwa zwei Millionen Euro gekostet haben dürfte. Er wollte mehr und Magnus Carlsen war ebenfalls dabei. Am 25. Juli gab das Projekt in einer Pressemeldung die Gründung eines neuen Unternehmens, der Freestyle Chess Operations GmbH mit Sitz in Hamburg, bekannt. Angesiedelt ist die Gesellschaft inzwischen an einer erstklassigen Hamburger Adresse. Beteiligt sei die Left Lane Capital, ein Risikokapitalgeber in New York, der zwölf Millionen US-Dollar beigesteuert habe. Angekündigt wurde eine Turnierserie für Spitzenspieler, der Freestyle Chess Grand Slam. Das Startkapital solle für das Etablieren der Turnierserie dienen. Man wolle die Schachwelt revolutionieren und ein neues Kapitel in der Schachgeschichte schreiben, so die Ankündigung. Harley Miller, CEO and Managing Partner von Left Lane Capital, sah sogar das Potential ein Mainstream Sport Event vergleichbar mit der Formel 1 und der ATP Tennis Tour zu schaffen.

Es ist nicht untypisch in der Geschäftswelt und bei Startups sehr laut aufzutreten. In der Schachwelt sind solche Töne allerdings eher selten und werden in der Regel aus Erfahrung ähnlicher Ankündigungen in der Vergangenheit von den meisten Beobachtern mit Skepsis gesehen.

Die weltbesten Spieler stehen im Mittelpunkt dieser neuen, massentauglichen Schachserie, bei der neun Supergroßmeister von Magnus Carlsen handverlesen werden, der sich verpflichtet hat, Freestyle Chess ausschließlich bei der Grand Slam-Serie zu spielen. Alle Turniere werden in exklusiven Veranstaltungsorten mit einer Aura von Luxus und Stil ausgetragen, wobei alle Partien nach den chess960-Regeln gespielt werden. Freestyle Chess hatte bereits ein Turnier im Februar als Blaupause, das die Messlatte hoch ansetzte.“ (Pressemeldung vom 25. Juli 2024)

„Schach muss sich zu einem dynamischeren und fesselnderen Spektakel entwickeln, das es den Spielern ermöglicht, ihr Können vom ersten Zug an unter Beweis zu stellen.

Magnus Carlsen.“


Ankündigung Tour und Auftaktevent im Oktober 2024

Am Rande der Global Chess League in London gab Jan Henric Buettner Sagar Shah von Chessbase India im Oktober 2024 ein kurzes Interview und kündigte einen Showkampf in Singapur an. Magnus Carlsen und Fabiano Caruana sollten vor dem WM-Kampf gegeneinander antreten und für Freestyle Schach werben. Zudem sollte eine Pressekonferenz mit mehr spannenden Informationen stattfinden. Buettner habe die Termine mit der FIDE abgestimmt und kündigte fünf Events für 2025 an.

Inzwischen sind die Termine und Turnierorte bekannt. Gespielt werden sollen 2025 fünf Turniere in Weissenhaus, Paris, New York, Delhi und Kapstadt. Die Termine finden sich auf der Homepage. In der Pressemeldung vom Juli 2024 war noch von sechs bis acht Turnieren pro Jahr die Rede. Der Preisfonds ist üppig und solle 750.000 US-Dollar für die ersten drei Turniere und dann eine Million pro Turnier betragen, so hieß es in der ursprünglichen Pressemeldung.


Eskalation im November 2024

Mit hohem Aufwand präsentierte das Freestyle Projekt seine Pläne in Singapur. Die Location war gewohnt für Buettner-Projekte erstklassig, so wurde auf einer Yacht und aus Sicherheitsgründen in einem Tresor mit einem Tisch aus Gold gespielt. Spektakulär und präsentiert von Sagar Shah und seinem Team. Als Moderatorin war die Inderin Tania Sachdev am Start. Magnus Carlsen und Fabiano Caruana, die Nummer Eins und Nummer Zwei der Weltrangliste spielten ihren Showkampf sogar auf einem Hoteldach und gaben anschließend zusammen mit Buettner im Ritz Carlton Hotel eine Pressekonferenz. Die geriet allerdings trotz allen Aufwands zu einem medialen Nichtereignis. Lag es daran, dass der Weltschachbund sich nicht an Absprachen gehalten hatte und Ex-Weltmeister Vishwanathan Anand die gemeinsame Veranstaltung kurzfristig absagte? So hört man es zumindest aus einem Lager. Ist diese Erklärung plausibel, denn schließlich hatte man den größten Spieler aller Zeiten auf der Bühne und das sollte für Presseaufmerksamkeit eigentlich ausreichen. Erste Irritationen.

Die Nachricht auf X vom 24. November 2024 ist von Magnus Carlsen mit einer Provokation überschrieben. Freestyle Schach sei größer als Klassisches Schach. Die Reaktionen unter dem Tweet sind gespalten. Die Kritik am klassischen Schach kann man auch im Video im O-Ton von Magnus hören und sehen. Solch ein Statement wirkt nicht angebracht angesichts des am nächsten Tag beginnenden Weltmeisterschaftskampfes zwischen dem chinesischen Titelverteidiger Ding Liren und dem indischen Herausforderer Gukesh. Ist das eine Retourkutsche oder eine Provokation?


Hinter den Kulissen kracht es

Inzwischen weiß die Öffentlichkeit mehr über den Konflikt auch wenn die Fakten nicht sicher sind und es davon abhängt welcher Seite man in welchem Detail glaubt. Im Hintergrund deutet sich bereits ein Rechtsstreit zwischen FIDE und dem Freestyle Projekt an, es könnte sich also bei öffentlichen Äußerungen und Durchstechereien um ein taktische Weitergabe von Informationen handeln. Die Freestyler geben Interviews und schreiben Briefe. Emil Sutovsky, CEO der FIDE, schreibt bevorzugt Nachrichten bei X, vormals Twitter. Er ist ebenfalls nicht zimperlich, aber gibt sich öffentlich zumindest zurückhaltender.


Öffentlich wird ordentlich ausgeteilt

Erwähnt werden in einem X-Beitrag der Freestyler vom 21. Dezember 2024 Verhandlungen zwischen den Spielern und der FIDE, die zwei Tage zuvor zu einem friedlichen Ende gekommen seien. Als Verhandler werden Spieler genannt. Für diese sprechen Weltklassegroßmeister Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura, Danny Rensch, Chief Chess Officer der Plattform Chess.com, ist ebenfalls am Start. Die Freestyle GmbH wird von Buettner repräsentiert. Freestyle Chess und Chess.com hatten in Singapur ihre Kooperation angekündigt. Bei der Kooperation geht es vor allem um gemeinsames Marketing.

In dem Brief der Freestyler wird erstmals das Thema Weltmeisterschaft erwähnt. Selbstbewusst, andere werden sagen großspurig, klingt es wenn die Freestyle Organisation bekannt gibt, dass man die Weltmeistertitel gegenseitig anerkennen würde. Für den Weltschachbund, der sich bekanntlich im Besitz der Rechte an Weltmeisterschaften wähnt, kann solch eine Formulierung kaum akzeptabel sein, da sie einen Präzedenzfall schaffen würde. Das muss auch Buettner und seinem Team klar gewesen sein. Der Brief in Form einer Meldung versucht Tatsachen zu schaffen und ist eine Provokation. Vielleicht haben Buettner und Carlsen Dvorkovich unterschätzt. Der widerspricht für den Weltschachbund (FIDE) der Darstellung des Freestyle Projektes in Sachen Einigung. Im Wortlaut zitiert der Weltschachbund seinen Präsidenten:

Ich nehme die vom Freestyle Chess Players Club herausgegebene Pressemitteilung zur Kenntnis. Während mein Zitat korrekt wiedergegeben wurde, möchte ich klarstellen, dass meine Entscheidung als FIDE-Präsident auf einer direkten Kommunikation mit den Spielern beruhte. Die vollständige Pressemitteilung war jedoch nicht mit mir abgesprochen und enthält erhebliche Ungenauigkeiten, die die Situation falsch darstellen.

Die FIDE setzt sich weiterhin für Transparenz und Fairness ein, und wir werden nächste Woche eine Erklärung zu dieser Angelegenheit abgeben.

FIDE-Präsident
Arkady Dvorkovich


Gerüchteküche brodelt

Am 26. Dezember 2024 soll in New York die Schnellschachweltmeisterschaft starten. Gezielt wird zunächst die Information gestreut und dann öffentlich, dass Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura wegen des Streites mit der FIDE nicht mitspielen könnten. Das erweist sich entweder als leere Drohung oder gezielte Information, um den Streit weiter öffentlich zu machen. Man weiß es nicht. Jedenfalls spielen beide Spieler letztlich mit beim Turnier. Bei Magnus Carlsen läuft es nicht rund, diesmal. Am zweiten Tag erscheint Carlsen in Jeanshose, kassiert ein Ordnungsgeld und wird verwarnt. Der Rest geht in die jüngere Schachgeschichte als „Jeansgate“ ein. Es kommt zwei Tage später zu einer Art Burgfrieden. Was Magnus Carlsen, der den Weltschachbund übelst beschimpfte, dazu gebracht hat beim Blitzturnier wieder mitzuspielen weiß man nicht. Die Erzählung geht, dass Arkadij Dvorkovich und Henrik Carlsen auf den Superstar beruhigend eingewirkt haben.


Magnus verspürt Aufwind und legt nach

Es folgte erneut ein bemerkenswert undiplomatisches Interview mit Magnus Carlsen bei dessen Haussender „Take Take Take„. Das Interview ist kaum geeignet die Wogen zwischen FIDE und Freestylern wieder zu glätten. Im Gegenteil. Auch intern dürfte dieser Take nicht jedem im eigenen Team gefallen haben. Carlsen lobt ausdrücklich Dvorkovich und noch überraschender den CEO des Hauptsponsors der Freedom Holding, Timur Turlov, für ihr Bemühen um seinen Wiedereinstieg in das New Yorker Turnier.

Peter Heine Nielsen, Coach von Magnus Carlsen dürfte dieses Lob kaum gefallen haben. Schließlich kritisiert Nielsen beispielsweise, dass die FIDE zu viel russisches Geld einnehme im Vergleich zu anderen Finanzquellen. Turlov ist ein in Russland geborener kasachischer Unternehmer und wird von Nielsen öffentlich schon längere Zeit als russlandnah und mit Börsengerüchten um Fehlverhalten attackiert. Weltpolitik.

Bezogen auf den Konflikt zwischen FIDE und dem Freestyle Projekt erklärt Carlsen alle FIDE Offiziellen in New York uniso für nicht erwachsen. Er nimmt Dvorkovich, der gar nicht in New York anwesend ist, aus. Vishwanathan Anand, Carlsens Vorgänger als Weltmeister und aktueller Vizepräsident der FIDE, versuchte Magnus’s Vater von einer Rückkehr ins Turnier zu überzeugen. Auch den nimmt er nicht aus von seiner Kritik. Anand ist ebenfalls in dem virtuellen Freestyle Spielerklub aufgeführt und soll im Februar in Weissenhaus mitspielen, was später noch eine Rolle spielt. Überflüssigerweise griff er Anand sogar persönlich in seiner Rolle als FIDE-Vizepräsident an. Dieser Aspekt interessiert später indische Medien. Anand gibt sich allerdings nicht die Blöße sich zu Carlsens Verbalattacken zu äußern. Er ignoriert seinen Nachfolger.


Fabianos Sicht im C-Squared Podcast

Fabiano Caruana macht sich nicht die Wortwahl von Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura zu eigen. Die beiden hatten von Erpressung der Spieler gesprochen. Es ging dabei um Klauseln, die von den Spielern bei Turnieren unterzeichnet worden waren und diese für einen längeren Zeitraum an die FIDE bindet. Aus Sicht der Freestyler sind solche Klauseln nichtig oder in jedem Fall wegen des Ausnutzens der eigenen Marktmacht angreifbar. Für Caruana war vor allem wichtig, dass er sanktionsfrei seinen Terminkalender für das nächste Jahr planen konnte. Er hatte sich kurz vorher als erster Spieler für das Kandidatenturnier 2026 qualifiziert. In die Abläufe bei der Freestyle Organisation sei er nicht eingebunden und scheint darauf auch Wert zu legen.

Wörtlich sagt Caruana (hier in deutscher Übersetzung):
Ich möchte nur eine Sache sagen, denn es gab diese ganze Freestyle-Drohung, wo Spieler bedroht wurden oder nicht. Ich meine ich würde nicht sagen, dass ich bedroht wurde. Ich habe keine solchen Worte benutzt, mir wurde es so erzählt und dass ich keine ausgefallenen Adjektive benutzen werde. Mir wurde ganz konkret gesagt, nachdem Freestyle angekündigt hatte, dass sie nächstes Jahr die Weltmeisterschaft ausrichten würden, die Freestyle-Weltmeisterschaft, dass ich aufgrund eines Vertrags, den ich in der Vergangenheit für Kandidaten unterschrieben habe, rechtlich nicht berechtigt sei, an einer Schachweltmeisterschaft teilzunehmen.

Weiter sagt Fabiano im Video, dass er eine Zusage von Arkadij (Dvorkovich) erhalten habe bei Teilnahme nicht bestraft zu werden. Das Statement (vom 21. Dezember 2024) von Freestyle habe er als Erklärung verstanden, die aber noch recht vage klang, ihm aber Sicherheit gab.


Arkady Dvorkovich im Interview (15. Januar 2025)

Der FIDE-Präsident gab Sagar Shah von Chessbase India ein Interview und ging dabei auch auf Fragen zur Situation mit Freestyle Schach ein. Das Statement von Dvorkovich passte zu seinen bisherigen Einlassungen zum Thema. Unter anderem verteidigte er Sutovsky als Teil seines Teams. Man solle ihn stattdessen attackieren. Ein Angebot, das vierzehn Tage später von den Freestylern aufgegriffen wurde.


FIDE Statement vom 21. Januar 2025

Die FIDE hat sich einen Monat Zeit gelassen für ihr nächstes Statement als Reaktion auf die Pressemeldung der Freestyler vom 21. Dezember 2025. Überraschend ist daran allerdings nichts und die Position ist gut nachvollziehbar.

FIDE-Erklärung zum „Freestyle Chess“-Projekt (in deutscher Übesetzung)

Im Hinblick auf die jüngsten Mitteilungen des „Freestyle Chess Players Club“ („FCPC“) erklärt die FIDE Folgendes:

Der Internationale Schachverband (FIDE) ist der einzige international anerkannte Dachverband des Schachs (insbesondere durch das Internationale Olympische Komitee), der alle offiziellen internationalen Schachwettbewerbe regelt. Obwohl wir immer offen für die Zusammenarbeit mit privaten Organisationen und Initiativen innerhalb der Schachgemeinschaft waren, behält die FIDE ihre wichtigste Rolle in Bezug auf die Regeln, Titel und Wertungen. Der Status der FIDE und ihre globale Verantwortung gegenüber der Schachgemeinschaft sind eindeutig und nicht verhandelbar.

Die FIDE hat nichts dagegen, dass kommerzielle Plattformen, Projekte oder privat geführte Vereine wie der FCPC in eigener Angelegenheit mit Spielern in Kontakt treten. Die Versuche des FCPC, sein Projekt als Weltmeisterschaft zu präsentieren, stehen jedoch im Widerspruch zum etablierten Status der FIDE und ihrer Autorität über Weltmeistertitel in allen relevanten Varianten des Schachs – einschließlich Chess960/Freestyle Schach, wie im FIDE-Handbuch dargelegt.

Darüber hinaus bedroht die vom FCPC eingeschlagene Vorgehensweise die Erfüllung der bestehenden vertraglichen Verpflichtungen der Spieler gegenüber der FIDE. Die vom FCPC-Projekt unternommenen Schritte führen zwangsläufig zu Spaltungen in der Schachwelt – und wir erinnern uns nur zu gut an die unglücklichen Folgen einer ähnlichen Spaltung, die in nicht allzu ferner Vergangenheit stattfand.

Obwohl der formale Status der Freestyle Chess Serie 2025 noch nicht feststeht, möchte die FIDE sicherstellen, dass alle Spieler ihren Zeitplan für 2025 planen können. Aus diesem Grund hat die FIDE aus Kulanzgründen und um den Spielern für die unmittelbare Zukunft ausreichend Sicherheit zu geben, beschlossen, die Freestyle Chess-Serie 2025 in den Kalender aufzunehmen und sich nicht auf einschlägige rechtliche Klauseln in bereits unterzeichneten Verträgen über die Teilnahme von Spielern an Freestyle-Veranstaltungen 2025 zu berufen.

Nichtsdestotrotz behält die FIDE alle ihre Rechte in Bezug auf den Weltmeisterschafts-Titel und wird bereit sein, gegen Organisatoren und Initiatoren von Serien vorzugehen, die beschließen, sich ohne die Zustimmung der FIDE als „Weltmeisterschaft“ zu bezeichnen.

Wir sind offen für einen Dialog und freuen uns darauf, eine für beide Seiten akzeptable Vereinbarung zu treffen, vorausgesetzt, dass die Führungsrolle und die bewährte Autorität der FIDE über die Weltmeisterschaften von den potenziellen Partnern respektiert wird.

Sollte eine solche Vereinbarung nicht zustande kommen, fordert die FIDE, dass die Freistilserie nicht den Status einer „Weltmeisterschaft“ erhält. Die FIDE wird nicht zögern, alle rechtlichen Mittel gegen diejenigen einzusetzen, die ihre Rechte verletzen – seien es die Initiatoren, Organisatoren und/oder Investoren des Projekts.

Da der Weltmeisterschaftszyklus 2025-2026 im Gange ist, wird von allen qualifizierten Spielern erwartet, dass sie einen zusätzlichen Vertrag unterzeichnen, der eine Klausel enthält, die besagt, dass die Teilnahme an alternativen Schachweltmeisterschaften in einer nicht von der FIDE genehmigten Schachvariante (mit Ausnahme der Freestyle-Tour im Jahr 2025) zum Ausschluss aus den beiden aufeinanderfolgenden FIDE-Weltmeisterschaftszyklen führen würde.

Als Teil der Verträge verpflichtet sich die FIDE, die Turniere auf höchstem Niveau und mit wesentlich höheren Preisgeldern auszutragen – die Termine und Orte werden im FIDE-Kalender veröffentlicht.


Buettner bereit zum Krieg

Die Rhetorik entgleitet dem Freestyle Chef zusehends. Der Ton wird rauer und die Angriffe persönlicher. Am 28. Januar 2025 veröffentlicht Chess.com einen Artikel von Tarjei Joten Svensen, einem norwegischen Schachjournalisten in Diensten von Chess.com. Svensen berichtet über Angriffe gegen Dvorkovich, die Jan Henric Buettner gegenüber dem norwegischen Sender NRK und einem anderen Newsoutlet (VG) geäußert habe. Buettner reagiert damit laut Svensen auf die Erklärung der FIDE.


Jan Henric Buettner (zitiert nach Tarjei J. Svensen )

Ich denke, es ist unglaublich lächerlich. Ich habe es kommen sehen, also war es nicht überraschend, aber trotzdem lächerlich.

Wir sind zum Krieg bereit, aber wenn die FIDE bereit ist, etwas Vernunft an den Tag zu legen, sind wir bereit, mit ihnen zu sprechen.

Sie können es nicht urheberrechtlich schützen. Jeder kann es organisieren und sie wissen, dass sie uns nicht aufhalten können.

Ich denke, das wird dazu führen, dass sich die Spitzenspieler gegen sie zusammenschließen. Und es kann dazu führen, dass die gesamte FIDE-Organisation auseinander fällt.

Freestyle Chess habe 100.000 Dollar für die Verwendung des Titels „Weltmeisterschaft“ angeboten. Die FIDE verlangte 500.000 Dollar pro Jahr sagte Buettner gegenüber dem Fernsehsender NRK. Seit dem 9. Dezember habe er, Buettner, keinen Kontakt mehr mit FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich gehabt, so Svensen. (Möglicherweise ist der 19. Dezember gemeint, denn da gab es laut Freestyle eine Einigung mit der FIDE.)


Emils Statements (Auswahl)


Emil Sutovsky reagierte sofort bei X, vormals Twitter, auf die via Chess.com verbreitete mediale Attacke. Zudem erinnert er nochmals an die unhöflichen Worte von Magnus Carlsen an seine Adresse und gegenüber seinem Arbeitgeber.


Der offene Freestyler Brief vom 28. Januar 2025

Der offene Brief vom 28. Januar 2025 in deutscher Übersetzung

Lieber Emil,

im vergangenen Jahr haben du, Arkady und die FIDE einen langen Weg zurückgelegt – von deinen Opernarien, die du mir am Telefon vorgesungen hast, über deine Anfrage, die FIDE-Schach-960-Weltmeisterschaft letztes Jahr in Weissenhaus auszurichten, bis hin zu Arkadys stundenlangen Treffen mit Henrik und mir in London, um die Turnierpläne zu koordinieren und sicherzustellen, dass die Spieler keine Terminüberschneidungen haben.

Die Zusammenarbeit wird jedoch immer angespannter. Eine bemerkenswerte Ausnahme war die Einladung von Arkady an Magnus und Fabiano, ein Freestyle Summit in Singapur zu spielen, allerdings wurden wir dann bei unserer Ankunft ignoriert und abweisend behandelt. Es scheint, dass die „good cop (Arkady) / bad cop (Emil)“ Taktik der FIDE zum Scheitern verurteilt war. Jetzt scheint die FIDE dieses Spiel völlig aufgegeben zu haben und eine konfrontative Haltung gegenüber den Spielern einzunehmen. Ich halte diese Wende für kontraproduktiv. Anstatt konstruktiv mit uns, den Organisatoren der Freestyle Chess Grand Slam Tour, zusammenzuarbeiten, hat die FIDE genau die Spieler verprellt, die ihr größtes Kapital sind. Nichtsdestotrotz ist Freestyle weiterhin offen für den Dialog und bemüht, mit der FIDE zusammenzuarbeiten, um unnötige Konflikte zu vermeiden.

Um es noch einmal klarzustellen: Unsere Tour ist keine „Weltmeisterschaft“ im traditionellen Sinne, wie ich sowohl Arkady als auch Vishy erklärt habe. Sie trägt den Titel „Freestyle Chess Grand Slam Tour“. Am Ende jedes Jahres krönen wir einen Champion im Freestyle Chess – ein Format, das sich in Zukunft weiterentwickeln könnte, möglicherweise über Chess960 hinaus zu anderen neuen Formaten, aber nicht zum klassischen Schach.

Der Titel „Weltmeister“ spiegelt in diesem Zusammenhang das einzigartige Format unserer Veranstaltungen wider und stellt keinen Versuch dar, den traditionellen Weltmeisterschaftszyklus der FIDE in Frage zu stellen. Wenn die FIDE wirklich ein Problem mit der Verwendung des Begriffs „Weltmeisterschaft“ hat, müsste sie ähnliche Fälle ansprechen, wie die Tandem-Weltmeisterschaft, an der sogar Spieler wie Ding Liren teilgenommen haben. Dennoch hat die FIDE weder Ding noch andere für ihre Teilnahme bestraft. Diese Inkonsequenz offenbart das wahre Motiv hinter den Handlungen der FIDE: Geld.

Obwohl Freestyle bereit war, der FIDE 100.000 US-Dollar pro Jahr anzubieten – als reine Geste des guten Willens und um Schikanen zu vermeiden – wurde dies abgelehnt. Die Forderung der FIDE nach 500.000 US-Dollar, eine ungerechtfertigte Summe für ein Format, an dem sie nicht beteiligt ist, deutet darauf hin, dass der finanzielle Gewinn der Hauptgrund ist. Unsere Sponsoren, von denen viele es vorziehen, jede Verbindung mit der FIDE zu vermeiden, unterstützen unsere Entscheidung, unabhängig zu bleiben.

Die jüngsten Maßnahmen der FIDE, wie die Androhung von Sanktionen gegen Spieler und die Forderung, Vereinbarungen unter unangemessenem Druck und ohne Rechtsbeistand zu unterzeichnen, sind zutiefst beunruhigend. Das ist weder ethisch noch professionell. Die FIDE versucht, ihre marktbeherrschende Stellung auszunutzen, um Spieler unter Druck zu zwingen, sich zu unterwerfen. Solche Taktiken sind inakzeptabel und Freestyle wird weiterhin die Interessen der Spieler gegen diesen Machtmissbrauch verteidigen.

Im Gegensatz zur Vorgehensweise der FIDE stehen bei Freestyle die Spieler im Vordergrund. Deshalb haben wir einen Anwalt eingeschaltet, um sie vor dem überzogenen Vorgehen der FIDE zu schützen. Kein Spieler hat seine Pflichten verletzt, sondern die FIDE hat sich unangemessen verhalten. Freestyle konzentriert sich weiterhin darauf, ein positives Umfeld für die Spieler zu schaffen, damit sie sich ohne unnötige politische Einmischung auf ihre Partien konzentrieren können.

Zusammengefasst:

  • Freestyle konkurriert nicht mit FIDE und behauptet auch nicht, „größer als FIDE“ zu sein.
  • FIDE besitzt nicht die Rechte an allen schachbezogenen Aktivitäten und hat auch keine ausschließliche Autorität über das Wort „Welt“.
  • Freestyle möchte Frieden, keinen Streit. Wir sind weiterhin bereit, jährlich 50.000 US-Dollar an die FIDE zu zahlen, um sicherzustellen, dass die Spieler ungestört bleiben.
  • Sollte die FIDE ihre Schikanen fortsetzen, wird Freestyle die Spieler mit allen Mitteln verteidigen.

Anstatt die Situation eskalieren zu lassen, fordere ich die FIDE auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und konstruktive Gespräche zu führen. Spieler zu belästigen, zu bedrohen oder zu sanktionieren ist nicht nur kontraproduktiv, sondern untergräbt auch die Grundsätze des fairen Wettbewerbs und des Respekts für die Schachgemeinschaft.

Ich stehe dir oder Arkady jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Jan

Anmerkung: Diesen Brief mit den am gleichen Tag öffentlich gewordenen Statements gegenüber norwegischen Medien überein zu bringen ist schwierig. Es ist wahrscheinlicher, dass der Brief von Buettners Anwälten formuliert wurde. Bemerkenswert ist, dass an diesem Tag der Zuschuss zur FIDE auf jährlich 50.000 US-Dollar reduziert werden sollte.


Emils Antwort vom 28. Januar 2025

Emils Antwort in deutscher Übersetzung

Ich habe mehrmals mit Herrn Büttner gesprochen und immer meine positiven Gefühle über das Projekt zum Ausdruck gebracht. Das erste Mal in einem zweistündigen Gespräch direkt nach ihrer Auftaktveranstaltung. Es war mehr als freundlich und wir begannen nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu suchen, obwohl er offen sagte: „Wir brauchen die FIDE nicht für dieses Projekt und wir müssen es nicht Weltmeisterschaft nennen“. Nichtsdestotrotz hatte ich eine sehr positive Einstellung gegenüber einer neuen, ambitionierten Person in der Schachwelt. Ich lobte Jan öffentlich und erwähnte in meinen Interviews, dass „eine steigende Flut alle Boote anhebt“. Ich freute mich auf mehr Werbung für Schach, mehr Möglichkeiten für Spieler…

Und dann hatten wir ein weiteres Gespräch, und noch eines, und noch eines. Mehrere Monate lang diskutierten wir über eine mögliche Zusammenarbeit: die Einführung von FIDE-Ratings für Chess960, mögliche Qualifikationsturniere, Herausforderungen bei der Ausrichtung weiterer Freestyle-Veranstaltungen im Jahr 2024 („niemand will Geld in die Hand nehmen, und das Einzige, was die Inder angeboten haben, war ein Rabatt auf die Hotelkosten“), die Angleichung des Turnierkalenders im Jahr 2025. Ich teilte die Informationen offen mit und gab bereitwillig Ratschläge, wenn ich darum gebeten wurde.

Um die Bezeichnung Weltmeisterschaft ging es nie.

„Wir brauchen das nicht. Wir sind nicht die FIDE, die sich um alle kümmern muss. Wir machen unsere Tour mit den Besten.“ Schön und gut – und immer noch viel Raum für Zusammenarbeit.

Aber dann hat sich etwas geändert. Wir können nur raten, was oder wer das beeinflusst hat.

Und dann beschloss Freestyle Chess, die Publicity und das Budget der FIDE-Weltmeisterschaft in Singapur zu nutzen.

Und die Veröffentlichungen in den großen Medien wurden am Vorabend der Weltmeisterschaft organisiert und griffen sowohl das WM-Match als auch das klassische/reguläre Schach direkt an.

Und sie legten die Pressekonferenz in Singapur auf den gleichen Tag wie die Eröffnungsfeier des WM-Kampfs, und plötzlich war statt einer Freestyle Tour/Grand Slam plötzlich „Weltmeisterschaft“ angesagt.

Seitdem wurde es immer bitterer.

Ich wundere mich immer noch über diesen Sinneswandel.

Warum startet man die Serie nicht friedlich, sondern zettelt stattdessen einen solchen Kampf an, der die Schachgemeinschaft spalten soll? Ist es persönlicher Ehrgeiz? Oder die Erkenntnis, dass sich „Weltmeisterschaft“ besser verkauft? Oder der Versuch zu beweisen, dass dies DIE Weltmeisterschaft ist? Wenn ja, dann wird es nicht funktionieren.

Die FIDE war immer offen für einen Dialog, aber wir haben Verpflichtungen gegenüber der gesamten Schachgemeinschaft, und wir werden sie erfüllen.

Die Abläufe klingen hier etwas anders als sie von den Freestylern dargestellt werden, die aus ihrer Sicht auf eine unwillige Schachorganisation trafen. Als Außenstehender ist schwierig zu beurteilen ab wann das Gespann Buettner/Carlsen erstmals das Thema Weltmeisterschaft aufbrachte. Die Version von Sutovsky klingt jedenfalls genauso plausibel wie die Version der Freestyler.


Bisher unterschätzt: Der indische Take

Der indische Sportskanal Sports Today mit 559.000 Abonnenten und Teil eines indischen Mediaoutlet erklärt in dem ersten Video den 3. Februar 2025 zu einem Entscheidungstag und in einem weiteren Video wird das Risiko für Gukesh beschrieben, der Weltmeister ist. Der Moderator sieht allerdings die FIDE im Nachteil, indem er das Thema Geld in den Vordergrund stellt und den US-Streamer Nakamura zitiert. Der Moderator in Sports Today spricht von einem Bürgerkrieg.


Vishwanathan Anand ist im Januar aus dem Turnier in Weissenhaus ausgestiegen. Die Freestyler haben das nicht weiter kommentiert, sondern Anand durch den jungen Usbeken Javokhir Sindarov ersetzt. Der Hintergrund könnte der schwelende Streit zwischen dem Weltschachbund und der Freestyle-Organisation sein. Zudem hatte Magnus Carlsen sich über Anand am Tag seines Widereinstiegs in die Blitzweltmeisterschaft und dessen Rollenverständnis in der FIDE negativ geäußert. Jetzt greifen größere indische Medien das Thema auf und erklären ihren Take, die indische Sichtweise. Erwartungsgemäß wird das Thema größer aufgezogen als nur ein schnöder Kampf um Geld. In diesem Beispiel geht es nicht um FIDE gegen Freestyle, sondern Anand gegen Carlsen. In indischer Perspektive wird der Titel des Schachweltmeisters angegriffen. Die Moderatorin von Firstpost weist auf das Highlander-Motto hin. Es kann nur einen geben. Und der ist momentan ein Inder.


Litigation Kampagne

Als Teil ihrer Kampagne im Rahmen des heraufziehenden Streites hatten die Freestyler Journalisten und andere Influencer im Vorfeld immer wieder gebrieft. Das ist nicht ungewöhnlich in einem öffentlich vorbereiteten Rechtsstreit. In einer Litigation Kampagne geht es darum, die öffentliche Meinung auf die eigene Seite zu ziehen und die eigenen Interessen möglichst umfänglich durchzusetzen. Ein Ziel dieser Kampagne war es beispielsweise, der interessierten Öffentlichkeit zu verkaufen, es ginge der gierigen FIDE nur um Geld. Dem hatte Dvorkovich bereits früh widersprochen.

Ein anderer Versuch bestand darin, öffentlich Zweifel an den Erfolgsaussichten eines Rechtsstreites zu streuen. In einem Beitrag für die FAZ hinter einer Bezahlschranke erinnert Stefan Löffler am 28. Januar an frühere ähnliche Streitigkeiten:


„2022 änderte die Plattform Chess.com eine angekündigte WM in „Global Chess Championship“. Inoffizielle Weltmeisterschaften in mehreren Schachvarianten duldet die FIDE aber ebenso wie von der deutschen Firma Amateur Chess ausgerichtete Amateurweltmeisterschaften.“

Für Buettner sei eine auf Sportrechte spezialisierte Kanzlei tätig. Löffler fasst seine Recherchen im Sportrecht so zusammen:
“ Die Rechtsprechung scheint Buettners Sicht zu bestätigen. Der Deutsche Ringerverband musste Sperren in einer unabhängigen Liga aktiver Ringer aufheben. In zwei Urteilen zeigte der Europäische Gerichtshof Ende 2023 auf, wie UEFA, FIFA und der Eislaufverband ISU ihre dominante Position missbrauchten. Einen einschlägigen Erfolg im Profisport kann die von Buettner beauftragte Kanzlei Quinn Emanuel vorweisen. 2022 brachte sie Sperren der PGA Tour gegen Golfer, die bei der saudisch finanzierten Konkurrenz LIV Tour antraten, zu Fall.“  FAZ vom 28. Januar 2025: „Das steckt hinter dem Streit um die Schach-WM“.

Einen interessanten Aspekt einer möglichen Kompromisslinie arbeitet Löffler allerdings nicht weiter heraus: Die ACO, die Amateur Chess Organisation, nennt ihre Turniere ACO Weltmeisterschaften. Vielleicht wäre eine ähnliche Lösung eine Möglichkeit gewesen den eskalierenden Streit zu vermeiden. Der Veranstaltungstitel wäre dann „Freestyle World Championship“ und der Bezug zum Schach wäre im Namen der Organisation verschwunden. Die Freestyler wollen aber ihr Turnier anders nennen: Die Freestyle Chess World Championship (FCWC) soll es sein und das haben sie so in ihre Regularien geschrieben. Ein anderer Fall: 2022 hatte ein kurzer Streit der Schachplattform Chess.com noch einen Rückzieher gemacht. Man konnte das Turnier analog auch Freestyle Global Chess Championship nennen. Aber das hat möglicherweise einem nicht zugesagt, wie Sutovsky in einem seiner zahlreichen Tweets spekuliert?


Einen Tag vor dem angekündigten Showdown am 3. Februar 2025 meldet Tarjei J. Svensen, ein Journalist auf der Gehaltsliste von Chess.com, dass die Angelegenheit wohl bereinigt sei und Freestyle sich durchgesetzt habe. Dieses Gerücht erweist sich erneut als gezielte Fehlinformation oder zu frühe interne Erfolgsmeldung der Freestyler.


Die Antwort der FIDE

Der Weltschachbund reagiert scheinbar auf Svensens voreilige Wasserstandsmeldung und vermeldet morgens, dass es erneut zu keiner Einigung gekommen sei. Eine vollständige Erklärung wird für einen späteren Zeitpunkt am gleichen Abend angekündigt. Im Wortlaut heißt es zunächst: (hier in deutscher Übersetzung)

FIDE und Freestyle Chess Tour: Keine Einigung über die Anerkennung der Weltmeisterschaft

Trotz intensiver Verhandlungen gibt der FIDE-Rat an, dass es derzeit keine Einigung bezüglich der Freestyle Tour gibt. Dies liegt daran, dass die andere Partei den Status der FIDE als alleiniger Regulierer der Schachweltmeisterschaften und ihre Befugnis, einen Weltmeistertitel zu vergeben, nicht anerkennt. Eine vollständige Erklärung der FIDE zu dieser Angelegenheit wird heute nach 19:00 Uhr MEZ veröffentlicht.


FIDE Präsident Arkadij Dvorkovich

Dvorkovich erklärt kurz, dass er keine Vereinbarung mit der Freestyle Organisation unterschreiben wird. Er nimmt dabei Bezug auf persönliche Angriffe gegen sich selbst und sein Team. Das würde seiner Erziehung und seinen Werten widersprechen.



Antwort bereits vor dem Statement

Es wird immer schmutziger. Bevor die FIDE mit ihrem Statement herauskommt, gibt es wieder einen offenen Brief von den Freestylern. Jan Henric Buettner zitiert ohne Kontext aus einer privaten Whatsapp Konversation zu den Einigungsversuchen mit Dvorkovich, dem er den Rücktritt anrät aufgrund eines Mangels an Führungsstärke. Auf sein Wort sei kein Verlass, so Buettner. Es klingt so als haben hier zwei aneinander vorbei geredet. Im weiteren Text erläutert Buettner wie er den Verlauf der Gespräche bewertet und sieht Dvorkovich als unzuverlässigen Verhandlungspartner. Die gleiche verfahrene Situation ereigne sich bereits zum dritten Mal. Im Auftrag der Spieler hätten die Freestyler um eine Verlängerung der Frist bis zum 15. Februar gebeten, heißt es. Damit die Spieler sich auf das Turnier in Weissenhaus konzentrieren und eventuell Rechtsanwälte konsultieren können. In den laut Buettner bereits vereinbarten Regelungen stehen mehrere Aspekte auf die man sich geeinigt habe. Eine angemessene Kommunikation und Respekt gegenüber der FIDE steht ganz oben. Weiter unten findet sich ein Hinweis auf das Sponsoring eines von der FIDE ausgewählten Turniers in Höhe von 300.000 US-Dollar. Sowie die Teilnahmemöglichkeit für die Hälfte der Teilnehmer ermittelt in einer Qualifikation.

Dann zeigen die Freestyler Nerven, trotz der aus ihrer Sicht eindeutigen Rechtslage. Aus Angst um ihr Turnier in wenigen Tagen in Weissenhaus gibt Buettner einer Forderung der FIDE nach. Am 3. Februar habe man entschieden, man verzichte auf den Titel Weltmeisterschaft, vorerst, für zehn Monate. Dadurch dürfte das Durchführen des Turniers in Weissenhaus in vier Tagen gesichert sein. De facto erkennt Buettner damit eine Teilniederlage an, auch wenn er es als Rettungsaktion für die verunsicherten Spieler verkauft. Buettner will die Regeln anpassen. Anmerkung: Beim Abrufen der Offiziellen Regeln am 3. Februar 2025 um 17.49 Uhr deutscher Zeit, steht dort immer noch das Regelwerk zur Freestyle Chess World Championship. Das dürfte sich allerdings bald ändern, auch wenn Buettner auf seine Website selbst verweist und das noch einen nicht unerheblichen Widerspruch darstellt. Zum Schluss weist Buettner erneut auf einen anstehenden Rechtsstreit hin, er werde jetzt seine Anwälte einschalten, da weitere Verhandlungen nutzlos seien.



UPDATE (04.02.2025): Inzwischen steht in den Regularien Freestyle Chess Grand Slam Tour. Das genügt der FIDE.



FIDE Statement vom 3. Februar 2025

In den letzten Tagen hat die FIDE ausführliche Gespräche mit der „Freestyle Chess Tour“ über die mögliche Anerkennung ihrer Veranstaltung als Weltmeisterschaft geführt. Trotz unserer Bereitschaft zur Zusammenarbeit – einschließlich eines Verzichts für die Teilnehmer des geplanten Wettbewerbs 2025, eines Verzichts auf die Gebühr für die Ausgabe 2025 und der Forderung nach einem Ende der unbegründeten Anschuldigungen gegen die FIDE und der Untergrabung des klassischen Schachs – wurde keine Einigung erzielt.

Die „Freestyle Chess Tour“ hat sich entschieden, die bestehende Autorität der FIDE in Bezug auf den Weltmeistertitel nicht anzuerkennen, und hat sich dafür entschieden, ein privat organisiertes Turnier zu bleiben, an dem hauptsächlich handverlesene Elitespieler teilnehmen, anstatt einen offenen und transparenten Qualifikationsprozess durchzuführen.

Eine echte Weltmeisterschaft muss inklusiv sein, mit transparenten Qualifikationswegen, die den Regeln und Vorschriften der FIDE folgen, die mit dem Konsens der globalen Schachgemeinschaft festgelegt wurden, wie im FIDE-Weltmeisterschaftszyklus zu sehen ist. Ohne diese Grundsätze ist die Integrität des Titels in Gefahr.

In Anbetracht dessen müssen Spieler, die an der Freestyle Chess Tour 2025 teilnehmen möchten, die Verzichtserklärung bis zum 4. Februar 2025, 18:00 Uhr MEZ, unterzeichnen, um für den offiziellen FIDE-Weltmeisterschaftszyklus zugelassen zu bleiben. Wir weisen darauf hin, dass dieses Dokument den Spielern keine neuen Anforderungen auferlegt, sondern ihnen eine einmalige Ausnahme von ihren bestehenden vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der FIDE gewährt. (Deutsche Übersetzung)

In dem Statement der FIDE klingt manches anders als bei den Freestylern. Zwei Punkte sind herauszuheben: Die Freestyler wollten die FIDE nicht anerkennen. Die Veranstaltung ist aus Sicht der FIDE gegen die klassische Weltmeisterschaft, das größte Asset des Weltschachbundes, konzipiert.


Carlsen mit direkter Attacke auf Dvorkovich

Der neue Standard im Weltschach scheint es zu sein, interne Diskussionen und ohne wirklichen Kontext öffentlich zu machen. das soll die Glaubwürdigkeit des Gegenüber erschüttern. Carlsen will einen Wortbruch beweisen, man kann die Hinweise aber auch so sehen, dass Dvorkovich sein Versprechen, in 2025 keinen Spieler für die Teilnahme am Freestyle-Turnier zu bestrafen, einhält. In der Diskussion hatte er ausdrücklich eine Einigung als noch nicht sicher bezeichnet. Die Freestyler scheinen anzunehmen, dass Dvorkovich das Gremium der FIDE falsch informiert hat.


„Ich kenne keine Kompromisse. Wenn ich etwas machen will, dann muss es perfekt sein. Da ist es wirklich egal, was es kostet. Wenn es nicht perfekt ist, mache ich es nicht“, sagt Jan Henric Buettner, die treibende Kraft hinter den Freestyle Chess Events. Zitiert aus einem Porträt Artikel über Buettner

von TJ Svensen vom 29.1.25.


UPDATE
Am 4. Februar 2025 kamen diese TAKE TAKE TAKE Clips heraus.

Foto: Maria Emelianova für Freestyle Chess. Die Schachwelt

Historisches Foto (Berlin 1918)

Von Thorsten Cmiel

Die Idee der Lasker Aufgaben ist es, einmal in der Woche, in der Regel an Sonntagen, einige wenige Schachaufgaben unterschiedlicher Art an alle Interessierten des Vereins Lasker Köln zu verschicken. Es wird Taktikaufgaben und immer wieder auch mal Fragen zum Endspiel geben. Der Schwierigkeitsgrad wird unterschiedlich sein, damit für Spieler jeder Mannschaft und Spielstärke etwas dabei ist. Die Lösungen gibt es zwei Tage später. Los geht’s.


1. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?

Diese Stellung stammt aus dem Social Media Kanal von Jan Timman. Das sagt schon alles. Schwierig, denn es handelt sich um den Teil einer Studie. Ich wünsche freudiges Lösen. Sonntage sind überschätzt.


2. Aufgabe: Wie sollte Schwarz hier fortsetzen?

Diese Stellung stammt aus einer Partie zweier Isländer und wurde von dem Schwarzspieler in seinem Social Media Kanal veröffentlicht. Er scheiterte daran den besten Zug zu spielen und die Partie endete Remis. Ich habt natürlich mehr drauf.


3. Aufgabe: Was kann man Weiß am Zuge hier empfehlen?

Die Idee für diese Stellung stammt aus dem Social Media Kanal von Igor Smirnov. Viel Erfolg.


4. Aufgabe: Weiß ist am Zuge. Findet den besten Zug.

Ein Fund auf Social Media im Kanal von Maurice Ashley. Was kann Weiß noch unternehmen? Und wie ist die Stellung nach dem besten Zug zu bewerten? Die Lösung ist nicht allzu schwierig zu entdecken, aber schick und lehrreich allemal.

Wer Spaß am Lösen von Schachaufgaben hat, der wird ab 2025 hier in der Schachakademie immer wieder fündig werden. Für den Anfang findet ihr unter den Links weitere Aufgaben und einige Hinweise darauf wie schwer Schachaufgaben sein sollten.


Historisches Foto (Berlin 1918) Von Thorsten Cmiel Die Idee

Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit

Praggnanandhaa (19) war der erste Führende im Turnier. Dann hagelte es eine Niederlage gegen Anish Giri und der Inder verlor etwas den Kontakt zu Gukesh und Nodirbek Abdusattorov. Es folgten Siege gegen Vladimir Fedovseev, Fabiano Caruana und Alexey Sarana. Nach 12 Runden ist Pragg wieder dran.

Nach einem Blitzstart mit 3.5 aus vier hatte Pragg in der ersten Hälfte überzeugt. Lediglich sein Unentschieden gegen Nodirbek zu Beginn war etwas wackelig. Dann folgte eine Phase mit vier Remispartien in denen der Inder einiges versuchte, aber letztlich nicht erfolgreich war. In den Runden neun bis zwölf kamen vier entschiedene Partien hinzu.

(Ergebnisse: Chess-Results )

Anish Giri – Praggnanandhaa 1 – 0

Die Partie verlief lange Zeit entlang strategischer Bahnen. Der Inder hatte positionell einen nicht ganz einwandfreien Aufbau gewählt und sein Stellung krankte etwas an seinem eingemauerten Läufer auf b7 und weniger Raum. Bis dann der Niederländer eine radikale Lösung wählte und die Situation auf dem Brett sich verschärfte.


In dieser Stellung im 27. Zug konnte Weiß geduldig seinen Vorteil weiter ausbauen und seinen Springer nach d3 beordern. Weiß verfügt auf der Habenseite neben dem Raumvorteil über das Läuferpaar und der Bauer auf e3 fällt kaum ins Gewicht. Anish Giri wählte stattdessen eine radikale Lösung und nahm zunächst mit dem Springer auf d5 und rückte seinen c6-Bauern vor, um die geopferte Figur zurück zu gewinnen. Das hat allerdings den Nachteil, dass Weiß damit auf seine langfristigen strukturellen Vorteile verzichtet, um die c-Linie zu öffnen für ein vorteilhaftes Endspiel. Man könnte sagen, die Entscheidung ist zweischneidig gewesen.


Erst in dieser Stellung kippt die Partie endgültig. Nach anderthalb von zehn Minuten spielt der Inder hier den hässlichen Zug f7-f6 und es kommt zu einem schlechterstehenden Endspiel nach späteren Damentausch auf der c-Linie. Giri gibt seinem Gegner danach keine Chance mehr. Pragg sollte in der hier dargestellten Stellung den Druck des Gegners auf der langen Diagonalen ignorieren und selbst zum Gegenangriff übergehen. Schwarz konnte entweder hier seinen Springer nach b6 überführen, um diesen später nach c4 zu stellen mit Angriff auf e3 und b2. Oder er ignorierte die Bauerngabel des Gegners und zieht seinen a-Turm nach e8 und nimmt den Bauern auf e3 direkt ins Visier.


Praggnanandhaa – Vladimir Fedoseev 1 – 0

Pragg hatte in den zurückliegenden Jahren festgesellt, dass seine Physis nicht ausreichte, um das Turnier in Wijk aan Zee auf dem gleichen Level zu beenden. Besonders 2023 war das auffällig gewesen. 2024 lief es dann schon besser mit elf Remispartien und zwei Siegen blieb zumindest der Einbruch in der Schlussphase aus. Als Vorbereitung für das Kandidatenturnier hatte der Junge aus Chennai auch daran gearbeitet. In der neunten Partie wählte sein Gegner bereits früh das Chaos und der Inder bekam eine ordentliche Stellung und baute seinen Vorteil zunächst sukzessive aus. Fedoseev allerdings gelang es mit findigem Spiel sich bis zum dreißigsten Zug im Spiel zu halten. Mehr als knapper Ausgleich war aber nie drin.


Vladimir Fedoseev gilt als unkonventioneller Spieler. Aber nach dem Abtausch des Läufers auf f6 mit dem g-Bauern zurück zu nehmen ist doch etwas zu viel der Kreativität. Fedoseev ist gebürtiger Russe und spielt inzwischen für Slowenien, da er den Krieg mit der Ukraine ablehnt. Er gehört damit zu mehreren ehemaligen russischen Großmeistern, die das Land verlassen haben. Bei der Schacholympiade war es ihm gelungen Magnus Carlsen zu besiegen und in Wijk hatte Fedoseev gegen Fabiano Caruana voll gepunktet. Zuletzt war hinzugekommen, dass er sich für das Freestyle Turnier qualifizieren konnte. Dort wird mit ausgelosten Stellungen begonnen, die zumindest in der Eröffnungsphase kreative Lösungen erfordern.


In dieser spannenden Stellung schlägt der Maschinenraum für Pragg als Alternative vor, zunächst auf g4 zu schlagen, also die Dame zu geben. Das ist freilich keine einfache Entscheidung und man kann verstehen, dass der Inder stattdessen seine Dame nach f1 zurück zog. Tatsächlich markiert diese Situation den letzten Moment in der Partie zu dem Fedoseev die Stellung wieder ins Gleichgewicht bringen konnte. Danach verhedderte sich Fedoseev allerdings zusehends und Pragg gab ihm keine zweite Chance.


Fabiano Caruana – Praggnanandhaa 0 – 1

Der Inder inszeniert an diesem Tag einen Faustkampf und gewinnt. Fabiano Caruana musste mit Plus Eins in der elften Runde unbedingt gewinnen, um noch eine Chance auf die vorderen Plätze zu haben, vielleicht ließ er sich deshalb darauf ein. Die beiden Kontrahenten bekamen eine Carlsbader Struktur mit asymmetrischen Bauern im Zentrum auf das Brett. Die lange Rochade ist für den Anziehenden eher eher seltene Entscheidung. In den taktischen Verwicklungen dieser Partie fand sich der jüngere Spieler jedenfalls besser zurecht und heftete einen der seltenen 2800er Scalp an seinen Gürtel.


Fabiano Caruana stand hier vor seinem 13. Zug. Sein Gegner hatte am Damenflügel seine Bauern nach vorne getrieben und es war an der Nummer Zwei der Welt dagegen zu halten. Die richtige Antwort dürfte Schachtrainer und Lernende begeistern, denn genau das lernt man im Training. Allerdings suchen im Spitzenschach auf höchster Ebene die Spieler oft die Ausnahme und nicht die Regel bestätigt zu finden. Die Antwort findet sich in der ausführlichen Analyse.

Beide Spieler hatten nur noch wenig Bedenkzeit für acht Züge, wobei der US-Amerikaner mit etwas mehr als anderthalb Minuten sogar etwas weniger hatte. Zuletzt hatte er seine vom Springer c5 attackierte Dame von d3 nach nach e3 gezogen. Warum war das ein Fehler? Pragg ließ sich jedenfalls nicht zweimal bitten.


Praggnanandhaa – Alexey Sarana 1 – 0

Es kommt nicht so häufig vor, dass im Meisterschach auf der höchsten Ebene ein Spieler drei Partien hintereinander gewinnt. Pragg gelingt dieses Kunststück gleich zweimal in diesem Turnier. Nach der Partie hatten die Spieler noch Zeit die wichtigsten Momente durchzugehen.


Der entscheidende Moment. Zuletzt hatte Alexey seinen Springer nach b5 gezogen und dachte die Stellung ausreichend befestigt zu haben. In Wirklichkeit war sein letzter Zug der spielentscheidende Fehler. Pragg zertrümmerte die gegnerische Deckung durch das Springeropfer auf a6. Bemerkenswert ist wie er in der Folge seinen scheinbar toten Springer h4 in den Angriff mit einbezog. Ein modernes Lehrbuchbeispiel für einen effektiv vorgetragenen Angriff.


Wijk 2025: Gukesh oder Pragg?

Vor der dreizehnten, der letzten Runde im Tata Steel Masters 2025 führen Praggnanandhaa und Gukesh punktgleich mit achteinhalb Punkten die Tabelle an. Gukesh spielt mit Weiß gegen seinen Landsmann Arjun Erigaisi, der in Wijk arg gerupft wurde, aber zuletzt gegen Nodirbek den indischen Erfolg durch seinen ersten Sieg in turnierübergreifend 25 Partien im Masters sicherte. Pragg hat es in der letzten Runde mit dem deutschen Topspieler Vincent Keymer zu tun, der mit seinem Turnier insgesamt nicht zufrieden sein dürfte. Für Spannung ist gesorgt. Wieder einmal zeigt sich warum Wijk aan Zee bei Fans so beliebt ist.


Fotos: Jurriaan Hoefsmit und Lennart Ootes für Tata Steel Chess.

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Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit Praggnanandhaa (19) war der erste

Titelfoto: Lennart Ootes

Die Jugend übernimmt und zwar nicht weil starke ältere Spieler fehlen, sondern weil die Jungen ambitionierter sind und Spaß an Leistung haben. Einige grandiose Momente der jungen Garde aus dem Tata Steel Masters 2025 begeistern. Diesmal Nodirbek Abdusattorov.

Von Thorsten Cmiel

Wir zeichnen zunächst die Turnierentwicklung der drei führenden Spieler im diesjährigen Masters Turnier in Wijk aan Zee nach. Das sind der amtierende Schachweltmeister Gukesh, 18, Nodirbek Abdusattorov, 20, Praggnanandhaa, 19, diese führen in dieser Reihenfolge das Feld im Masters nach zehn Runden an.


Nodirbek Abdusattorov (Usbekistan)

Nodirbek Abdusattorov ist der bislang jüngste Schnellschachweltmeister aller Zeiten. Nodirbek lebt in Tashkent in Usbekistan und gewann die Schnellschach-Weltmeisterschaft 2021 in Warschau mit 17 Jahren. 2022 legte er mit seinem Team bei der Schacholympiade in Chennai nach und holte die Goldmedaille im Team und Silber am ersten Brett, hinter dem Inder Gukesh, der die wichtigste Partie der beiden Gladiatoren allerdings verlor, die Entscheidungspartie. Bei der Schacholympiade in Budapest 2024 lag Abdusattorov erneut auf dem zweiten Platz in der Einzelwertung, erneut vor Magnus Carlsen und wieder hinter Gukesh. Dass sich der Usbeke 2024 nicht für das Kandidatenturnier qualifizierte war für manche Beobachter eine Überraschung. In Wijk war der Usbeke bereits zweimal nah dran zu gewennen. 2023 lag er nach einem Sieg gegen Magnus Carlsen vorne und verlor erst in der letzten Runde gegen Anish Giri und den Turniersieg. 2024 war Nodirbek einer der vier Co-Sieger. Letztlich gewann der Chinese Wei Yi. 2025 macht Nodirbek erneut viel Druck. Bisher kann nur Gukesh mithalten.

Kalkulationen

Wenn sogar einer der besten Rechner auf der Tour nicht alles ganz exakt hinbekommt, dann ist das ein Zeichen für eine extrem komplizierte Angelegenheit. Im ersten Beispiel aus der Startrunde scheitert Nodirbek vermutlich an seiner Ungeduld, da sein Gegner in rasender Zeitnot war. Der Usbeke übersah ein Qualitätsopfer seines Gegners und entschied sich in der Folge dafür, keine Experimente mehr zu versuchen.


Erneut stand Nodirbek mit Schwarz auf Gewinn und fand zunächst nicht den präzisen Weg zum vollen Punkt. Als ihm aber sein Gegner mit einem Damenzug nach c3 eine zweite Chance offerierte griff er zu…


Der usbekische Signature-Zug

Wir hatten bereits den Sieg von Abdusattorov im Franzosen gegen Leon Luke Mendonca angesehen. Der junge Usbeke ist offenbar bereit in anderen Stellungen ebenfalls seinen a-Bauern früh ins Spiel einzubeziehen. Die Idee solcher früher Randbauernzüge ist es oft, der Eröffnungsvorbereitung des Gegners aus dem Weg zu gehen und einfach eine Partie Schach zu spielen. Das war in Kurzform die übergeordnete Strategie des Teams Gukesh in Singapur. Gegen den Turnierfavoriten Fabiano Caruana war es der dritte Zug von Nodirbek und die Kontrahenten hatten diese Stellung auf dem Brett.


Nodirbek hatte keine Schwierigkeiten aus der Eröffnung heraus und glich recht komfortabel aus gegen die Nummer Zwei der Welt. Es gab nur einen kurzen Moment der Sorge in einer späteren Phase. Bemerkenswert ist das unbändige Selbstbewusstsein, das Nodirbek Runde für Runde erneut aufbringt. um so früh wie möglich auf eigenen Eröffnungsbeinen zu stehen.


Der usbekische Wanderkönig

In Wijk zeigte Abdusattorov seine hervorragend trainierten Rechenfähigkeiten und endete in zwei Partien mit einem Wanderkönig. Auch die Bereitschaft diese Extrameilen bei der Kalkulation zu gehen, ist ein starkes Indiz für ein stark ausgeprägtes Selbstvertrauen. Nodirbek hat bekanntermaßen mit dem Verleger und Buchautor Jacob Aagaard zusammengearbeitet. Der ist sozusagen spezialisiert auf diese Art Unterstützung von Spitzengroßmeistern. Zu seinen langjährigen Partnern gehören Sam Shankland und Boris Gelfand. Inzwischen arbeitet Nodirbek mit Rustam Kasimdzhanov zusammen, der lange Zeit Sekundant von Fabiano Caruana war, bis die Zusammenarbeit in einer Art Rosenkrieg endete.


In seiner Partie gegen den niederländischen Großmeister Jorden Van Foreest schlug Nodirbek hier im zweiunddreißigsten Zug den weißen Läufer auf f4. Acht Züge später stand sein König auf d5, weil das der einzige Weg zum Erfolg war. Sieben Züge später gab sein Gegner auf. Wer will kann die Varianten möglichst ohne Ansicht des Brettes berechnen. IM Vidoe erklärt der Usbeke dann warum er Glück hatte.



Diese Stellung ist aus der zehnten Runde. Nodirbek steht mit Weiß bereits auf Gewinn. Im 43. Zug zog der Jungstar hier seinen König nach g3. Zehn Züge später wird sein König auf c6 stoppen und Schwarz gab auf.


Nach der zehnten Runde geht es in den letzten Ruhetag. Nodirbek wird sicherlich versuchen Gukesh zu jagen. Diese zwei Junggroßmeister sind inzwischen vermutlich etwas vorne dran bei den ehemaligen Wunderkindern. Praggnanandhaa hatte nach dem Kandidatenturnier nicht mehr zulegen können, ist aber einer der Spieler, die vielleicht als nächstes aufschließen können. Arjun Erigaisi ist ein Jahr älter als Nodirbek und macht in Wijk eine schwere Zeit mit. In jetzt dreiundzwanzig aufeinander folgenden Partien gelang dem Inder bisher noch kein Sieg. Ein anderer glänzt meist durch Abwesenheit und das mag unterschiedliche Gründe haben. Der französisch-iranische Großmeister Alireza Firouzja versagte zweimal in Kandidatenturnieren und wird erst wieder in der Grand Chess Tour zu sehen sein, die er in den Jahren der Kandidatenturniere gewann. Mit Nihal Sarin scheint ein anderer ehemaliger Jungstar den Anschluss verpasst zu haben. Für den deutschen Hoffnungsträger Vincent Keymer läuft es in diesem Jahr erneut nicht in Wijk. Auch für ihn wird sich wie für alle Topspieler die Frage stellen, wie er sich für das Kandidatenturnier 2026 qualifizieren kann.


Die Fotos von Jurriaan Hoefsmit und Lennart Ootes in diesem Beitrag wurden gemacht für Tata Steel Chess.

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Titelfoto: Lennart Ootes Die Jugend übernimmt und zwar

Historisches Foto

Von Thorsten Cmiel

Die Idee der Lasker Aufgaben ist es, einmal in der Woche, in der Regel an Sonntagen, einige wenige Schachaufgaben unterschiedlicher Art an alle Interessierten des Vereins Lasker Köln zu verschicken. Es wird Taktikaufgaben und immer wieder auch mal Fragen zum Endspiel geben. Der Schwierigkeitsgrad wird unterschiedlich sein, damit für Spieler jeder Mannschaft und Spielstärke etwas dabei ist. Die Lösungen gibt es zwei Tage später. Los geht’s.

Die Aufgaben dieser Serie beruhen auf einer der bekanntesten Studien der Schachgeschichte. Der Autor ist der Tschechoslowake Richard Rèti (1889 – 1929), einer der stärksten Schachspieler seiner Zeit.

1.Kg7 h4 2.Kf6 (Kb6 3.Ke5) h3 3.Ke5 =

Der König nähert sich durch Ziehen entlang einer Diagonalen and und verfolgt zwei Ziele. Dadurch erzwingt er das Erreichen von einem der beiden. Das Manöver beruht auf der Eigenheit der Schachbrettgeometrie. Veröffentlicht am 21. September 1921 in der Niederösterreichischen Tages-Zeitung.


1. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?


2. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?


3. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?


4. Aufgabe: Weiß ist am Zuge.

Wer Spaß am Lösen von Schachaufgaben hat, der wird ab 2025 hier in der Schachakademie immer wieder fündig werden. Für den Anfang findet ihr unter den Links weitere Aufgaben und einige Hinweise darauf wie schwer Schachaufgaben sein sollten.


Historisches Foto Von Thorsten Cmiel Die Idee der Lasker

Titelfoto: Lennart Ootes

Vor dem zweiten Ruhetag hat sich das Feld im Challengers Turnier in Wijk 2025 weiter aufgespalten in Spielerinnen und Spieler, die über 50 Prozent aufweisen und denen darunter. Bei den vier weiblichen Teilnehmerinnen gab es tragische Momente. Stabile Ergebnisse weisen die Inderin Vaishali und Lu Miaoyi auf.

Von Thorsten Cmiel

Wir hatten uns das bisherige Abschneiden der Frauen in den ersten fünf Runden angesehen. Nach der achten Runde sieht es immer noch so aus als würden die Chinesin Lu Miaoyi, die im Februar fünfzehn Jahre alt wird, und Vaishali gut im Feld mithalten können. Divya Deshmukh muss den zweiten Ruhetag nutzen, sich zu konsolidieren. Nach der Pause musste die Inderin dreimal hinter sich greifen. Ihre Situation ist vregleichbar mit der von Arjun Erigaisi in der Tata Steel Meisterklasse, der bis zur achten Runde dreißig Ratingpunkte eingebüßt hat und turnierübergreifend keine seiner 21 bisher gespielten Partien in Wijk gewinnen konnte. Wenn es nicht gut läuft will man als Spieler oder Spielerin das Turnier meist ganz schnell hinter sich bringen. In Wijk stehen jetzt noch fünf weitere Runden an. Das ist brutal wie jeder weiß, der einmal ein Rundenturnier absolviert hat, das nicht den gewünschten Verlauf genommen hat. Zumal Spieler mit ohnehin schlechter Form von den anderen Teilnehmern gerne als mögliche Punktelieferanten ausgeguckt werden. Somit ist klar: Für Divya und Irina stehen noch fünf schwierige Runden an.

Punkte nach 5 RundenRunde 6Runde 7Runde 8GesamtPerformance
Vaishali3.00.50.50.54.52563
Lu Miaoyi3.010.50.04.52575
Deshmukh1.50.00.00.01.52321
Bulmaga0.50.50.00.01.02231

Nach den ersten fünf Runden hatten wir uns die Partien von Divya Deshmukh genauer angesehen. Diesmal betrachten wir die Partien einer Spielerin bei der es bisher besser läuft. Die vierzehnjährige Lu Miaoyi begann in der ersten Runde mit einer gut vorgetragenen Partie gegen den kazachischen Großmeister Kazybek Nogerbek. Nach einem soliden Remis gegen Vaishali mit den schwarzen Steinen folgte ein weiterer GM-Scalp. Lu gewann gegen die deutsche Nummer Zwei, Frederik Svane. Der musste sich mit der französischen Abtauschvariante der Chinesin auseinander setzen und kam damit nicht gut zurecht. Gegen Irina Bulmaga remisierte Lu erneut mit den schwarzen Steinen. Erst in der fünften Runde musste die Chinesin das erste mal hinter sich greifen als sie gegen den Niederländer Benjamin Bok verlor.


Runde 1: Lu Miaoyi (CHN) – Kazybek Nogerbek (KAZ) 1 – 0

Der Partieverlauf war deutlich zugunsten der jungen Chinesin verlaufen. Allerdings hatte sie etwas ängstlich in Gewinnstellung die Damen zum Tausch angeboten und damit einen Teil ihres Vorteils eingebüßt. Mit den zwei Springern für den Turm steht Lu allerdings immer noch klar vorteilhaft. Der Kazache kann allerdings noch hoffen. Er sollte die Beweglichkeit der gegnerischen Springer reduzieren und zunächst mit seinem Turm nach c5 ziehen. Er droht dann den Springer e5 durch Vorrücken seines g-Bauern weiter zu entwurzeln. Der Kazache begann mit dem g-Bauern Lu verzichtete auf den Bauern zog ihren f-Bauern vor und stand klar auf Gewinn.

Dieses Foto zeigt Frederik Svane unmittelbar vor dem entscheidenden Fehler.


Runde 3: Lu Miaoyi (CHN) – Frederik Svane (GER) 1 – 0

Vermutlich hatte Frederik den Steinitz-Aufbau in der klassischen französischen Verteidigung vorbereitet, so hatte die Chinesin vorher schon gespielt. Lu reagiert diesmal legitim und wählt die französische Abtauschvariante, die es ihrem Gegner erschwert auf Gewinn zu spielen. Am Ende kam es noch dicker für den Deutschen. Frederik (Jahrgang 2004) selbst war bereits in jungen Jahren ein hervorragender Taktiker. In der Ausgangsstellung steht die Chinesin sicher etwas angenehmer. Auf den Vormarsch des schwarzen g-Bauern folgt vermutlich ein aussichtsreiches Figurenopfer mit dem Springer auf g5. Weiß verbleibt nach der Annahme mit den besseren Chancen. Entschieden ist dann nichts. Stattdessen zog Frederik seinen Läufer nach f5. Lu nahm mit dem Läufer auf f6 und gewinnt eine ganze Figur. Ein typischer Fall von Schachblindheit.

Die Fotos zeigen die Gegner von Lu in den Runden vier und fünf. Gegen Irina Bulmaga folgte eine wenig ereignisreiche Partie bis zu dem folgenden Moment. Die Chinesin hatte ihre Züge ohne Nachdenken aufs Brett gestellt und sollte ihren achtzehnten Zug ausführen.


Runde 4: Irina Bulmaga – Lu Miaoyi 0.5 – 0.5

Für ihren nächsten Zug nahm sich die Chinesin 55 Minuten Zeit und spielte in der Tat den besten Zug. Solche Momente nach langen Vorbereitungen sind oft gefährlich für Turnierspieler, die sich erst in eine Partie hineinfinden müssen. Hier ist der naheliegende Zug der Zug mit der Dame nach e4. Weiß wird mit seiner Dame nach d5 gehen und Schwarz bleiben zwei Antworten, die aber nicht ausreichen. Die erste Möglichkeit besteht in einem doppelten Schachgebot mit dem Springer auf h4. Danach wird Weiß den König zunächst nach g1 ziehen. Nach dem erneuten Schach mit dem Springer auf f3 folgt diesmal der Zug des Königs nach h1 und Weiß stünde vorteilhaft. Die zweite Möglichkeit sieht ebenfalls auf den ersten Blick attraktiv aus. Schwarz opfert seinen Läufer auf h3 mit Schachgebot. Greift der weiße König dann zu, folgt ein Schach mit dem Springer auf g1 zur Ablenkung und Weiß kann dem Dauerschach durch Schachgebote mit dem Springer nicht entkommen. Aber Weiß kann den Läufer verschmähen und erneut seinen König nach h1 ziehen. Danach stünde die Rumänin auf Gewinn. Lu vermied diese Varianten und zog zunächst ihren c-Bauern ein Feld vor und nahm ihrer Gegnerin dadurch das Feld d5. Die Partie endete danach in einem absehbaren Remis.


Runde 5: Lu Miaoyi (CHN) – Benjamin Bok (NED) 0 – 1

Lu Miaoyi stand hier mit den weißen Steinen vor ihrem 27. Zug. Sie wählte letztlich eine zu langsame Fortsetzung. Aber wer ihre Leistung mit Maschinenhilfe locker bewerten möchte, der versuche sich vorher selbst an dieser Stellung. Wie sollte sie hier fortsetzen? (Kalkulationsaufgabe) Mehr als nur ein Zug ist hier notwendig. Viel mehr.


Runde 7: Lu Miaoyi (CHN) – Divya Deshmukh (IND) 1 – 0

In der Partie zwischen Lu und Divya war hier die Chinesin am Zuge. Der schwarze Königsflügel ist geschwächt und Weiß sollte seine Kräfte optimal auf eine weitere Expansion am Königsflügel vorbereiten. Lu Miaoyi zog hier ihren Turm nach f1, um den anderen Turm nach e1 zu stellen. Aber es gab eine deutlich stärkere Fortsetzung, die an die Spielweise von Anatoly Karpov erinnert.


Runde 8: Thai Dai Van Nguyen (CZE) – Lu Miaoyi (CHN) 1 – 0

Die Partie verlief bis hierhin recht ruhig. Der Großmeister stand weite Teile der Partie etwas besser, konnte sich aber keinen größeren Vorteil erspielen. Die Struktur haben die Spieler schon 16 Züge auf dem Brett und in dieser Stellung war die Chinesin dran. Weiß hat einen pseudoaktiven König auf c6, der wird aber vom verankerten Turm auf b5 wirkungsvoll und dauerhaft vom a-Bauern fern gehalten. Lu überlegte hier 21 ihrer 28 Minuten restlichen Bedenkzeit und ihr unterlief ein fürchterlicher Fehler. Schwarz kann hier den Läufer nach d2 ziehen und ein komfortables Remis erreichen. Aber offensichtlich hatte die Chinesin einen Knoten in ihren Berechnungen. Der könnte so aussehen: Weiß antwortet auf den Läuferzug mit einem Schach des Läufers auf d6, der König zieht weg nach g8 und Weiß schwenkt mit seinem Turm nach a1. Schwarz nimmt nun auf b4 mit dem Läufer und bei mangelnder Visualisierung könnte man annehmen, dass Schwarz hier Material verliert, da der Turm auf b5 kein Feld zur Verfügung hat, um den Läufer b4 gedeckt zu halten. Aber Schwarz hat kann als Antwort seinen Turm nach a5 ziehen und ausgleichen. Lu zog stattdessen ihren Läufer nach c5, die Idee ist ähnlich, aber der Läufer auf c5 verhindert das Schachgebot auf der Diagonalen mit dem schwarzen König. Nguyen nahm den Läufer weg und nachdem Schwarz den weißen Turm auf b1 geschlagen hatte, zog der Tscheche seinen König nach d7 und der weiße c-Bauer ist unaufhaltbar. Dieses abrupte Ende erinnert an die dritte Runde in der Frederik Svane ein ähnliches Malheur unterlaufen war.

Großmeisternorm noch drin

Die Chinesin zeigte bislang vor allem mit den weißen Steinen starke Angriffsleistungen. In den letzten fünf Runden stehen für die Chinesin allerding noch schwierige Aufgaben an. Immerhin hat sie noch drei Weißpartien (gegen Aydin Suleymanli, Erwin L’Ami und Nodirbek Yakuboeev). Mit Schwarz spielt sie noch gegen Ediz Gurel und Faustino Oro. Für eine Großmeisternorm muss sie auf siebeneinhalb Punkte kommen, also noch drei Punkte sammeln. Schwierig, aber nicht unmöglich.

Fotos: Lennart Ootes und Jurriaan Hoefsmit für Tata Steel Chess.


Titelfoto: Lennart Ootes Vor dem zweiten Ruhetag hat

Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit

Die Partien zwischen den beiden Indern Praggnanandhaa und Gukesh haben immer eine besondere Brisanz. Geht es doch um die Vormachtstellung im eigenen Land und in Chennai. Zurzeit hat Gukesh klar die Nase vorn, denn er gewann im letzten Jahr Kandidatenturnier und Weltmeisterschaft. In der achten Runde 2025 kam es zum Prestigeduell beim Tata Steel Masters in Wijk.

Von Thorsten Cmiel

Die beiden indischen Supergroßmeister leben wie der Übervater des indischen Schach, Viswanathan Anand, in Chennai. Bei jedem Aufeinandertreffen geht es also nicht nur um die Vorherrschaft in Indien, sondern auch darum wer im Lokalen vorne liegt, wer Stadtmeister in Chennai ist sozusagen. Für Pragg ist das Duell nichts Besonderes, sagt er. Erinnert sei trotzdem daran wie manche Duelle in der Vergangenheit abliefen. Dramen war oft und mit normalen Maßstäben kaum zu erklären. Schauen wir kurz zurück.


Beim Rejkjavik Open 2022 spielte Gukesh (15) mit Weiß in der letzten Runde gegen Pragg (16). Er musste gewinnen, um sich den Turniersieg zu sichern. Dem älteren der beiden Inder reichte ein Remis. Was jetzt folgte war dramatisch. Gukesh steht offensichtlich klar besser, objektiv sogar auf Gewinn. Der Damentausch auf d4 kommt natürlich für Pragg nicht in Betracht. Er fand noch einen letzten Schwindel und zog seine Dame nach f5. Falls Weiß dann den ungedeckten Springer auf c3 nehmen würde, folgt der Einschlag auf g2 und das Zurückschlagen mit dem König würde zum Dauerschach führen. Soweit so verständlich. Gukesh konnte an der Stelle seinem König etwas Luft verschaffen indem er seinen h-Bauern ein Feld vorrückt und der gegnerischen Dame das Feld g4 verwehrt. Stattdessen zog Gukesh seine Dame nach e5 und erneuerte das Angebot zum Damentausch. Dieser Zug kostete ihn bereits seinen entscheidenden Vorteil. Pragg sagte erneut nein, zog seine Dame nach g4 und drohte selbst direkt Matt auf g2. Es war jetzt an Weiß mit dem Läuferzug nach e4 die Partie noch knapp auszugleichen. Gukesh zog stattdessen seinen Turm nach g1 und deckte damit den Läufer auf g2. Pragg fand dann einen schicken Gewinnzug. Wird nicht aufgelöst.


Beim Tata Steel Masters 2024 hatte Gukesh seinen Gegner überspielt. Erneut stand er auf Gewinn und musste seinen vierzigsten Zug, den Kontrollzug, ausführen. Die beiden hatten zuvor bereits mit wenig Bedenkzeit die Züge des weißen Läufers nach d6 und die Antwort mit der Dame nach f7 gespielt. Gukesh erneuerte die Stellung und zog seinen Läufer nach d6. Pragg nutzte seine Chance, kündigte seinen Zug mit der Dame nach f7 and und reklamierte dreimalige Stellungswiederholung. Was war passiert? Die ursprüngliche Stellung war nach dem Turmzug nach g8 entstanden und das scheint Gukesh übersehen zu haben. Später wird er sein Malheur als dumm bezeichnen, da praktisch jeder andere Zug als sein Zug mit dem Läufer gewonnen hätte. Das stimmte zwar nicht, aber irgendwie dann doch.


Wenige Tage nach dem Drama in Wijk trafen Pragg und Gukesh erneut aufeinander und zwar im Prag Masters. Der ältere der beiden, Pragg, stand mit Weiß auf Gewinn und musste zunächst das Schachgebot parieren. Pragg blieben zwei Optionen, er konnte seinen König nach f5, also nach vorne schicken, oder er geht auf Nummer sicher und deckt den g2-Bauern und beordert den König nach g3 zurück. Pragg entschied sich für die sichere Variante, was objektiv den Gewinn verspielte. In der Folge gelang es Gukesh die Partie durch weiterhin präzises Spiel zu remisieren.


Die bislang wichtigste Partie von Pragg und Gukesh gewann bekanntlich Gukesh in der zweiten Runde beim Kandidatenturnier in Toronto 2024. Pragg hatte zwei Bauern in der Eröffnung geopfert und seinen Gegner damit früh unter Druck gesetzt. Gukesh verbrauchte viel Bedenkzeit, fand aber eine gute Verteidigung. Die Partie verblieb zunächst objektiv betrachtet gleich. In der hier betrachteten Stellung konnte Weiß im Einundzwanzigsten einen sehr kreatives Opfer seines Turmes anbieten, indem er mit seinem Turm auf d5 nimmt. Pragg spielte nicht so, sondern stellte seinen Läufer nach g5, was weniger gut war. In der Folge ging es noch etwas Hin und Her, aber Gukesh schien immer alles weitgehend unter Kontrolle zu haben. Am Ende reichte es für ihn zu einem wichtigen Sieg mit den schwarzen Steinen. Die Dramatik der Partie ist selbst eine eigene Erzählung wert, aber nicht unser Thema heute.

Diesmal blieb das ganz große Drama in der Begegnung aus. Aber es gab einen lehrreichen Moment, den wir festhalten wollen.


Runde 8: Praggnanandhaa – Gukesh

Gukesh steht hier vor seinem dreiunddzwanzigsten Zug. Pragg hatte zuletzt seinen Turm von d1 nach b1 gezogen und so den Gegner daran gehindert, mit dem Turm auf b2 einzusteigen. Auf den Springerzug nach a3, der Turm und Dame attackiert, kann Weiß auf b8 zunächst einen Turm tauschen. Der schwarze Springer auf c4 hemmt die weiße Stellung und ist eine Augenweide. Zu den Stellungsmerkmalen gehört, dass der Bauer auf a4 dem gegnerischen Turm auf b3 ein wichtiges Feld nimmt. Gukesh hatte zuvor alles getan, um den Bauern auf c6 mit seiner Dame von e8 aus zu attackieren. Jetzt konnte er mit seinem Turm nach d8 ziehen, dieser war von e8 gestartet und auf d8 verblieb Schwarz das wichtige Feld e8. Nicht einfach zu sehen, aber ein bemerkenswerter Moment. Gukesh ist ein Spieler, der vor allem durch seine Rechenfähigkeiten hervorsticht. Hier allerdings fand er die beschriebene positionelle Lösung nicht und zog seinen Bauern nach a3, was als ein konkretes Vorgehen bezeichnet werden kann. Die Partie wäre auch danach weiter im Gleichgewicht gewesen, aber Pragg stünde weiter hinten drin.

Die Partie verflachte nach einigen präzisen Zügen und die Spieler einigten sich letztlich auf Remis. Da auch der dritte Spitzenreiter Nodirbek Abdusattorov über ein Remis nicht hinaus kam, blieb das Trio mit fünfeinhalb Punkten weiter vorne.





Fotos: Lennart Ootes und Jurriaan Hoefsmit für Tata Steel Chess.

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Die analysierte Partie kann durch klicken auf den im Beispiel rot markierten Button heruntergeladen werden.

Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit Die Partien zwischen den beiden

Historisches Foto

Von Thorsten Cmiel

Die Idee der Lasker Aufgaben ist es, einmal in der Woche, in der Regel an Sonntagen, einige wenige Schachaufgaben unterschiedlicher Art an alle Interessierten des Vereins Lasker Köln zu verschicken. Es wird Taktikaufgaben und immer wieder auch mal Fragen zum Endspiel geben. Der Schwierigkeitsgrad wird unterschiedlich sein, damit für Spieler jeder Mannschaft und Spielstärke etwas dabei ist. Die Lösungen gibt es zwei Tage später. Los geht’s.


1. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?

Wer eine der berühmtesten Studien der Schachgeschichte kennt, kommt schnell auf die Lösung. Der Autor ist übrigens identisch. Mehr Hilfen gibt es allerdings nicht. Rechnen ist angesagt, selbst wenn man schnell auf die richtige Idee kommt.


2. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?

Wer die erste Aufgabe gelöst hat, der hat hier sicher keine großen Schwierigkeiten. Oder?


3. Aufgabe: Kann Weiß am Zuge Remis halten?

Aus der gleichen Aufgabenfamilie. Jetzt aber.


4. Aufgabe: Weiß ist am Zuge.

Endspielwissen ist gefragt. Angenommen ihr spielt eine Blitzpartie und packt versehentlich ohne Nachzudenken den König an. Auf welches Feld zieht ihr ihn? Das ist eine gute Chance, denn schließlich hat der König nur drei Felder.

Wer Spaß am Lösen von Schachaufgaben hat, der wird ab 2025 hier in der Schachakademie immer wieder fündig werden. Für den Anfang findet ihr unter den Links weitere Aufgaben und einige Hinweise darauf wie schwer Schachaufgaben sein sollten.


Historisches Foto Von Thorsten Cmiel Die Idee der Lasker

Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit

Die Schlagzeilen beherrscht ein ehemaliger Weltmeister, der sich langweilt, rumnörgelt und anderen seinen Willen aufzwingen will. Gleichzeitig zeigt die junge Generation wie es wirklich um Schach steht. Hervorragend. Die Partien zwischen Nodirbek Abdusattorov und Gukesh sind längst moderne Klassiker zweier Gladiatoren, die Bock auf klassisches Schach haben.

Von Thorsten Cmiel

Die bislang wichtigste Partie der beiden Junggroßmeister fand vor etwa zweieinhalb Jahren statt. Gukesh hatte die weißen Steine. Gespielt wurde in Chennai 2022 bei der Schacholympiade. Dem Inder versagten die Nerven und sein Team verlor die Goldmedaille. Das B-Team Indien für das Gukesh, Pragg und Nihal Sarin antraten wurde Dritter und die Usbeken gewannen sensationell die Goldmedaille. Das ist die Kurzform.

Bei der Schacholympiade 2024 in Budapest gewannen bekanntlich diesmal die Inder und die Usbeken kamen auf den dritten Rang. Die Teams tauschten die Plätze. Gukesh und Nodirbek einigten sich in ihrer Partie Ende September nach 32 Zügen auf eine Punkteteilung durch Zugwiederholung. Die Partie verlief eher ereignislos. Gukesh überragte am Ende mit neun Punkten aus zehn Partien (Performance 3056) am ersten Brett. Abdusattorov musste elfmal ran und gewann die Silbermedaille mit ebenfalls neun Punkten (Performance 2884). Auf dem dritten Rang lag der Norweger Magnus Carlsen (Performance 2810), der die Siegerehrung schwänzte. Immerhin Carlsen war zur sechsten Runde auf dem Live-Youtube-Kanal von Chess24 zugeschaltet und kommentierte die Partie von Gukesh und Abdusattorov einige Minuten lang. Er lobte vor allem die Rechengewaltigkeit des Usbeken, der hatte am Tag zuvor gegen den Niederländer Jorden Van Foreest, einen ehemaligen Sekundanten von Carlsen, eine grandiose Rechenleistung hingelegt und war bei vollem Brett von b8 nach d5 in die Brettmitte marschiert, um eine Gewinnstellung zu reklamieren.

Die Partien der zwei Junggroßmeister in dieser Partie sind für Schachfans echte Highlights und beide profitieren von den harten Kämpfen den sie sich liefern. Bisher galt meist: Bei jedem Aufeinandertreffen spielen die beiden mit besseren Elozahlen gegeneinander als zuvor. Auch in diesem Jahr wurde niemand enttäuscht, der die Partie in der sechsten Runde verfolgte. Spannung und Dramatik sind möglich wenn zwei Spieler wollen.

Runde 6: Abdusattorov (UZB) – Gukesh (IND)


Es sind die unscheinbaren Randbauernzüge, die Gukesh zum Weltmeister gemacht haben. Kleine Nuancen entschieden über den Verlauf mancher Partien, die vom Team Gukesh unter der Leitung von Grzegorz Gajewski immer wieder ausgeheckt wurden. Erinnert sei an die Schwarzpartien des amtierenden Weltmeisters beim Kandidatenturnier gegen seinen Landsmann Vidit und den Azeri Nijat Abasov. Nodirbek kann das auch. Er hält diesmal dagegen mit seinem neuen Signature Zug, einem frühen a2-a4. Bereits zuvor in diesem Turnier hatte der Usbeke gegen den Inder Mendonca diesen Zug gespielt, allerdings in einer anderen Eröffnung. Der Erfinder ist der usbekische Toptrainer Rustam Kasimdzhanov, der inzwischen in Deutschland lebt und lange für Fabiano Caruana als Sekundant tätig war. Der Aufzug des a-Bauern ist oft ein typischer Zug im langsamen Italiener, nimmt dem Gegner Möglichkeiten am Damenflügel weg und droht selbst mit Expansion. Neu ist das frühe Konzept nur auf höchster Ebene. Immerhin können beispielsweise zwei Partien des starken tschechischen Großmeisters David Navara, der auch schon in Wijk dabei war, in der Datenbank gefunden werden. Schaut man im weiteren Verlauf nach, dann gab es die entstehenden Stellungen also schon häufiger, sogar auf höchster Ebene.


In dieser Situation muss Gukesh seinen achtzehnten Zug ausführen. Nodirbek hat zuletzt seinen Springer nach f1 gezogen und plant ganz offensichtlich seinen Springer nach h2 zu ziehen. Sollte dann der Läufer ziehen, käme die schwarze Dame auf h5 in Bedrängnis. Gukesh machte daher Platz für seine Dame und zog seinen Springer nach e7. Stattdessen hatte er an dieser Stelle eine sehr gute Möglichkeit und konnte seinen Springer nach f4 ziehen. Der darf nicht genommen werden, da Schwarz zu starken Angriff bekommt. Einen Springer nach vorne statt zurück zu ziehen ist oft ein Erfolg und hier konnte der Weltmeister mit etwas mehr Mut und der richtigen Eingebung etwa ausgleichen. Die Folgen sind freilich komplex und es bedürfte noch einiger Ausführungen das zu erläutern. Wer will kann in die Analyse unten in diesem Text schauen.


Hier verpasste Nodirbek eine gute Möglichkeit seine bis dahin einwandfreie Partieleistung weiter zu krönen. Er zog im Achtundzwanzigsten seine Dame nach a4 und gab dem Inder dadurch eine Chance, die dieser sich nicht entgehen ließ. Gukesh zog seinen Springer nach d8 und konsolidierte seine Stellung. Aber was war falsch am vorhergehenden Damenzug gewesen? Von b5 erfüllte die Dame zuvor eine wichtige Funktion. Sie fesselte den b-Bauern. Der konnte sich wegen seiner Deckungsfunktion für den Springer c6 nicht von der Stelle bewegen. Mit seinem Zug mit dem Springer drohte Gukesh also seinen b-Bauern zu ziehen. Dieser kleine Moment der Unaufmerksamkeit genügte dem Inder zum Ausgleich. Stattdessen sollte der Usbeke hier seinen Turm von f3 nach d3 ziehen und den Gegner vor schwierige Aufgaben stellen. Insbesondere der Bauer e5 könnte danach weiter unter Druck geraten. Sollte Schwarz dann beispielsweise wie in der Partie seinen Springer nach d8 ziehen, wird der weiße Springer nach f3 gestellt und der Bauer e5 attackiert – eine weitere Leistung einer Dame auf b5, den sie von a4 nicht mehr erfüllt. Versucht Schwarz dann das Problem durch eine Fesselung mit dem Läufer auf g4 zu lösen, nimmt Weiß trotzdem auf e5 zunächst mit der Dame und opfert eine Qualität. Weiß dominiert dann das Brett.


Gukesh steht vor seinem fünfundvierzigsten Zug. Er hatte sich zuvor für eine aktive Verteidigung entschieden und einen Bauern geopfert. Jetzt war er auf einen Trick angewiesen. Er plante mit einem Sidestep des Königs nach f8, den gegnerischen Turm zu attackieren und zwischenzeitlich einen weiteren Bauern zu opfern, um den gegnerischen Springer zu erobern. Die Idee konnte Schwarz auf zwei Arten realisieren. Er konnte entweder sofort seinen König nach f8 ziehen oder ein Zugpaar einschieben, indem er seinen Turm zunächst nach b3 zieht. Sein Gegner würde typischerweise seinen Königs nach g2 ziehen. Was es damit auf sich hat, ist schwierig zu verstehen und Gukesh konnte das Problem nach fünf Stunden intensivem Fight nicht lösen. Er entschied sich für den falschen Zug und zog sofort seinen König nach f8. Wer will kann anhand der Analysen den Unterschied herauszufinden versuchen. Wer es zunächst selbst herausfinden will, der sollte sich die Stellung genauer anschauen und jetzt mit dem Wissen des richtigen Zuges bewaffnet auf Spurensuche gehen.


In dieser Stellung war diesmal Weiß am Zuge. Die drei weißen Freibauern sind natürlich eine Macht gegen den Springer. Aber wie soll man die Partie konkret entscheiden? Nodirbek lässt an dieser Stelle für einen kurzen Moment nach, Gukesh ist erneut sofort da und rettet die lange Zeit verloren geglaubte Partie. „Push them baby“ ist eine Formulierung, die der US-amerikanische Schachgroßmeister und Moderator Yasser Seirawan gerne verwendet. Tatsächlich ist es oft ein guter Ratschlag seine Freibauern voran zu schicken, um die gegnerischen Kräfte mit Verteidigungsaufgaben zu beschäftigen, damit diese nicht anderweitig Ärger machen können. Der Ratschlag ist hier zumindest dann sinnvoll wenn die Freibauern nicht sofort verloren gehen oder der gegnerische Springer sie wirksamer blockieren kann. Hier war der Ratschlag jedenfalls goldrichtig. Aber man sollte loben wie Gukesh nach dem von Nodirbek gespielten Zug des Turmes nach e8 in der dargestellten Stellung seine Figuren koordiniert und das Remis sichert. Insgesamt sahen die Zuschauer eine hochklassige Partie wie sie wohl nur die besten Spieler der Welt zeigen können. Gladiatoren im Schach stellen ihre Gegner immer wieder vor neue Aufgaben und erst so passieren Fehler auf höchster Ebene, die andere dann mit Hilfe der Maschine entziffern können. es gibt noch einiges mehr zu entdecken in dieser Partie.

Nach der sechsten Runde führten weiterhin Praggnanandhaa (Jahrgang 2005) und Abudsattorov (2004) mit 4.5 Punkten (+3). Weltmeister Gukesh (2006) lag mit vier Punkten dahinter in Lauerstellung. Die Jugend übernimmt immer sichtbarer die Führung im Weltschach. Für die achte Runde sieht die Auslosung die Paarung zweier Jungs aus Chennai vor. Das wird für Schachfans ebenfalls ein Augenschmaus auf dem Brett. Ich garantiere es.



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Fotos: Lennart Ootes und Jurriaan Hoefsmit für Tata Steel Chess.

Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit Die Schlagzeilen beherrscht ein ehemaliger